Volkstheater UA Dogtown Munich von Herbert Achternbusch


 

Wie Alles und Nichts zusammenhängt

im Nabel der Welt, das kann man im Theaterstück von Herbert Achternbusch erfahren. Und, wer könnte besser Bescheid wissen als er, lebt er doch in Hörweite vom Marienplatz, lauscht am Puls der Zeit, sammelt seit Jahrzehnten in seiner bayerischen Seele die Bilder vom Hiersein im Dasein. Das Werk „Dogtown Munich“ (Titel sprachlich angepasst an die Gegenwart) wirkt wie ein Vermächtnis in dem Herbert Achternbusch noch einmal seine Welt, seine Wahrheiten ausbreitet und damit auch offenbart, welch wuida Hund er doch ist. Lebenslang schon streift er durch die Stadt, beobachtet die Leute und die Kehrmaschinen, mit denen eine Ordnung aufrecht erhalten wird, die bisweilen nur vom wirklichen Verhau ablenken soll.

Weißer giftiger Nebel schlich durch die Türe auf die Bühne. Hut und Überwurf, der Schatten eines Mannes tauchte auf, der sich langsam in den Raum bewegte. Der sagenumwobene Herakles wandelte still, während die Stimme eines Gottes aus dem Off die Geschichte der Stadt Argos erzählte, einem in tausenden Jahren von verschiedenen Kulturen geprägten Ort am Peloponnes. Eine Partnerstadt von München, könnte man meinen, wo Meinung doch heute Alles ist. Doch wäre es ebenfalls möglich, dass Herkules Achternbusch mit Argosaugen den Blick auf den „blühenden Wartesaal auf Nichts“ richtete. Gleich einem Objekt im Fokus - „meine Erwartungshaltung ist gefährdet“ - verharrte die Figur, gestützt auf eine Krücke, unter dem von der Decke hängenden weiß erleuchteten Kranz.

Und, unmittelbar stand die achtjährige Zunge auf dem erlauchten Marienplatz. Zäh zog sie aus ihrem Mund den Kaugummi, wie die immergleichen Worte aus den Mündern der unmündigen Kinder heraus kommen. Sie richtete mit ausgestrecktem Arm den, dünn in der Luft schwingenden Gummifaden auf Zuschauer. Kontaktaufnahme, klebrige. „Duzi … duzi …“, nuschelte dazu der künstlich beleibte Junge und zog seine Runden um die Spielfläche auf der es zu wimmeln begann. Moritz Kienemann überzeugte als netter unbeholfener Junge, bevor er als Gott im grünen Anzug in die Ecke gestellt wurde. Lebendigkeit, unerwünschte. „Da Nichts auf einer Ebene bleibt“, nahm das Stück nun auf verschiedenste Weise an Fahrt auf.

   DogtownM  
 

 Julia Richter, Moritz Kienemann, Timocin Ziegler, Leon Pfannenmüller

© Gabriella Leeb

 

Regisseurin Pinar Karabulut schuf mit der Inszenierung einen bunten um sich kreisenden Kosmos, der immer deutlicher an Tempo zunahm. Bis schließlich fast atemlos die inspirierten Darsteller die Kleider wie die Rollen wechselten, immer neue andere Bilder erzeugend. Timocin Ziegler wandelte erst als Herakles still, dann als cooler Kerl mit ebenso lässiger Brille wie Haltung über den Marienplatz. Schließlich bewies er Kenntnisse in türkischer Sprache. Vielfalt, modern. Zunge wurde von Julia Richter verkörpert, die als frech ungezwungenes Mädchen hüpfte, tanzte, schlenderte. Doch bald reifte sie zur bildschönen Maria, die im Zentrum des heiligen Scheins erstrahlte. Idol, präsentiert. Als sich die Vergangenheit wichtig machte, ging es richtig rund. Die von der Mariensäule gestiegene Maria erzählte von ihrem Verhältnis mit Adolf, dessen Folgen. Daraufhin gebar sie auf wunderbare Art die Weißwurst und das obwohl „mein Herz ein blutiges Schnitzel ist“. Erstmal auf dem Boden der Tatsache angekommen, landete Maria anschließend ziemlich schnell im hellen Schein des roten Lichts. Und das, während feierlich mit weißem Hut und weißem Anzug Leon Pfannenmüller stolzierte. Abgehoben rezitierte er, der vom lockeren Perückenträger zum Unantastbaren wechselte. Ideologie, ausgesprochene. Der Dunst der Meinungen zog immer wieder wie weißer giftiger Nebel über den schwarzen Platz. Man gehe davon aus, dass Alles und Nichts immer gleichzeitig jetzt und hier ist. So jedenfalls vermittelte es die spektakuläre Inszenierung. Wie soll man als Zuschauer da den Überblick behalten, oder gar Durchblick entwickeln. Selbst Argos käme dabei heutzutage ins Schwitzen, wie die Schauspieler in dem sich immer wieder hochschaukelnden Szenenwerk. Als stünden Bilder und Text in Konkurrenz, ergänzten sich, übertrumpften einander. Das kennt man doch von …

Ist München wirklich so auf den Hund gekommen, wie es der Titel vermuten lässt? Nun, die Zahlen der Zweibeiner und die ihrer Vierbeiner sind zweifelsohne unverhältnismäßig gestiegen in den letzten Tagen. Gestiegen sind damit auch der Ausstoß und die Verbreitung von Geräuschen und berauschenden Gasen. Hektisch highe Betriebsamkeit beherrscht die Plätze, beherrschte die Bühne.

Der Hundehaufen steht symbolisch für so manchen hundsmiserablen Mist, der auch im Nabel der Welt verbreitet wird. Egal, ob verbal oder anal. Herbert Achternbusch konnte an ihnen nicht einfach vorüber gehen, ohne seinen höchsteigenen Humor darüber zu breiten. Es ist die Poesie, die reine Poesie, die den Sieg davon trägt, den Sieg über Alles und Nichts. Und, scheiß der Hund drauf, man muss das Stück gesehen haben!

 

C.M.Meier
 
 

UA Dogtown Munich

von Herbert Achternbusch

Moritz Kienemann, Leon Pfannenmüller, Julia Richter, Timocin Ziegler

Regie: Pinar Karabulut