Volkstheater   Mein Kampf von George Tabori


 

Die Juden sind wie immer Schuld

Ein junger Mann namens Adolf Hiltler kommt nach Wien, wo er sich an der Kunstakademie bewerben will. Er fühlt sich berufen, seinen Platz auf dem Olymp der Künste zu erringen. Mit so etwas Banalem wie Selbstzweifel gibt er sich nicht ab. Er spürt den Willen des Schicksals. Er ist zu Großem berufen. Umso peinlicher ist es für ihn, sein erstes Bett in Wien in dem Männerwohnheim in der „Blutgasse“ mit dem Juden Schlomo Herzl teilen zu müssen. Man beschläft das Bett abwechselnd, zumindest ist das der Plan, da Schlomo Herzl des Nachts seinen Buchhandel betreibt. Er verkauft die Heilige Schrift und das Kama Sutra.

Doch der Plan geht nicht auf, denn Herr Hitler ist ein unstrukturierter, schwacher Mensch, der in den Tag hinein lebt und keinerlei Rücksichten auf seine Mitmenschen nimmt. Schlomo sieht in ihm bald ein bedauernswertes Wesen, dem geholfen werden muss. Er nimmt sich des jungen Mannes an. Als die Künstlerkarriere wegen der vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung scheitert, sieht Schlomo in ihm einen potenziellen Selbstmörder, der vor sich selbst geschützt werden muss. Hitlers Egomanie sieht derartiges jedoch nicht ernsthaft vor und so rät ihm Schlomo angesichts seiner hirnrissigen Großsprecherei, Politiker zu werden. Mit fatalen Folgen, wie die Weltgeschichte weiß. Selbst als der Tod vor der Tür steht, geht Schlomo in seiner Fürsorge in die Bresche. Was Schlomo jedoch nicht wusste, der Tod wollte Hitler nicht als Opfer holen, sondern ihn zum Täter machen. Ergo, die Juden sind letztlich doch schuld an allem, auch an Hitler.

Christian Stückl brachte die komplexe Groteske, die 1987 im Akademietheater des Wiener Burgtheaters ihre Uraufführung erlebte und bei der Tabori selbst die Rolle des Koches Lobkowitz übernahm, mit gehörigem Erfolg auf die Bühne des Münchner Volkstheaters. Stefan Hageneier schuf dafür einen hölzernen Kellerverschlag mit gemauertem Ofen, in den man hinuntersteigen musste. In dem beengten Raum gab es nur ein Bett, das sich Pascal Fligg als Herzl mit Jakob Immervoll als Hitler teilen musste. Timocin Ziegler, gleichsam ein Bewohner des Asyls, spielte sowohl den national gesinnten Metzger Himmlisch, als auch den arbeitslosen Koch Lobkowitz. Julia Richter gab ein springlebendiges Gretchen, die von Hitler vom unbefangenen Naturwesen in eine fanatisch-nationalistische Megäre im Dirndl verwandelt wurde und die am Ende ihre Aggressionen an Schlomo Herzl abarbeitete. Zuletzt trat Carolin Hartmann im mausgrauen Feldmantel als personifizierter Tod auf.

  Mein Kampf  
 

Pascal Fligg (Herzl), Jakob Immervoll (Adolf Hitler)

© Arno Declair

 

Das Ganze ist ein großer jüdischer Witz, denn unterm Strich kommt heraus, dass es nicht nur das Verdienst Schlomos ist, dass Hitler in die Politik ging, nein, er verlieh ihm auch das typische Aussehen mit strengem Scheitel und kleinem Schnauzbärtchen. Und mehr noch, Schlomo schreibt an einem Roman, kommt allerdings über den ersten Satz nicht hinaus. Titel: „Mein Kampf“. Hitler, inzwischen Anführer des nationalistisch gesinnten Pöbels des Stadtbezirks, veranstaltet eine Razzia in der Unterkunft. Er muss wissen, was Schlomo in seinem Roman verewigt hat, denn die geringste „historische Unwahrheit“ könnte für Hitlers Karriere fatale Folgen haben. Schließlich überlässt ihm Schlomo nicht nur das ungeschriebene Buch, sondern auch den Titel zur weiteren Verwendung. Das Stück endet mit der Schlachtung und Ausweidung eines Huhns, ein Geschenk Gretchens an Schlomo aus menschlicheren Zeiten, und der Ausweidung des Kadavers. Himmlisch, eine deutliche Anspielung auf Heinrich Himmler, der selbst vor seiner SS-Karriere als Nebenerwerb Hühnerzucht betrieb, nimmt in einem barbarischen symbolischen Akt das Schicksal von sechs Millionen Juden vorweg.

