Volkstheater Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth und Lukas Kristl
Gegen den Strich gebürstet
Horváths Dramen sind Komödien und bedienen sich der Form des Volksstücks. Dabei entlarvte er idyllische Heimeligkeit als das Unheimliche, die bürgerliche Gemütlichkeit als Verrohung der Gefühle und zeigte überdeutlich die Bestialität des honorigen Bürgers. Ein Happy End kann es nicht geben. Kleine Leute haben halt kein Glück, selbst dann nicht, wenn sie alle Voraussetzungen mitbringen. Der Spruch, jeder ist seines Glückes Schmied, ist blanker Hohn.
Elisabeth, Tochter eines verwitweten und mittellosen Versicherungsinspektors, ist motiviert und ambitioniert, ihren Platz im Weltgetriebe einzunehmen. Miederwaren, Korsette, Strapse, Büstenhalter, sind ihr Metier. Doch um in diesem Gewerbe tätig sein zu können, braucht sie einen Wandergewerbeschein. Um den zu bekommen, Preis 150 Mark, erscheint Elisabeth im Anatomischen Institut, um ihren Körper für wissenschaftliche Forschungen zu verkaufen – nach ihrem Ableben wohlgemerkt. Schnell stellt sich heraus, dass diese Annahme ein Mythos ist. So zumindest erklärt es ihr der amtierende Oberpräparator. Der Mann hat allerdings eine Sepsis, zugezogen im Dienst an der Leiche, und soll bald versterben. Der Präparator, der später auf den vakanten Posten des Oberpräparators nachrücken wird, ein skurril-spießiger Geselle, ist voller Mitleid für die aparte Elisabeth und leiht ihr das Geld für genannten Schein. Als er jedoch feststellen muss, dass Elisabeth das Geld anderweitig verwendet hat, fühlt er sich schmählich betrogen. Elisabeth hat das Geld für eine gerichtlich verfügte Strafzahlung verwendet, die ihr auferlegt worden war, weil sie ohne Wandergewerbeschein dem Gewerbe nachging. Inzwischen hat sie einen solchen, vorgestreckt von der Geschäftsfrau Prantl. Doch der nützt ihr nun nichts mehr, denn der Präparator bringt sie ins Zuchthaus. Nach der Entlassung trifft sie auf einen Polizisten, den sie an seine verstorbene Verlobte erinnert und der sie bei sich aufnimmt und aushält. Doch die „Macht des Schicksals“ ist unüberwindlich und als der Schupo von ihrer Vergangenheit erfährt, verstößt er sie. Elisabeth geht daraufhin ins Wasser.
Wäre es kein Horváthsches Stück, man würde die Geschichte wohl als Sozialkitsch verbuchen. Sein Genie ist schwer zu definieren. Am nächsten kam dem wohl Anton Kuh mit seinem Urteil, als er meinte, Horváth sei „ein amorphes Stück Natur; vulgär wie ein Noch-nicht-Literat, souverän wie ein Nicht-mehr-Literat; aus Elementarem und Dilettantischem gemengt. So könnte die Rohschrift eines großen satirischen Erzählers aussehen; aber auch die Reinschrift eines genialen Abenteurers, der sich für einen Schriftsteller ausgibt.“ Als Regisseur war man bislang eigentlich immer auf der sicheren Seite, wenn man sich vor den Geschichten Horváths verbeugt und sie schlichtweg wiedergibt. Die Wirkung kann einfach nicht ausbleiben! Doch es gibt auch Stimmen, die vor dem emotionalen Minenfeld warnen, auf das man sich begibt, um darauf zu fallen und dem eigenen Sentiment zu erliegen. Stichwort Brecht, der mit seinem epischen Theater vor genau diesen Bewusstlosigkeiten warnte und mit seinem Verfremdungseffekt gegensteuerte. Ihm ging es um ein kritisches Publikum, das den Illusionen nicht willig erlag und einen klaren Kopf behielt.
Nina Steils, Jakob Geßner © Gabriela Neeb |
Christian Stückl hat sich dieser Methode bedient und Horváths Stück kräftig gegen den Strich gebürstet. Und siehe da: Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Das Bühnenbild von Stefan Hageneier verlagerte die Spielebenen auf die Horizontale und hielt fünf sich perspektivisch verkleinernde, von einander trennbare, in die Tiefe der Bühne gestaffelten schwarze Räume vor. Dadurch ließen sich unterschiedlichste Spielorte definieren, von der intimen Klause bis hin zur metaphorischen Straße des Lebens. In allen Räumen befanden sich schwarze Tische, Bänke und Hocker. Sämtliche Plätze glichen einander und meinten einen einzigen: einen anatomischen Präparationssaal. Hageneiers Kostüme suggerierten außerdem die Welten des René Magritte. Die Männer waren in schwarzen Anzügen und Mänteln gewandet und trugen die für den belgischen Surrealisten so typischen Bowler-Hüte. Die Szene erschien dystopisch surreal und kafkaesk. Um diesen Eindruck noch zu verstärken, ließ Christian Stückl die Darsteller die von ihnen gestalteten Figuren extrem stark überzeichnen.
