Und jetzt Die Welt

Volkstheater Und jetzt: Die Welt von Sibylle Berg


 

 

Blitzgescheit und gut gespielt

Sibylle Bergs dramatischer Monolog (Text für eine Person und mehrere Stimmen) „Und jetzt: Die Welt!“ ist eine unterhaltsam-komische und zugleich erschütternd-pessimistische Bestandsaufnahme der Welt und der in ihr lebenden Jugend. Gemeint ist die Generation 20plus mit gediegener Ausbildung und vorzüglicher Leistungsbereitschaft. Sie haben bereits einen Gutteil des Darwinistischen Überlebenskampfes hinter sich gebracht, der ausbrach, als sie in kindlichem Alter ein paar Pfunde zu viel und ihre Klamotten nicht das richtige Label aufwiesen. Der allgemeine Frust schlug um in Gewaltbereitschaft und so zog man mit Leidensgenossinnen durch den urbanen Dschungel, um Schwächeren die Knochen zu brechen. Doch auch das erwies sich nicht als probates Mittel, Anerkennung zu ernten und so ergab man sich dem Mainstream, hoffend, einen nützlichen und sinnvollen Platz in der Gesellschaft zu finden. Die Gesellschaft braucht sie, wenn überhaupt, nur als willige Konsumenten. Beruflich läuft nichts. Wer nicht gerade (seit 10 Jahren) in einem Praktikum feststeckt oder vom Staat alimentiert wird, muss selbst unternehmerisch tätig werden. Also kocht man in der heimischen Küche Drogen (Viagra = Rattengift und Traubenzucker, von dem alte Männer Ständer bekommen!) und vertickt sie übers Internet.

„Früher, damals“ war Bildung ein hohes Gut und Geld ein Mittel, um die vitalen Bedürfnisse zu befriedigen. Heute geht es nur noch um Geld, um möglichst viel Geld. Und die Kultur? Die wurde ersetzt von „Formaten“, die von schwachsinnigen und lächerlichen Medienfuzzies kreiert wurden. In diesen „Formaten“ lebt man und diese „Formate“ konsumiert man, selbstverständlich immer in Anführungszeichen, denn man ist ja nicht gemein mit der unterbelichteten Masse. Man macht sich selbst zu lächerlichen Menschen. Am wichtigsten ist „political correctness“. Und da niemand so recht weiß, was politisch korrekt ist, schnappt man auf und plappert weiter. Zumeist ist es Schwachsinn. Aber wer will schon einen „shitstorm“ riskieren. Das ist etwas, wovor man sich fürchtet, woran man aber ganz gern teilnimmt, wenn es andere trifft. Auch das ist Bestandteil unserer schönen neuen Welt, einer total vernetzten und kommunikativen Welt. Ehrlich, wer braucht schon Arbeit, wenn er ein Smartphone hat und über Skype, SMS, Chat oder auch Telefon ständig erreichbar ist. Da bleiben keine Wünsche offen, denn man ist überall in Echtzeit dabei. Inhalte? Die werden ohnehin überbewertet. Man hat Tausende von Freunden und Followern. Damit kann man temporär die geistige Leere kompensieren, aber nicht die naturgegebene Sehnsucht nach echter Berührung, nach Liebe. Man weiß nicht einmal mehr was Sex ist, obgleich jeder darüber redet. Erwartungen und Ergebnisse klaffen drastisch auseinander und das hochgelobte und allseits gepriesene Individuum (höchster Ausdruck von Freiheit)  ist entsetzlich einsam. Es ist so einsam, dass es schmerzt.

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Lorna Ishema, Karolina Horster, Lenja Schultze

© Gabriela Neeb

 

Davon und von noch viel mehr erzählt die junge Frau, die in der wunderbar intelligenten und spielerisch fulminanten Inszenierung von Jessica Glause von drei bezaubernden jungen Darstellerinnen gegeben werden. Mai Gogishvilis Bühnenbild bestand größtenteils aus weißen Folien, mit denen die Wände dick und hermetisch abgehängt waren. Ein von der Decke hängender Labortisch, eine Tiefkühltruhe und eine mit weißer Folie überzogene Sitzgelegenheit verwandelten die Wohnstatt der jungen Frau in ein Labor. „Breaking Bad“ ließe sich eben auch in einer deutschen Stadt realisieren.  

Jessica Glause inszenierte das mit Pauls Geburtstag beginnende Hamsterrennen im medialen Käfig als atemlose komödiantische Nummernrevue aus Verzweiflung und Sehnsucht. Übrigens, Paul war der Vater, nicht der Erzeuger - aber der Vater, und irgendwann verschwunden, vielleicht Zigaretten holen. Joe Masis Musik gab häufig einen fordernden und zwingenden Rhythmus vor, der die Geschichte, soweit es überhaupt eine war, vorantrieb. Am Ende verliert sich die Frau in dem Gewirr aus Klingeltönen. Im Hintergrund die Mutter, nicht sichtbar, aber doch präsent als düstere Verheißung für das Leben der Tochter. Sie zerbrach am Weggang Pauls. Die Chancen der Tochter, ein erfülltes, selbstbestimmtes, sinnvolles Leben zu erlangen, stehen nicht sonderlich gut. Auch wenn die Darstellerinnen Karolina Horster, Lorna Ishema, Lenja Schultze die durchweg gelungenen szenischen Einfälle der Regie brillant umsetzten und viel Lachen erzeugten, konnte das Entsetzen über die trostlose Bestandsaufnahme nicht weggelacht werden.

So, wie es Sibylle Berg auf den Punkt gebracht und Jessica Glause spielerisch umgesetzt hat, sehen wir uns einer völlig „verrückten“ Welt gegenüber. Auch wenn es immer noch Zeitgenossen gibt, die den Zustand der Welt verteidigen, die meinen, die Geschichte entwickelt sich so rasant, dass man sich anstrengen müsse, um mitzukommen, selbst die werden nicht leugnen können, dass man an dieser Welt verrückt werden kann.

Menschlichkeit, Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit existieren noch. Sie werden wieder sichtbar, wenn man den Blick vom Tablet oder Smartphone löst und aufschaut, hinausschaut in die echte Welt. Es kann doch nicht so schwer zu begreifen sein, was die virtuelle Welt ist und dass sie uns eine dauerhafte Befriedigung unserer menschlichen Bedürfnisse verweigern wird. Nur wenn wir sie bevölkern, kann sie weiterexistieren. Definition Duden: „virtuell - nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend“.

Sowohl ästhetisch, als auch inhaltlich sei diese Inszenierung besonders der Jugend empfohlen. Es werden zwar keine wirklichen Antworten gegeben, aber die Problematik wird destillatorisch so stark verdichtet, dass die Essenz der Aussage ätzt. Es ist eine blitzgescheite Inszenierung mit sehenswertem Schauspiel. Sehenswert und - die Jugend möge mir verzeihen - didaktisch wertvoll!

 

Wolf Banitzki

 


Und jetzt: Die Welt

von Sibylle Berg

Karolina Horster, Lorna Ishema, Lenja Schultze

Regie: Jessica Glause