Volkstheater Dämonen von Lars Norén


 

Die Sehnsucht stirbt zuletzt

Stücke mit zwei Paaren sind scheinbar im Trend, siehe Jasmin Rezas „Gott des Gemetzels“ oder „Geächtet“ von Ayad Akhtar. Es ist eine exzellente dramaturgische Ausgangssituation, um mit der psychologischen Abrissbirne die Potemkinschen Beziehungsfassaden einzureißen und die ganze Erbärmlichkeit der bürgerlichen Eheexistenz bloßzulegen. Jede zweite Ehe wird geschieden. Da kann man getrost von Erbärmlichkeit sprechen, zumal es keine Garantien gibt, dass die verbliebenen anderen 50 Prozent der Ehen harmonisch, glücklich und intakt sind. Jeder kennt Beziehungen, die lediglich aus Versorgungsgründen oder wegen der gesellschaftlichen Zwänge Bestand haben, in denen irrsinnig viel Energien aufgewendet werden, um den Schein zu wahren, die aber eigentlich wahre Höllen sind. Wenn das Modell Ehe oder monogame Beziehung infrage gestellt ist, dann doch wohl aus gutem Grund.

Der 1944 geborene schwedische Dramatiker Lars Norén ist seit Ende der 70er Jahre als Dramatiker eine feste Größe in den Spielplänen Skandinaviens, was nicht zuletzt Beweis oder zumindest Indiz dafür ist, dass seine Stücke den Nerv der Zeit treffen. „Dämonen“ ist so etwas wie eine verknappte Comic-Version von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ Norén analysiert und psychologisiert nicht; er zitiert die Sprache der Verlorenen, deren Sätze immer wieder mit „Ich“ beginnen und die, wenn sie zum „Du“ kommen, ihren Aggressionsstau kaum unter Kontrolle haben. Seit neun Jahren lebt das kinderlose, wohlsituierte Paar zusammen. Frank: „Ich liebe dich. Aber ich kann dich nicht leiden.“ Und Katarina: „Ich will nur weglaufen.“ Doch sie tut es nicht. Das gemeinsame Martyrium hat längst den Status quo eines Betonfundaments erreicht: „Entweder ich bringe dich um, oder du mich, oder wir trennen uns, oder wir machen so weiter.“

  Daemonen  
 

Carolin Hartmann, Jakob Geßner, Jean-Luc Bubert, Magdalena Wiedenhofer

© Gabriela Neeb

 

Es ist kein normaler Tag, an dem die Geschichte spielt. Frank hat die Urne seiner verstorbenen Mutter zugeschickt bekommen, die am nächsten Tag bestattet werden soll. Man wartet auf den Bruder, doch der sagt zu beider Entsetzen für den Abend ab, will erst zur Beisetzung anreisen. Das bedeutet, die beiden sind einander schutzlos ausgeliefert für den Abend. Schnell entscheidet man sich, die Nachbarn Jenna und Thomas einzuladen. Das Unvermeidliche findet dennoch statt, nur kann am Ende auch die Beziehung der Nachbarn unter Kollateralschaden verbucht werden. Allerdings bedurfte es dazu nur einiger weniger Stichwörter. Jenna, sie kämpft gegen den peinlichen permanenten Milch- und Schweißfluss an, ist mit ihrer Mutterrolle vollkommen überfordert und sehnt sich nach einem wirklichen Leben jenseits ihrer Pflichten. Frank macht ihr unverhohlene Avancen, was die verlegenheitstaumelnde Frau über die Maßen irritiert. Sie beklagt ihre Verkümmerung und schämt sich zugleich dafür. Katarina revanchiert sich mit gleicher Münze, was Thomas völlig überfordert. Als er zudem erfahren muss, dass seine Frau sich längst von ihm abgewandt hat, sich geradezu vor ihm ekelt, stürzt seine Welt aus Sehnsucht nach Playstation und Vaterstolz zusammen. Am Ende finden Frank und Katarina in Liebe zusammen, ohne sich deswegen leiden zu können. Katarina: „Liebst du mich? … Sag mir, dass du mich liebst. Sag es mir so, dass ich es dir glaube…“ Und Frank haucht in die untergehende Sonne: „Ich liebe dich.“ Hoffnung gibt es weder für das eine noch das andere Paar.

Für die Inszenierung auf der kleinen Bühne des Volkstheaters schuf Pia Greven eine Guckkastenbühne, die den Vorzug hatte, dass die Geschichte nicht heraus schwappen konnte. Die Piranhas blieben in ihrem Aquarium. Die Bühnensituation hatte allerdings auch einen nicht zu vernachlässigenden Nachteil. Die Körper der Darsteller waren bis auf ganz wenige Momente nie ganz zu sehen. So blieb die Darstellung immer ein wenig fragmentarisch. Regisseur Nicolas Charaux schuf eine hochkonzentrierte, enorm spannungsgeladene Inszenierung. Er tat dabei etwas, was heutigentags auf dem Theater selten geworden ist, er arrangierte nicht nur den Text, sondern auch die Pausen. Damit lud er die von latenten Aggressionen aufgeladenen Situationen bis zur Überspannung auf.

Jean-Luc Bubert spielte einen Frank, der nicht nur äußerlich an einen verschlagenen, bösartigen und ignoranten John Malkovich erinnerte. Bubert, der hier seiner vermutlich natürlichen Neigung, den entfesselten Furor zu geben, widerstehen musste, hatte beeindruckende Momente. Seine Jay Hawkins „I put a spell on you“ Karaoke-Nummer gehörte zweifellos dazu. Dabei war der Song gut gewählt, beginnt er doch mit den Zeilen: „Ich habe dich verzaubert / Denn du gehörst mir.“ Carolin Hartmanns Katarina glänzte nicht unbedingt durch maßvolle Zurückhaltung. Ihr provokanter Umgang mit Frank wies nahezu pathologische Züge auf. Der revanchierte sich mit unangekündigter physischer Gewalt. Beide waren in ihrer pervertierten Liebe gleichermaßen bösartig und schenkten einander nichts. Bis zur Erbarmungswürdigkeit geriet Magdalena Wiedenhofers Jenna. Sie gewann nie die Hoheit über die eigenen Beziehungsprobleme, hatte sie doch noch nicht einmal die Kontrolle über ihren Körper. Die, insbesondere für Männer schwer erträgliche Körperlichkeit von jungen Müttern, die ihren Milchfluss nicht unter Kontrolle haben, war auf unangenehme Weise glaubhaft. Tomas, von einem nickelbebrillten Jakob Geßner gespielt, wurde sich im Schlachtgetümmel schnell seiner Grenzen bewusst und litt bisweilen, wie alle anderen auch, unter Kontrollverlust.

Die eineinviertelstündige Inszenierung hatte berührende und komische Momente, obgleich sie einige Rhythmusstörungen aufwies, die wohl auch dem sehr brüchigen Text geschuldet waren. Sie war sehenswert, nicht zuletzt wegen der Leistung der Schauspieler. An Aktualität mangelte es ihr angesichts der fortschreitenden Beziehungslosig- und unfähigkeit in der heutigen Gesellschaft nicht, denn die Sehnsucht, die in Melody Gardots „ Love Me Like A River Does“ musikalischen Ausdruck fand, stirbt zuletzt, wenn alle Hoffnung längst perdu ist.

Wolf Banitzki

 


Dämonen

von Lars Norén

Jean-Luc Bubert, Jakob Geßner, Carolin Hartmann, Magdalena Wiedenhofer

Regie: Nicolas Charaux