Volkstheater Volpone  von Stefan Zweig nach Ben Jonson


 

Der Kasper trifft ins Schwarze

Dem klugen Ben Jonson, 1573 geboren und als Stiefsohn eines Maurermeisters aufgewachsen, war es nicht beschieden, eine Universität zu besuchen. Immerhin absolvierte er in Westminster das Gymnasium, wo der Altertumsforscher William Calden den jungen Mann mit seinen mentalen Ausflügen in das klassische Altertum so nachaltig beeindruckte, dass Calden heute von der Literaturwissenschaft als Verderber des Stils des „Playwrigts“ Ben Jonson an den Pranger gestellt wird. Klassischer Historismus und eine Überfülle von Anspielungen auf die Antike haben seine Dramen geradezu erstickt, wie es in mehreren Quellen heißt.

Stilistisch mag es sicher einige Vorbehalte geben, inhaltlich war Jonson dennoch ein Bahnbrecher. Seit „Volpone or the Fox“ aus dem Jahr 1606 (hier weichen die Quellen voneinander ab) gilt Ben Jonson als der Schöpfer der modernen Sozialkomödie. „Volpone“ ist ein Meisterstück doppelbödig-komischer Charakterisierungskunst und zugleich „ein Gewissensappell und ein Warnruf“ (Heinz Kindermann) an die Triebkräfte des seinerzeit gerade entstehenden und sofort ins Kraut schießenden Kapitalismus. Dass das Stück heute noch regelmäßig die Spielpläne bevölkert, hängt mit den zahlreichen Bearbeitungen zusammen, die allerdings stark voneinander abweichen. Ludwig Tieck schuf die erste mit seiner Übersetzung ins Deutsche im Jahr 1793 unter dem Titel „Ein Schurke über den anderen oder die Fuchsprelle“. Stefan Zweig indes gebührt der Ruhm, mit seiner Fassung aus dem Jahr 1926 das Stück für das 20. Jahrhundert fest in der Theaterliteratur verankert zu haben.

Die Komödie ist ohne Frage von der italienischen Commedia dell’arte beeinflusst worden. Immerhin kamen italienische Wandertruppen bereits in den 70 Jahren des 16. Jahrhundert nach England, wo sie großen Eindruck machten. Für das Jahr 1578 ist ein Gastspiel des italienischen Komikers Drusiano Martinelle in London verbrieft. Titel des Stücks: „The Dead Man’s Fortune“. Auch in „Volpone“ geht es um einen toten Mann und sein Glück. Zumindest gibt der reiche Venezianer Volpone, zu Deutsch „Fuchs“, vor, bald schon im Reich der Toten zu weilen. Er verspricht demjenigen das gesamte Erbe, der sich als guter Freund erweist, und löst damit einen Run der Erbschleicher aus. Volpone hat bei seinem intriganten Treiben einen willigen Handlanger, den er einstmals aus dem Schuldturm auslöste und der scheinbar ebenso verdorben ist, wie sein raffsüchtiger Herr. Sein Name ist Mosca, was übersetzt „Schmeißfliege“ bedeutet. Der Notar Voltone (Geier) hat ein Testament verfertigt, in das Volpone nur noch den Erben einsetzen muss. Voltone ist sich seines Glückes sicher, hat er die Freundschaft zum Sterbenden, der sich natürlich bester Gesundheit erfreut, mit reichlich schwerem Gold fundamentiert.

  Volpone  
 

Peter Miterrutzner, Jakob Immervoll, Silas Breiding

© Gabriela Neeb

 

Der Kaufmann Corvino, eigentlich ein rasend eifersüchtiger Gatte, wenn es um seine Frau Colomba (Taube) geht, ist in seiner Gier sogar bereit, Volpone die geliebte Gattin ins Bett zu legen. Der Wucherer Corbacci (Rabe) enterbt den eigenen Sohn Leone (Löwe), Hauptmann der venezianischen Stadtwache, des erhofften Erbes wegen. Leone verdirbt den perfiden Plan und Volpone landet wegen versuchter Vergewaltigung vor dem Kadi. Doch die Bande von Erbschleichern sieht das Vermögen gefährdet, wenn Volpone verurteilt wird, denn in diesem Fall ginge es an die Stadt Venedig. Der Advokat Voltone verdreht, beugt und biegt das Recht gemeinsam mit der ganzen meineidigen Clique und Volpone wird freigesprochen, während Leone, nun um seine Ehre gebracht, wegen Verleumdung und Unbotmäßigkeit am Schandpfahl endet. Volpone triumphiert und will der ganzen Geschichte noch das Sahnehäubchen aufsetzen. Doch irgendwann gerät jeder Mensch an die Grenzen der Selbstverleugnung und wenn er nichts mehr zu verlieren hat, wird er unberechenbar. Mosca gerät an diese Grenze und nimmt das Heft des Handelns in seine Hand. So geht die Geschichte gänzlich anders aus, als Volpone hofft und glaubt.

