Volkstheater Der Kaktus von Juli Zeh




Nur ein ängstlicher Bürger ist ein guter Bürger

Tatort: Flughafen Frankfurt. Es herrscht große Aufregung im Hinterzimmer, dem Aufenthaltsraum für die Polizeianwärter. Derer gibt es zwei, Susi und Cem. Susi ist engagierte Staatsbürgerin, Mitglied bei Amnesty International und sämtlichen anderen Organisationen, die um Menschenrechte, Tier- und Klimaschutz bemüht sind. Und sie hat Abitur, im Gegensatz zum Volksschulabsolventen Cem, der wie seine türkischen Brüder Waffen mag, echte, versteht sich. Und da die Folgen nicht zu verhindern waren, riet Cems weitsichtige Mutter ihm, zur Polizei zu gehen, „da ist er wenigstens auf der richtigen Seite“.

Die „richtige Seite“, welche ist das? Auch um diese Frage geht es in Juli Zehs neuestem dramatischen Entwurf. Die „richtige Seite“ ist ein sehr wandelbarer Begriff. Eingangs ist die „richtige Seite“ die, die dem Terrorismus gegenübersteht. Auf dieser Seite gibt es Regeln. Doch dann wird ein Verdächtiger vorgeführt. „Man“ hat Informationen und „es gibt untrügliche Verdachtsmomente“ und „aus sicherer Quelle“ weiß man, dass eben dieser Verdächtige für die bevorstehende Sprengung des Frankfurter Flughafens verantwortlich ist. Man muss mit Opferzahlen um die 25.000 und mehr rechnen. Wer will, wer kann das verantworten?

Frau Dr. Schmidt, Polizeioberrat vom BKA, die von Polizeiobermeister Jochen Dürrmann von der GSG 9, der maßgeblich an der Verhaftung beteiligt war, herbeigerufen wurde, wird diese Verantwortung nicht übernehmen und schreitet zur Tat. Die Tat bedeutet in diesem Fall Folter. Die Bombe, keiner weiß wo sie ist, tickt und der langjährig gesuchte Terroristen Abu Mehsud, der unter dem Decknamen Frank Miller in einem Blumenfachhandel untergetaucht war, schweigt beharrlich. Welche Sprache spricht der Terrorist überhaupt? Egal, es gilt zu handeln.

Doch Susi, deren, wie sie meinte, gesicherte Weltanschauung ins Wanken gerät, verweigert sich. Es kommt zu einer Abstimmung, an deren Ende, unter dem Druck der (vermeintlichen) Bedrohung, die Folter beschlossen und durchgeführt wird. Doch der Verdächtige schweigt. Ein von Frau Dr. Schmidt gerufenes SEK (Sondereinsatzkommando) stürmt den Raum und „eliminiert“ alle (vermeintlichen) Zielpersonen. Der Verdächtige schweigt weiterhin. Wie auch nicht, er ist ein Kaktus.

Juli Zeh gelingt mit diesem Stück ein echter Geniestreich. Die studierte Juristin bringt das Problem ohne Umschweife auf den Punkt: Die Sicherheitsbestrebungen des Staates haben pathologische und selbstzerstörerische Formen angenommen. Ihre Protagonisten vom GSG 9, CIA, BKA, SEK und wie immer sie heißen mögen, haben den Bezug zur Realität verloren, sind Opfer ihrer eigenen verquasten Panikideologie geworden, und drohen sich in ihrem krebsartigen Wuchern zu verselbständigen. Das ist keine bloße Behauptung von Juli Zeh, denn inspiriert wurde ihr Text aus öffentlichen Überlegungen deutscher Rechtsprofessoren, warum Folter zum jetzigen Zeitpunkt ein legitimes Mittel sei. Wohl gemerkt, deutsche Professoren an deutschen Universitäten, bezahlt mit den Steuergeldern der Bürger dieses Landes, schwitzen in ihrer Antiterrorismuserektion derartige Schwachsinnigkeiten aus, die eigentlich überwunden schienen. Einen Geniestreich kann man dieses Stück getrost nennen, denn der Autorin gelang eine wunderbare künstlerische Brechung des Themas, womit die Perfidie der Vorgänge eine bedrückende und nachhaltige Eingängigkeit erfuhr.

