Sein oder Nichtsein
Volkstheater Sein oder Nichtsein von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch
Eine Lanze für das Sein
„Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch (1892-1947) hat, abgesehen davon, dass es ein filmischer Geniestreich ist, zweifellos Kultstatus. Das hängt nicht zuletzt mit der Polemik zusammen, die die Uraufführung des Films ausgelöst hatte und die eine Weile anhielt. Meisterlich inszeniert, erzählt der Film von der polnische Widerstandsbewegung. Er wurde in seiner Form als Komödie von vielen Antifaschisten als „geschmacklos“ empfunden. Bosley Crowther ging in seinem Urteil noch ein stückweit darüber hinaus: „Man hat den merkwürdigen Eindruck, Mr. Lubitsch sei Nero, der spielt und singt, während Rom brennt.“ (New York Film Reviews, Volume 3) Lubitsch beteuerte einige Jahre später in einem Brief an Herman G. Weinberg: „Es war nicht meine Absicht, die Polen zu verspotten. Ich wollte lediglich das Schauspielermilieu verhöhnen, aber vor allem die Sitten und Gebräuche der Nazi-Wahnsinnigen und des Nazi-Geistes zeigen, der die deutsche Gesellschaft in seiner Gewalt hatte. Ich glaube, mein Film war wahrhaftiger als die künstlerischen (die literarischen und die anderen) Werke, die den Hitlerfaschismus auf die Tätigkeit eines bestimmten Personenkreises beschränken.“
Niemand würde Lubitschs Komödie heute infrage stellen. Auch Chaplin plagten starke Zweifel bezüglich seines „Der große Diktator“, nachdem er die Wahrheit über die Konzentrationslager erfahren hatte. Wer würde heute „Der große Diktator“ infrage stelle? Woody Allen erklärte das Prinzip historische Komödie in seinem Film „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“. Er legte Alan Alda, der einen erfolgreichen Serienproduzenten spielte, den Satz in den Mund: „Komödie ist Tragödie plus Zeit.“ So albern das aus dem Mund des aufgeblasenen, selbstverliebten Machers auch klingen mochte, die Formel entbehrt nicht einer gewissen Logik. Die (Film-) Geschichte gibt Woody Allen Recht.
Pascal Fligg, Jakob Geßner, Christoph Müller, Mara Widmann © Arno Declair |
Nick Whitby (Jahrgang 1963) adaptierte den Film für die Bühne. Das Stück kam 2008 am Broadway zur Uraufführung. Inhaltlich blieb Whitby im Rahmen des Films. Die Geschichte spielt im Zeitraum der Besetzung Polens am 1. September 1939 und in dem folgenden Jahr. Polen ist in einem dreiwöchigen „Blitzkrieg“ niedergeworfen und zerstört worden. Der politische und militärische Widerstand, z.T. nach Großbritannien geflohen, z.T. im Land verblieben, formiert sich. Es ist eine Geschichte um eitle Schauspieler, „Seitensprünge“ und enttäuschten Hoffnungen auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten. Schließlich entwickelt sich eine Spionagegeschichte, die das Ensemble zwingt Farbe zu bekennen. Sie inszenieren eine Farce, in der sie die deutsche Gestapo, in Persona Gruppenführer Erhardt und Sturmführer Schulz, zwei ausgemachte Trottel, an der Nase herumführen. Schließlich können die Darsteller, insbesondre Josef Tura, die versehentlich in die Hände der Gestapo gelangten Informationen über den polnischen Widerstand an sich bringen und anschließend mit einem Flugzeug, gesteuert vom „Fehltritt“ Maria Turas, dem Piloten Leutnant Sobinski nach Schweden entkommen.
Regisseurin Mina Salehpour inszenierte Theater im Theater, bunt, schrill und mit sehenswerten szenischen Lösungen. Dabei konnte sie ganz auf die flüssige, bonmotreiche Komödiensprache Lubitschs vertrauen. Jorge E. Caros Bühne war durchgängig die Bühne des Theaters der Truppe um den Impresario Dowasz, die zugleich auch der Sitz der Gestapo war, die im Nationaltheater ihre Zelte aufgeschlagen hatte. (Kennst du ein Theater, kennst du sie alle!) Ortswechsel wurden glaubhaft und „einleuchtend“ durch Lichteinstellungen realisiert. Die üblichen Insignien der Macht, wie Reichsadler und Hakenkreuz waren gnadenlos karikiert worden. Der Adler war ein muckibudengestählter Vogel mit dickem Bizeps und das Hakenkreuz war durch zwei gekreuzte Hanteln ersetzt worden. Es war eine Diktatur von lächerlichen Kraftmeiern. Im Spiel wurde hemmungslos geknattert, chargiert, antichambriert und kolportiert. Die Regie überraschte indes auch mit „slow motion“ Szenen und kleinen magischen Kabinettstücken. Als Running Gag fungierte die Antwort „Ich heil mich selbst!“ auf „Heil Hitler!“
Mina Salehpour verfuhr, ganz im Sinne von Ernst Lubitsch, hemmungslos beim Entlarven der Schwächen von Schauspielern, deren bedeutendste ganz sicher die Eitelkeit ist. Pascal Fligg trat als Josef Tura jedes Mal zum großen Monolog „Sein oder Nichtsein“ auf, als sei es das letzte Mal. Er gab einfach alles, um die Welt von seinem unfassbaren Genie zu überzeugen. Mara Widmanns Maria Tura indes intrigierte in beinahe jedem Satz. Dem „göttlichen Poltern“ ihres Mannes begegnete sie mit weiblicher List, peinlich durchschaubar und dennoch wirkungsvoll. Christoph Müller, korsettierter Gruppenführer Erhardt und Don Juan für Arme, ließ deutschen Stumpfsinn aufblitzen wie eine durchbrennende Glühbirne. Ihm zur Seite stakste stechschrittartig Jakob Geßner als blödsinniger und willfähriger Homunkulus des Systems und Vollstrecker nationalsozialistischer Gesinnung. Es war eine kurzweilige Veranstaltung, in der dem Zuschauer auch die Möglichkeit geboten wurde, sich seiner altbewährten Vorurteile gegen das Theater und dessen Protagonisten zu versichern und sie genüsslich zu pflegen.
Das „Happy end“ des Films wurde dem Zuschauer im Volkstheater allerdings auf ziemlich brachiale und unerwartete, fast kathartische Weise vorenthalten. Das tat dem Spaß einen deutlichen Abbruch. Regissuerin Mina Salehpour, selbst im Iran geboren, holte Publikum und die Darsteller, man konnte es Oliver Möller in der Premiere (Shylockversessener und Lanze tragender Schauspieler Grünberg und Jude) deutlich ansehen, schlagartig und effektvoll in die Realität zurück. Damit nicht genug, in der letzten Szene vor dem Vorhang musste sich das Publikum zudem noch eine aktuelle und bohrende Frage gefallen lassen. Welche? Das sollte vor Ort herausgefunden werden. Es lohnt sich allemal. Ein gelungener Auftakt in die neue Spielzeit am Münchner Volkstheater!
Wolf Banitzki
Sein oder Nichtsein
von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch
Miguel Abrantes Ostrowski, Pascal Fligg, Jakob Geßner, Christoph Müller, Jonathan Müller, Oliver Möller, Leon Pfannenmüller, Mehmet Sözer, Magdalena Wiedenhofer, Mara Widmann Regie: Mina Salehpour |