Für die Inszenierung am Münchner Volkstheater entwarf Vincent Mesnaritsch eine große elegante weiße Bühne mit einer drehbaren Tür im Raumhintergrund. Rechts und links in den Seitenwänden waren jeweils drei Türen, notwendige Einrichtungen auf einem rasenden Karussell menschlicher Eigensucht und Niedertracht. Zweig nannte seine Bearbeitung im Untertitel „Eine lieblose Komödie“ und Georg Hensel bezeichnete sie als „einen zynischen Witz von ungeheurem Ausmaß“. Abdullah Kenan Karaca inszenierte ganz in diesem Sinn. Während sich Jonson, verglichen mit Shakespeare, um gesellschaftlichen Realismus bemühte, erscheinen seine Figuren heute alles andere als realitätsnah. Ungeachtet dessen ist allerdings die Botschaft hochaktuell, wobei die dramaturgischen Kniffe doch eher theatralisch daherkommen. Umso sinnvoller war es, dass Regisseur Karaca sich auf die Stilmittel der Commedia dell’arte besann und ein komödiantisches Feuerwerk entfesselte, das tiefsinnige und nüchtern-bittere Momente und Bilder nicht vermied.

Die Überzeichnung der Figuren wurde zuallererst durch die fantastischen, von der Renaissance Venedigs inspirierten Kostüme Elke Gattingers sichtbar. Doch auch der Spielgestus orientierte sich an den Figurentypen. Allen voran und grandios angelegt von Jakob Immervoll, Mosca, vergleichbar mit dem Arlecchino, erkennbar am angedeuteten Rhombenmuster seiner Hosen. Immervoll tänzelte energiegeladen über die Szene und spielte jede Regung mit dem ganzen Körper. Seine Texte kamen pointiert und treffsicher. Immervoll machte der Figur des Arlecchinos alle Ehre. Dagegen wirkte Silas Breidings Volpone eher zweidimensional. Nach seiner Darstellung des Romeo („Romeo und Julia“ am Volkstheater) wurde deutlich, dass seine extrem druckvolle und maschinengewehrfeuerartige Sprechweise ganz augenscheinlich sein vornehmlicher Bühnengestus ist. Wie auch in der Rolle des Romeos waren unter diesen Umständen nur wenige Differenzierungen möglich.

Jonathan Müllers Advokat Voltore war schlüpfrig und völlig skrupellos im Umgang mit Recht und Gesetz. Er war in Schwarz gewandet und mit einem breitkrempigen schwarzen Hut ausgestattet, ein echter Dunkelmann, der allerdings schnell zu vibrieren begann, wenn es um Geld und Erbe ging. Er entsprach durchaus der Figur des Advokaten, wie man ihn aus der Commedia dell’arte kennt, selbstsüchtig, zu jeder Schandtat bereit und am Ende selten ein Siegertyp.

Diese Attribute treffen ebenso auf die Figur des Händlers zu, hier Corvino, gespielt von Jonathan Hutter. Er hatte enorm unter seinem miesen Charakter zu leiden, denn immerhin musste er seinen Besitz, zumindest temporär, teilen mit Volpone. Diese Kostbarkeit war seine Frau Colomba, die er lieber unter Verschluss hielt, als sie dem Angesicht der Öffentlichkeit preiszugeben. Carolin Hartmann beschränkte das Dasein dieser Figur gänzlich auf das Frausein mit großer Robe und wenig Ahnung. Darin stimmte sie gänzlich mit Leone überein, der degenschwingend Moral postulierte. Yannik Stöbener verlieh der Figur eine große Unbedarftheit, gradlinig in Handeln und Denken. Beiden Figuren, Colomba und Leone, war eine profunde Schlichtheit im Denken eigen.

Corbaccio, der dritte Erbschleicher im Bunde, Vater von Leone, war Geiz und Gier in einer Person. Peter Mitterrutzner beschränkte sich denn auch auf die Onomatopoesie der Habsucht, auf Grunzen und Greinen, auf Stottern und Stöhnen. Die Figur der Canina ist eine Erfindung Zweigs, die sich allerdings hervorragend in das Ensemble der Betrüger einfügt. Die weiblichen Reize einer Kurtisane sind ebenfalls Kapital im Rennen um das goldene Kalb. Nina Steils absolvierte ihren Parcours souverän und mit dem antrainierten Liebreiz einer Dame des horizontalen Gewerbes.

Es war ein unterhaltsamer Abend, der ästhetisch dem Kasperletheater im allerbesten Sinne näher war, als einem Theater des Realismus, was der Botschaft allerdings keinen Abbruch bereitete. In einer Zeit, in der das Geld an die Stelle Gottes tritt, kann es nicht schaden, die Todsünden wieder zu thematisieren. Die von Abdullah Kenan Karaca besorgte Inszenierung ließ an Deutlichkeit nichts fehlen und traf absolut ins Schwarze.

Wolf Banitzki

 


Volpone

von Stefan Zweig nach Ben Jonson

Silas Breiding, Jakob Immervoll, Jonathan Müller, Peter Mitterrutzner, Jonathan Hutter, Yannik Stöbener, Carolin Hartmann, Nina Steils

Regie: Abdullah Kenan Karaca