kaktus
Kristina Pauls, Thomas Schmidt, Stefan Ruppe

Arno Declair


Bettina Bruinier, ganz augenscheinlich kongeniale Partnerin für Juli Zeh, denn schon die Inszenierung von Zehs „Schilf“ war eine gelungene, zauberte ein modernes  kafkaeskes Kammerspiel auf die Kleine Bühne des Volkstheaters. Zwei Wände in billigem beamtenstubengrau, einen PC-Bildschirm, eine Tastatur und notwendigerweise einen Stuhl, der dann, wie im Kino oft gesehen, zum Folterinstrument wurde. Für die karge aber hinreichende Bühne, die mit dem Zuschauerraum verwachsen war, zeichnete Markus Karner verantwortlich. Der hautnahe Kontakt mit dem Spiel auf der Bühne war ein wesentlicher Grund für den Gesamtgenuss, denn die Darsteller brillierten allesamt in ihren Rollen.

Thomas Schmidts Jochen Dürrmann von der GSG 9 war zuerst ein unauffälliger Zeitgenosse, nervig und schnell zur Aggressivität neigend. Er reagiert, wie man sich die Reaktionen von „Elitesoldaten“ dank der großen Verbildungseinrichtung Hollywood vorstellt: blitzschnell, kalt berechnend und stets, durchaus devot, die Befehlsstruktur im Auge. Zum Helden wurde er aber erst im Auge von Cem, der seine ganz eigenen Vorstellungen von Heldentum entwickelt hatte, und die allesamt den patriotischen, Amerika unentwegt als Hort der Freiheit und Demokratie verherrlichenden Machwerken aus der Traumfabrik, folgten. „Unglückliches Land, dass (solche) Helden nötig hat.“ (Brecht: Das Leben des Galilei) Stefan Ruppe in der Rolle des Cem war auf besondere Weise sehenswert. Er spielte Understatement, ein wenig dümmlich und beschränkt, ungeheuer sympathisch und mit sehenswerter Mimik. Sophie Wendts Dr. Schmidt war eine der Frauen, die mit wenig weiblichen Eigenschaften ausgestattet den Männern permanent vor Augen halten, dass sie im Grunde „Weicheier“ sind. (Wie Juli Zeh bloß auf dieses Frauenbild kam?) Sophie Wendt denunzierte mit ihrer Rolle und auch mit ihrem radikalen Spiel, dass die machtstrebenden Frauen in jedem Fall die besseren Männer sind.  Kristina Paul fiel mit der Susi die Rolle der moralischen Instanz zu, die sie mit sehr viel Verzweifelung spielte. Aber auch sie musste am Ende klein beigeben, denn als Deutsche hatte sie beizeiten gelernt, dass es eine Hierarchie gibt, der man vertrauen kann und muss.

Seit den frühen 70er Jahren, also seit fast vier Jahrzehnten, gibt es von dem Psychiater Friedrich Hacker das Buch „Aggression – Die Brutalisierung der modernen Welt“. Darin wird beschrieben, woher Gewalt kommt, wie ‚gerechte’ Gewalt verherrlicht wird und welche Konsequenzen so genannte ‚Gewaltspiralen’ haben, nämlich die schlimmsten. Das Buch ist wunderbar verständlich geschrieben. Warum also, fragt man sich, denkt der Mensch heute wie ein frühmittelalterliches Wesen, obwohl Renaissance und Aufklärung Hunderte von Jahren her sind. Wie wäre es damit: Nur ein ängstlicher Bürger ist ein guter und folgsamer Bürger. Und, ist schon einmal aufgefallen, dass zwei Bereiche in jeder Krise Konjunktur haben: Rüstung und der Staatsapparat! Man denke sich seinen Teil.

Diese intelligente und witzige Inszenierung sei besonders denen empfohlen, die der Politik noch Glauben und Vertrauen schenken, die aber schon seit einiger Zeit spüren, dass es dafür nicht mehr allzu viele gute Gründe gibt.

Wolf Banitzki

 

 


Der Kaktus

von Juli Zeh

Thomas Schmidt, Stefan Ruppe, Kristina Pauls, Sophie Wendt

Regie: Bettina Bruinier
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