Volkstheater Der Sturm von William Shakespeare


 

Heidenspaß

Ein geborstener Schiffsleib türmte sich düster und sperrig am Strand einer imaginären Mittelmeerinsel als Symbol seemännischen Scheiterns auf. (Bühne: Stefan Hageneier) Der kundige Zuschauer wusste natürlich, dass dieses Unglück nicht dem ziellosen Treiben der Natur geschuldet war, sondern einem ausgeklügelten Plan Prosperos zufolge passierte. Der einstige Herzog von Mailand hatte seinen Diener Ariel beauftragt, das Unglück herbei zu führen, allerdings ohne den Passagieren oder Crewmitgliedern ernstlich zu schaden.

An Bord des Schiffes: Alonso, König von Neapel und sein Sohn Ferdinand; Antonio, der intrigante Bruder Prosperos, der selbigen 12 Jahre zuvor vom Thron stieß und sich selbst zum König von Mailand ernannte; Gonzalo, „ein ehrlicher alter Rat“, der Prospero und seiner Tochter Miranda das Überleben sicherte, indem er beide mit Nahrung und Lektüre ausstattete, als man sie in einem segel- und ruderlosem Boot auf dem Mittelmeer aussetzte. Neben Sebastian, Bruder des Königs Alonso, waren noch die Besatzungsmitglieder  Stephano und Trinculo mit von der Partie. In Christian Stückls Inszenierung verkörperten sie den Kapitän und den Bootsmann des Königs. In Shakespeares Text waren sie als betrunkener Kellner und Spaßmacher ausgewiesen.

Prospero, der den Plan eingefädelt hatte, sah endlich seine Stunde gekommen, sein Reich zurück zu erobern und Rache zu nehmen an seinem Bruder, der sich auf der Rückreise von Marokko befand, wo Alonso gerade seine Tochter verheiratet hatte. Als Wissender, dank der Lektüre, mit der Gonzalo ihn versorgt hatte, war ihm die Macht gegeben, alle Wesen, hier zumeist Geister und Monstren, zu unterwerfen. Einer von ihnen war der im „faulen Moor“ lebende Caliban, Sohn der Hexe Sycorax und des Teufels, den Prospero domestizierte, kultivierte und zu seinem Sklaven machte. Es war eine märchenhafte Welt, in der die Konflikte allerdings sehr weltlich blieben.

  Der Sturm Volkstheater  
 

Pascal Fligg und Enno Haas

© Arno Declair

 

So prallte auf der weitestgehend unbewohnten Insel Ferdinand, testosterongesättigt von Jonathan Müller gespielt, auf Miranda; beide werden am Ende naturgemäß ein Paar. Carolin Hartmann näherte sich der unerwarteten Männlichkeit wenig zögerlich. In einer Welt, in der es nur den Vater oder das Monster Caliban gab, entwickelte sich eben kein Schamgefühl. Caliban, Timocin Ziegler gab ein gequältes, fast Mitleid erregendes Wesen, hatte sich ihr zu nähern versucht, was er teuer mit seiner gnadenlosen Unterdrückung durch Prospero bezahlen musste. Pascal Fliggs Prospero war weniger der integere und unerschütterliche (Insel-) Fürst. Er zeigte etliche Schwächen, die in der Shakespearschen Figur durchaus angelegt sind. In einem togaartigem Gewand erinnerte er an einen griechischen Gelehrten, in seiner inneren Zerrissenheit und in seinem schäumenden Temperament an einen Sokrates für arme Geister. Pascal Fligg, seit 2009 am Volkstheater, hat sich zu einer tragenden Säule des Ensembles gemausert, was er auch in dieser Rolle nachdrücklich unter Beweis stellte.

Roman Roths Antonio und Mehmet Sözers Sebastian waren geckenhafte Gesellen, deren tödliche Intrigen wie Strohfeuer in Lächerlichkeit verpufften. Nicholas Reinkes Alonso, der Mann ist immerhin König von Neapel, mutierte, wann immer er an seinen totgeglaubten Sohn Ferdinand dachte, zur Heulsuse. Zwei Darsteller fielen aus dem Rahmen der beherzt derben Inszenierung Christian Stückls. Thomas Kylau spielte den Gonzalo, einen alten, weisen und gutherzigen Mann als fragiles Wesen, das in der Welt von Macht und Intrigen permanent zu zerbrechen drohte. Er wirkte ein wenig außer- oder überirdisch, als er recht unvermittelt seinen Traum von der Welt entwarf, in der es keinen Besitz mehr gibt, in der der Mensch in Einklang mit der Natur und friedlich mit der Gesellschaft lebt. Vielleicht war dieser Shakespearsche Text Inspiration für Thomas Morus „Utopia“? Oder vielleicht hatte sich Edvard de Vere (der wirkliche Shakespeare) in Gesprächen mit dem Lordkanzler inspirieren lassen? Leider ging diese Passage, die angesichts ihrer Entstehungszeit doch höchst erstaunlich ist, im tumultigen Spiel ein wenig unter. Immerhin hatte Christian Stückl nicht auf diese Passage verzichtet. Kylaus Zartheit indes rührte an. Enno Haas, ein 2002 geborener Münchner Gymnasiast, gab den Luftgeist Ariel. Sein fehlendes schauspielerisches Handwerk kompensierte der knabenhafte Darsteller mit einer erstaunlichen sprachlichen Präsenz. Das Kostüm von Stefan Hageneier entrückte ihn endgültig und wirklich sehenswert in das Feen- und Geisterreich.

Es ist hinlänglich bekannt, dass das Elisabethanische Theater dem Volkstheater sehr nahe stand und dass sich selbst der Hochadel nicht zu fein war für grobe Späße. Christian Stückl ließ es folglich auch richtig krachen. Und wenn er dabei auf Darsteller wie Jakob Geßner (Trinculo) und Jean-Luc Bubert (Stephano) zurückgreifen kann, bleibt kein Auge trocken. Die beiden Vollblüter gaben alles und das war sehr viel. Vielleicht ein wenig zu viel, denn das große Fäkal-Duett, nachdem beide, wie bei Shakespeare in nur einem Satz angedeutet, der Latrine Prosperos entstiegen, geriet sehr unappetitlich. Auch erschloss sich der Sinn nicht recht. Ungeachtet dessen war es ein Heidenspaß und die 105 Minuten verflogen in Windeseile.

Das Programmheft zitiert Andreu Jaume und seinen Text „Die Macht Shakespeares“, in dem  Jaume das Rätsel Shakes­peares benennt. Der Spanier meint, es bestünde darin, dass Shakespeare über die Fähig­keit verfügte, „hinter allen seinen Personen zu ver­schwinden“, ohne sich irgendeiner poli­tischen oder mora­lischen Tendenz zu verschreiben. Christian Stückl hielt es ebenso und gab nicht vor, mit seiner Inszenierung etwas zu wollen. Damit, indem er die Geschichte schwungvoll und allen überflüssigen Beiwerks entledigt erzählt, fuhr er eine gute Ernte ein. Unterhaltsam war es und Moral gab es auch. Ohne Zeigefinger lehrte die Geschichte eine Menge über den Menschen im Allgemeinen und im Besonderen. Ja, so ist das nun mal mit großer Literatur: Sie bleibt immer in ihrer frischen Blüte.

Wolf Banitzki

 


Der Sturm

von William Shakespeare

Pascal Fligg,  Roman Roth, Carolin Hartmann, Nicholas Reinke, Mehmet Sözer, Jonathan Müller, Thomas Kylau, Timocin Ziegler, Jakob Geßner, Jean-Luc Bubert, Enno Haas

Regie: Christian Stückl