Die Präsidentinnen
Volkstheater Die Präsidentinnen von Werner Schwab
Maßlos
Ein neuer Farbfernseher ist angeschafft worden. Das ist ein guter Grund zum Feiern und so treffen sich die Putzfrauen Erna, Grete und Mariedl, um das mit einer Pabstmesse zu tun. Das Leben ist nicht zimperlich mit ihnen umgegangen und sie gehen nicht zimperlich mit dem Leben um. Da muss man auch schon mal in den Stuhl der Welt greifen, um in die Realität zu tauchen. Überhaupt ist es der Schmutz, der alles Gute, Reine und Erhabene bedroht und darum ist es auch so wichtig, täglich seinem Mann, resp. Frau zu stehen im Kampf. Auch persönlich gibt es gute Gründe zur Klage. Erna hat einen Sohn, den Hermann, der sich dem Verkehr verweigert, um ihr keine Enkel zu schenken. Zudem ist er ständig betrunken, weil er den Leberkäs nicht mag und nur Schnaps dagegen hilft. Dabei macht der Metzgereiladenbesitzer Wojtyla, zwar ein Pole, aber immerhin, den besten Leberkäs und Dank einem Versprechen hat er den Leberkäs auch lebenslang tiefpreisgesenkt. Der Wojtyla wär‘s. Auch Grete hat ihr „fettes“ Los zu tragen. Die älteste Tochter ist auf und davon nach Australien. Der Vater hatte sie immer bestiegen. Aber das kann Erna verstehen, denn er hat ihr geschworen, dass die Tochter ebenso schön ist, wie die Erna einst war. Wie kann man ihm da böse sein? Und als die Tochter ging, ging auch der Ehemann. Bleibt noch der Dackel. Mariedl indes hat ihre Erfüllung gefunden. Gibt es denn eine wichtigere Person als eine Klofrau, wenn die Muschel verstopft ist und überläuft wie bei der Sintflut. Das ist Mariedls Stunde, dann greift sie an und zu. Handschuh lehnt sie ab. Nur in der Aufopferung zeigt sich wahre Frömmigkeit. Und überhaupt: Blasphemie macht sie wütend.
Und so träumen sich die drei in ein Leben, das ein einziges Fest ist. Mariedl wird vom Pfarrer beschenkt. Eine Dose Goulasch, ein Bier und ein Fläschchen Parfüm, deponiert in verstopften Klos, bringen sie ihrer absoluten Seligkeit sehr nahe. Der Wojtyla erkennt die Werte der Erna und hält um ihre Hand an, um sie zur Metzgereiladenbesitzerin zu machen. Und um Grete hält ein fescher Tubaspieler und Gutsbesitzer an. Das letzte große Hosianna liegt bereits in der Luft, als Streit aufkommt und Mariedl, die von Gier nach Anerkennung Getriebene, rachelüstern die Realität beschwört. Es kommt zum Äußersten.
Dieses vom Autor Werner Schwab, der letzte wirklich böse Bube Österreichs des 20. Jahrhunderts, als Fäkalstück bezeichnete Drama, ist kein Sozialdrama, denn es geht darin nicht vordergründig um Menschen am Rand oder im Bodensatz der Gesellschaft. Es geht um die philosophische Aufhebung des Monströsen. Die Philosophie der „Putzfrau“ folgt einer eigenen Logik. Aufgeladen mit simplen, z.T. recht blödsinnigen religiösen Inhalten, wird die Welt heruntergerissen auf Gut und Böse. Es gibt für alles einen Schuldigen und es gibt für alles Opfer. Selbstmitleid ist eine Tugend und Schuldbewusstsein das Schmiermittel für Bösartigkeiten, die man anderen Menschen antut. Schwabs Werk ist an Radikalität kaum zu überbieten und Regisseur Abdullah Kenan Karaca wird diesem Anspruch mit seiner Inszenierung am Volkstheater durchaus gerecht.
Paul Behren, Moritz Kienemann, Max Wagner © Gabriela Neeb |
Sita, mit bürgerlichem Namen Sven Schmidt, schuf für das Kaffeekränzchen kein muffiges Wohnzimmer, sondern einen Stall mit drei Boxen, deren Wände verschiebbar waren. Darin waren die drei Frauen gefangen wie Wesen, die man zur Mast oder zur Arbeit hält. Berührungen wie Schläge oder Streicheln waren nur über die hohen Zwischenwände hinweg möglich. Die Kostüme, ebenfalls von Sita, waren von spießig mit Plisseekleid bei Erna bis prollig mit Jeans und rosafarbenem Synthetikkuschel. Im Verlauf der Vorstellung entkleideten sich die Darsteller und übrig blieben die Figuren im Bodysuit: Erna – flach- und hängebrüstig mit ausladendem Becken; Mariedl – proper und wohlproportioniert, ein Körper der von physischem Fleiß zeugte und Grete – einfach nur fett und unförmig.
Dass Abdullah Kenan Karaca auch Schauspieler zu führen weiß, ist seit „Arabboy“ und „Der große Gatsby“ hinlänglich bekannt. Was er in dieser Inszenierung aus seinen Darstellern Paul Behren (Erna), Moritz Kienemann (Mariedl) und Max Wagner (Grete) heraus kitzelte, war faszinierend. So unterschiedlich die Temperamente der Figuren waren, so gravierend unterschieden sich die drei Darsteller in ihrer Spielweise. Max Wagners Grete ruhte in sich, und mit ruhte ist ein Zustand bezeichnet, in dem selbst die Molekularbewegung zu enden schien. Die größte Herausforderung für diese Grete war das „Auf-die-Beine-kommen“ und das „Sich-zur-unerschütterlichen-Ruhe-betten“. Durch übermäßige Wut aufgebracht, wurde der Körper zu einer tödlichen Bedrohung. Paul Behren gab seine Erna als eine „kultivierte“, spitzlippige, schnippische Frau, die vorgeblich Schmerzen litt, wenn in Fäkalsprache geredet wurde. Dabei war Stuhlgang eines der dominierenden Themen im Stück. Sie fühlte sich unbedingt zu Höherem berufen. Die Mariedl von Moritz Kienemann war wie ein Frettchen auf Speed, ständig in Bewegung, ständig an sich herum zupfend und kauend, wobei sie den vorderen Teil ihres Pullovers bereits ihre Verdauungsorganen überantwortet hatte.
Das Spiel war schlichtweg eine Augenweide und ein Ohrenspaß, denn Schwabs Sprache ist einzigartig, auf eine sehr perverse Weise poetisch und maßlos, so maßlos, wie alles an Werner Schwab war, selbst sein Tode. Als man am 1. Januar 1994 seinen Leichnam in seiner Wohnung fand, wies sein Blut 4.1 Promille Alkohol auf. Er starb an einer Atemlähmung. Das Wunderbarste an dieser Inszenierung war, dass es nicht zur Ekelorgie gerann. Es war ein dramaturgisch gut durchgearbeiteter Theaterabend, der als philosophisch bezeichnet werden darf, - keine platte Vulgata des Schocktheaters. Abdullah Kenan Karacas Inszenierung bewies mit Nachdruck, dass Schwab kein Schmuddeldramatiker war, sondern ein sehr ernstzunehmender Autor, dessen Werk, anders als sein Schöpfer, noch eine Zukunft hat.
Wolf Banitzki
Die Präsidentinnen
von Werner Schwab
Paul Behren, Moritz Kienemann und Max Wagner Regie: Abdullah Kenan Karaca |