Volkstheater Das Schloss nach Franz Kafka


 

Theater total

K., Landvermesser seines Zeichens, ist endlich, nach langer beschwerlicher Reise, im tiefverschneiten, frostklirrenden  Dorf angekommen. Der Graf Westwest hat nach seinen Diensten verlangt. Für einen Besuch auf dem Schloss ist es zu spät und so fragt K. um eine Übernachtungsmöglichkeit im Wirtshaus nach. Dort erklärt man ihm, dass es einer Genehmigung bedürfe, denn sonst könnte ja jeder Landstreicher im Dorf Quartier nehmen. Die Genehmigung wird selbstredend vom „Schloss“ erteilt. Am nächsten Tag wird die Genehmigung erteilt und es hat den Anschein, als seien die Angaben K.s, er sei bestellter Landvermesser, bestätigt worden, doch darüber hinaus gab es keinerlei Direktiven, wie K. sich fürderhin verhalten solle.

K. beginnt zu begreifen, dass die ablehnende Haltung der Dörfler keine Böswilligkeit ist, sondern einer hierarchischen Ordnung geschuldet ist, die alles und jedermann im Griff zu haben scheint. Als seine Gehilfen anreisen, die K. auf dem Fuße folgten, erkennt er sie nicht als seine alten Gehilfen. Auch haben sie die nötigen Gerätschaften und Instrumente nicht dabei.  Alles mutet sehr seltsam an. Die Zeit vergeht und nichts geschieht. Alle Versuche, Kontakt mit dem Schloss aufzunehmen, scheitern und bald schon wird K. vom Leben eingeholt. Er beginnt eine Beziehung zu Frieda, dem Mädchen vom Ausschank. Als K. erfährt, dass Frieda die Geliebte Klamms, des Dorfvorstehers und direkten Vorgesetzten K.s, ist, bangt er um seine Stellung, die er ohnehin nicht wirklich innehat. Als Mann mit Grundsätzen hält er kurz und bündig um die Hand Friedas an. Dann überbringt ein Bote namens Barnabas einen Brief vom Schloss, in dem K.s Arbeit sehr lobend erwähnt und ihm eine baldige Entlohnung in Aussicht gestellt wird.

Als das Schloss schließlich erfährt, dass K. gar nicht als Landvermesser tätig ist, wird dem ratlosen Mann mitgeteilt, dass man sich gar nicht erklären kann, wie es überhaupt zu der Bestellung kommen konnte, hat man doch gar keinen Bedarf. Man ernennt ihn zum Schulgehilfen und weist ihm und seiner Braut, die unter seinen Händen zusehends verblüht, das jeweils unbenutzte Schulzimmer als Wohnstatt zu. K.s Verzweiflung wächst. Alle seine Versuche, die Situation zu klären, erregen Verdacht. Keckheit, wird ihm vorgeworfen, sogar Böswilligkeit. Der ersehnte Kontakt mit wichtigen Vorgesetzten aus dem Schloss erweist sich als Desaster. K. hat nicht in zufriedenstellendem Maße kooperiert.  Hoffnungs- und Ausweglosigkeit allenthalben.

  Das Schloss VT  
 

Mara Widmann, Silas Breiding, Jakob Geßner

© Arno Declair

 

Der 1982 in Lunéville geborene Regisseur Nicolas Charaux setzte Kafkas „geheimnisvollste und schönste Dichtung“ (Hermann Hesse) auf der Bühne des Volkstheaters in Szene. Ihm gelang eine furiose, hochartifizielle, faszinierende Inszenierung, die man getrost als Theaterereignis bezeichnen kann. Charauxs totales Theater verlangte den Darstellern, von denen keiner in den Vordergrund treten konnte, obgleich jeder seinen „großen Auftritt“ hatte, alles ab. Es wurden Dialoge auf komischste Weise in Onomatopoetik, in Lautmalerei verwandelt, die Darsteller hatten pantomimische und chorische Parts. Immer jedoch wurde ihnen eine totale Körperlichkeit abverlangt. Dabei gestaltete Charaux nicht einfach nur Szenen, in denen Protagonisten ausgestellt agierten, stets waren alle Darsteller in die Handlung und deren Fortgang einbezogen. Das muss man erst einmal können. Die Inszenierung war Schauspiel, Ballett und Sprechkunst, wobei die Darsteller auf Texte zurückgreifen konnten, die zu den schönsten und ausdrucksstärksten in der deutschen Literatursprache gerechnet werden können. (Spielfassung: Nicolas Charaux und Nikolai Ulbricht)

Die Bühne von Pia Greven bestand aus einem drehbaren, asymmetrischen  Raum, der durch Klapp/Faltrollos transparent gestaltet werden konnte. Dieser Raum stellte vornehmlich das Wirtshaus vor, das auch schon mal zur Tretmühle für K. wurde, wenn er in seiner Hilflosigkeit durch die Fallstricke der Hierarchien wandelte, zumeist geistig, denn eigentlich kam er der Hierarchie nie wirklich nahe. Die Kostüme von Cátia Palminha bestanden aus dicken braunen Pelzmänteln, Pelzkappen  und  grauer, angeschmutzter Overallunterwäsche. Irgendwie fühlte man sich in die Welt Roman Polanskis (Tanz der Vampire), auf den froststarren, tief verschneiten Balkan versetzt. Doch während der Film Polanskis eine heitere Komödie ist, transportierte die Volkstheaterinszenierung eine diffuse Angst, die heutigen tags sehr real zu sein scheint. Sind wir nicht auch Hierarchien ausgeliefert, die scheinbar unabhängig von unserem Willen Entscheidungen fällen, deren Ergebnissen wir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind? Kennen wir alle diese Hierarchien, die über uns entscheiden, überhaupt noch? Sind wir nicht auch schon in einem Selbstüberwachungsmodus, weil wir nicht mehr recht abschätzen können, welche Folgen unsere Worte oder unsere Handlungen für uns selbst haben können? Ist Keckheit nicht vielleicht ein anderes Wort für politische Unkorrektheit?  

Nicolas Charaux gelang mit seiner Arbeit etwas, was für Theater eine Höchstleistung bedeutet: Er unterhielt auf höchstem ästhetischen Niveau, war bildgewaltig in der lustvollen Körperlichkeit seiner Akteure, er war brandaktuell, was den emotionalen Status unserer Gesellschaft anbelangt und er schaffte das alles ohne platte politische Vordergründigkeiten. Dass er acht wunderbare Schauspieler unübersehbar glücklich gemacht hat, war dabei nur ein wundervoller Nebeneffekt.

Diese Inszenierung hat durchaus Maßstabcharakter, weil hier einer am Werk war, der ein großes Thema intellektuell bewältigte und zugleich eine kongeniale theaterale Bebilderung schuf, die dauerhaft im Gedächtnis bleiben wird. Dieses Vergnügen sollte man sich nicht entgehen lassen. In Zeiten von Performance, Politdiskurs oder einfach nur öder Selbstdarstellung kann hier erschaut werden, was bewegende Schauspielkunst wirklich zu leisten vermag. Chapeau und Danke!

Wolf  Banitzki


Das Schloss

nach Franz Kafka

Luise Kinner,  Pola Jane O´Mara, Mara Widmann,  Carolin Hartmann,  Jonathan Müller, Mehmet Sözer, Jakob Geßner,  Silas Breiding

Regie: Nicolas Charaux