Volkstheater Baumeister Solness von Henrik Ibsen
Leben in der Lüge
Solness hat es geschafft; er ist Stararchitekt. Sein Name prangt in großen Leuchtlettern durch seinen Glas- und Stahlpalast (Auf der Bühne des Volkstheaters eher aus Folie und Aluminium.) wie der Name eines Dax-Unternehmens. Sein Haus (Bühne Stefan Hageneier) ist transparent, wie seine Lebenslüge am Ende des Dramas, und es ist ein Terrarium zugleich, in dem das Leben, abgeriegelt von der Außenwelt vergeht. Solness Karriere nahm ihren Anfang, als das Haus seiner Schwiegereltern niederbrannte und er endlich Land hatte, das er parzellieren und bebauen konnte. Seine Frau Aline zerbrach an dem Unglück, in dessen Folge auch noch die beiden Kinder verstarben. Die Gefühle für ihren Mann waren erstorben, beide leben nur noch apathisch nebeneinander her. Solness versucht, seiner Schuld mit aggressiver beruflicher Expansion zu begegnen, wobei er gänzlich frei von Empathie alles und jeden für seine Zwecke ausnutzt und ausbeutet. Maximilian Brückner ist mit der Rolle des Baumeisters Halvard Solness nach längerer Abstinenz wieder einmal am Volkstheater zu sehen. Dass er das gerne machte, war seinem fulminanten Spiel anzumerken. Brückners Solness war rauschhaft, aggressiv, beängstigend und endlich auch Mitleid erregend.
Anfänglich ein Demagoge reinsten Wassers, knickten ihm die Knie ein, als Hilde Wangel, gespielt von der punkigen, agilen Pola Jane O´Mara, die Bühne betrat. Mit ihr wurde Solness der Spiegel vorgehalten. Die Fassade begann zu bröseln und das morsche Gerüst seines Lebens zu wanken. Hilde Wangel war nach genau zehn Jahren erschienen, um ein Versprechen einzufordern, das Solness ihr auf dem Richtfest eines Kirchenbaus gegeben hatte. Hilde hatte ein Dezennium lang den Mann abgöttisch bewundert, der zehn Jahre zuvor den Richtkranz in luftiger Höhe am Turm einer Kirche montierte. Betrunken und nicht wirklich Herr seiner Sinne, hatte Solness das 12jährige Mädchen mit der Aussicht auf ein „Königreich“ sexuell gefügig gemacht.
Maximilian Brückner, Pola Jane O´Mara © Arno Declair |
Hilde rührte nun den Sumpf, den Solness sein Leben nennt, kräftig auf und die sprichwörtlichen und tatsächlichen Leichen traten an die Oberfläche. Er hatte seinen Assistenten, der gerade im Sterben lag, aus dem Weg geräumt und dessen begabten Sohn gnadenlos ausgebeutet. Der drängte auf Unabhängigkeit, doch Solness wusste, dass er dem strebsamen Ragnar Brovik auf Dauer nicht das Wasser reichen konnte. Mehmet Sözer gab einen steifen, korrekten und sichtlich zerrissenen Mitarbeiter, der mit viel Anstand versuchte, loyal zu bleiben, solange es nur ging. Dabei zog Solness seine Macht über Ragnar Brovik gar nicht vordergründig aus dem Dienstherrenverhältnis, sondern aus der emotionalen und sexuellen Abhängigkeit und Hingabe Kaja Foslis, der Verlobten Ragnars. Der würde solange im subalternen Dienstverhältnis bleiben, wie Katja auf ihrem Posten als Sekretärin verblieb. Luise Kinner gab eine zauberhaft naive Frau, die vom Machtmenschen Solness geradezu verblendet war. Der konnte sich bei dem willigen Geschöpf nach Gutdünken bedienen. Die kalte Schulter indes zeigte ihm seine Ehefrau Aline. Magdalena Wiedenhofer spielte sie reserviert und frigide. Eine Beziehung zum Arzt Doktor Herdal, ein wenig wunderbar schräg angelegt von Timocin Ziegler, wurde indes von Regisseur Christian Stückl hinein interpretiert. Im Ibsenschen Stück ist sie eine aus der Welt gefallene Frau, der nicht mehr zu helfen war und die am Leben keinen wirklichen Anteil mehr nimmt.
Hilde Wangel gelang es noch einmal, den Idealisten in Solness zum Leben zu erwecken. Sie wollte den Mann, der er war, als er noch Kirchen baute, und den sie darum vergötterte, wieder auferstehen zu lassen. Noch einmal konnte sie ihn zu großen Ideen animieren, nämlich „Luftschlösser“ zu bauen. Der Weg führt Solness auf das Baugerüst seines neuen Hauses, das ebenfalls einen hohen Turm besitzt. Hilde Wangel bringt ihn dahin, „so hoch zu steigen, wie er baut“. Und sie hat ihren Triumph: „Mein Baumeister!“
Christian Stückl erzählt die Geschichte unprätentiös und gradlinig, macht aus den Figuren aus dem späten 20. Jahrhundert heutige Menschen aus Fleisch und Blut. In einer Gesellschaft, in der materieller Besitz höher gehandelt wird als menschliches Glück (oder verwechselt mit menschlichem Glück), sind Lebenslügen unabdingbar und unausweichlich. Allein, die Kunst des Lügens mag noch so weit getrieben werden, erfolgreich wird sie darum doch nicht. Es ist die Lebenslüge, die den Menschen vor der Zeit tötet, die ihn in die Selbstverfremdung treibt und alle gesellschaftlichen und privaten Beziehungen scheitern lassen. Die Lebenslüge ist ein Garant für das Scheitern.
Stückls Inszenierung war kraftvoll und wuchtig, nicht zuletzt durch das ungestüme Spiel Maximilian Brückners. Es ist aber auch schwer möglich, eine so große und großartige Geschichte scheitern zu lassen, wenn man sie im Ibsenschen Sinn einfach nur erzählt. Und wenn es an der Inszenierung etwas zu bekritteln gäbe, dann vielleicht der Mangel an leisen Momenten, an introvertierten Haltungen. Es gab einige, wenige Momente mit höchstem emotionalen Druck, die über wuchtig hinaus gingen und polternd wurden. Solness ist ein Mann der Gesellschaft, kultivierter und berechnender, als Brückner ihn gelegentlich scheinen lässt. Der Wirkung des Stückes tat das jedoch keinen Abbruch und so feierte das Premierenpublikum eine wirkungsvolle Inszenierung mit deutlichen Aussagen, die sowohl ästhetisch überzeugten, als auch politische Aktualität erlangten.
Wolf Banitzki
Baumeister Solness
von Henrik Ibsen
Maximilian Brückner, Magdalena Wiedenhofer, Pola Jane O´Mara, Mehmet Sözer, Luise Kinner, Timocin Ziegler Regie: Christian Stückl |