George Tabori, der seinen Vater im KZ verlor, der heimatloser Ahasverus war und in einem Dutzend Länder weltweit gelebt hat, schuf mit dieser Satire eine treffliche Psychologie des gestörten Diktators. Auf witzigste Weise analysiert er die Figur auf Kindheitserinnerungen, auf geistige Fehlentwicklungen und auf den Willen zur Macht, der zumeist von Erfolg gekrönt ist, weil Vernunft auf bestimmten Ebenen der Anstandslosigkeit nicht wehrhaft ist. Stückls Inszenierung war über 130 Minuten eine wahre Ohren- und Augenweide. Pascal Fliggs Schlomo, eine gelungene Mischung aus Groucho Marx und Charles Chaplin, glänzte souverän und überzeugend in jeder Hinsicht. Für Jakob Immervolls Hitler findet sich kein Vergleich, was eine besondere Qualität der Inszenierung ist, denn jedes Zitat, beispielsweise aus „Der große Diktator“ hätte der Wirkung der Figur die Spitze genommen. Dieser Hitler war ein erbärmliches, bemitleidenswürdiges, verwöhntes Geschöpf dem vermutlich nur einmal richtig der Arsch versohlt gehört hätte, damit er seine feuchten Träume vom Volkstribun (Wagners „Rienzi“) vergessen hätte. Stattdessen war Schlomo der liebevolle Jugendversteher und hat somit einen Amokläufer zugelassen.

Carolin Hartmanns Frau Tod war ernüchternd. Der Satz, der Tod ist ein Wiener, wurde von ihr widerlegt. Der Tod ist eine Wienerin, kann sich gleichfalls behaupten. Bedauerlicherweise funktionierte die Schlussszene nicht im selben Maße wie das Stück zuvor. Hier kam die Geschichte in Holpern und das ist insofern tragisch, da das letzte Gefühl beim Zuschauer am stärksten im Gedächtnis bleibt. Timocin Ziegler mangelte es an spielerischer Wucht und an diabolischer Pervertiertheit und so fühlte man sich eher wie bei der „Küchenschlacht“ als bei einer blutigen teutonischen Opferung mit Symbolkraft.

Ungeachtet dessen war es ein großartiger Abend, der in seinem satirischen Ansatz vor allem eins deutlich machte, die „hässlichen“ Deutschen, die keifend und gänzlich frei von Umgangsformen die Parlamente in Besitz nehmen, sind keine Komiker! Wenn man genau hinschaut, sind die Ähnlichkeiten dieser Menschen mit Taboris Bühnenfigur zwar unübersehbar, doch sollten sie nicht mit der Kunstfigur verwechselt werden. Immerhin halten die heutigen Schlomos, und damit sind nicht nur die jüdischen Glaubens oder mosaischer Herkunft gemeint, nicht mehr still. Widerstand ist notwendig und der sollte, solange die demokratischen Mechanismen noch intakt sind, mit aller Wucht argumentativ ausgetragen werden. Es ist kein Geheimnis, dass mangelnde Intelligenz gelegentlich nur klare Ansagen braucht, vor allem, wenn sie unter Verstopfung und Hartleibigkeit leidet.

Wolf Banitzki

 


Mein Kampf

von George Tabori

Pascal Fligg, Timocin Ziegler, Jakob Immervoll, Julia Richter, Carolin Hartmann

Regie: Christian Stückl