Oleg Tikhomirov spielte seinen mit zahllosen Macken behafteten Präparator hart an der Grenze zum Kretinismus. Pascal Fliggs Amtsgerichtsrat war ein gewaltiger Furzer vor dem Herrn, durch dessen gutbürgerliche Fassade alle nur denkbaren Pathologien schimmerten, eine echte Bestie Mensch. Der Schupo von Jakob Geßner glich, wenn er dem gemeinsamen Bett mit Elisabeth entstieg, einem sich nobel spreizenden Tier. Dieser Polizist war ganz Körper, wohl, weil es der Figur an intelligentem Geist gebrach. Timocin Ziegler spielte einen blödsinnigen stumpfen Kellner, einen tierisch verschlagenen Schnorrer, einen den herannahenden Tod mit großer Geste ausstellenden Oberpräparator und eine lächerliche heroische Eintagsfliege als Lebensretter. Mauricio Hölzemanns Prostituierter entzog sich jeglicher Vorstellung. (So etwas hält niemand für möglich!) Als frisch aufgestiegener Vizepräparator wuchs er schier durch die Decke und als Kriminaler war er der rechte hölzerne Beamte mit dem Willen zur unbedingten Vollstreckung.
Die Damen des Ensembles fanden sich durchweg in den Rollen von Spielbällen der Männerwelt wieder. Am schrillsten gebärdete sich Carolin Hartmann in dem Part der Miederwarenhändlerin Irene Prantl. Im Gegensatz zu den männlichen Rollen resultierte bei ihr die extreme Expression vielmehr aus der Angst heraus, mit ihrer Unternehmung zu scheitern, und weniger aus einer charakterlichen Deformation. Abgeklärt und pragmatisch agierte sie hingegen als Prostituierte. Luise Deborah Daberkow spielte ihre Frau Amtsgerichtsrat mit derselben Haltung wie die der Prostituierten. Genau genommen war sie als Frau Amtsgerichtsrat auch nur eine Prostituierte. Ihr Versuch, im Miederwarenhandel eigenes Geld und somit Unabhängigkeit zu erlangen, lief letztlich auch nur auf Prostitution hinaus, denn um zu verkaufen, musste sie die Hüllen fallen lassen.
Die Rolle der Elisabeth war mit Nina Steils trefflich besetzt. Die fragil wirkende Frau, der es an Selbstbewusstsein nicht mangelte, war anfangs ein gesundes Geschöpf, das zwar nicht ohne Verzweiflung aber doch mit gehörigem Mut einer Welt entgegentrat, die Menschen wie sie lediglich als Fußabstreifer oder als Geschöpf zur schnellen Befriedigung betrachtete. Zum Schluss agierte sie ebenso schrill wie die anderen Figuren auch. Allerdings war sie nun, das eigene Leben verwerfend, zur Zynikerin geworden, die mit sich selbst und durch sich selbst gnadenlos anklagte.
Als der Vorhang nach einer turbulenten, irre komischen und grotesken Inszenierung fiel, hatte der Zuschauer unbedingt Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ gesehen, ohne dabei vor Betroffenheit über die (auch heutigen) Zustände zu greinen. Die Werktreue war gegeben, die Wirkung indes eine andere als üblich. Der Wirkung und der Botschaft hatte der radikale ästhetische Umgang grundsätzlich keinen Abbruch getan. Unterhaltsam war es bei aller Düsternis und Menschverachtung allemal. Christian Stückl hatte Mut bewiesen und sich weit hinausgelehnt mit seinem Konzept. Es hätte auch im peinlichen Klamauk untergehen können, tat es aber nicht. Dabei löste die Vorstellung vor allem keine Betroffenheit aus, denn es war mehr Brechtsches episches Theater für die Ratio, als Aristotelisches kathartisches für die Emotio. Das Ergebnis gab den Machern recht und es bleibt nur, ihnen aufrichtig Dank und Anerkennung zu zollen.
Wolf Banitzki
Glaube Liebe Hoffnung
von Ödön von Horváth und Lukas Kristl
Mit Nina Steils, Jakob Geßner, Pascal Fligg, Luise Deborah Daberkow, Carolin Hartmann, Oleg Tikhomirov, Timocin Ziegler, Mauricio Hölzemann Regie: Christian Stückl |