Volksheater I Hired a Contract Killer nach Aki Kaurismäki



Lakonischer Großstadtblues

Wenn dereinst in fünfzig Jahren die Filmgeschichte geschrieben ist, werden die so genannten Blockbuster-Regisseure wie z.B. James Cameron nur marginal erwähnt werden. Sie werden in der Historie wegen ihrer technischen Innovationen und der überdimensionalen (un-menschlichen Formate) Eingang ins Erinnern finden. Ihre Geschichten, soweit es sich überhaupt um solche handelt, werden längst dem Vergessen anheim gefallen sein. Statt ihrer werden Namen aufgelistet wie Jim Jarmusch, Roberto Beghini, Emir Kusturica, Lars von Trier, Thomas Vinterberg und Aki Kaurismäki. Sie sind es, die die Entwicklung der Filmkunst befördert und nachhaltig durch ihre außergewöhnliche Ästhetik und ihre zutiefst menschlichen Geschichten beeinflusst haben. Es ist gar nicht verwunderlich, dass eben diese Männer sich untereinander gut kennen und sogar eng befreundet sind. Es gibt etwas, das sie in ihrem künstlerischen Anspruch eint, nämlich die konsequente Verweigerung gegenüber Hollywood und jeglichem Mainstream. Kluge Schauspieler wie Jonny Depp, Harvey Keitel, Forest Whitaker, Willem Dafoe und Isabella Rossellini haben das erkannt und dürften sich glücklich schätzen, gemeinsam mit diesen Regisseuren in die Annalen der Filmgeschichte einzugehen. Neben der außergewöhnlichen Ästhetik, sind es aber zuerst die grandiosen menschlichen Geschichten, die diese Regisseure erzählen und so verwundert es nicht, dass auch das Theater nach diesen Vorlagen greift.

Kaurismäkis “I Hired a Contract Killer” hat sich inzwischen in den Theaterspielplänen weltweit etabliert. Allein in München taucht dieses Stück bereits zum zweiten Mal in 10 Jahren auf (Metropoltheater 2001). Aber auch Lars von Triers „Dogville“ und „Manderlay“ und Thomas Vinterbergs „Fest“ (Metropoltheater und Volkstheater) wurden vom Publikum dankend angenommen. Warum? Diese Frage ist recht einfach zu beantworten: Diese Stücke haben uns etwas Substanzielles über das menschliche Wesen an sich und im besonderen mitzuteilen. Im Fall Kaurismäki liegt das im Wesentlichen an der radikalen Reduktion des Menschen im Kunstwerk auf sich selbst. Da bedarf es keinerlei Brimborium, um die Figuren interessant zu machen. Und eben diese Kargheit der Mittel ist das Wirkprinzip in den Filmen des Finnen. Ein Segen für das Theater? Gewiss, wenn da nicht die filmischen Vorlagen wären …

Regisseurin Bettina Bruinier gab vor, die filmische Vorlage nicht zu kennen. Das erwies sich vielleicht als die beste Voraussetzung, denn es ist ungleich schwerer, mit dem hochgradig suggestiven Film im Bewusstsein eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Es war Bettina Bruiniers vierte Arbeit am Münchner Volkstheater und wie mit den drei vorangegangenen Inszenierungen enttäuschte sie auch mit der Kaurismäki-Adaption nicht.

Erzählt wird die Geschichte des gerade bei den Londoner Wasserwerken entlassenen Franzosen Henri Boulanger. Ohne jegliche soziale Kontakte und einzig auf seine Arbeit fokussiert, sieht er keinen Sinn mehr in seinem Leben. Seine Selbstmordversuche scheitern auf skurrile Weise und so entschließt er sich, einen Auftragsmörder zu engagieren, der ihn schnell und schmerzlos ins Jenseits befördern soll. Befreit von der eigenen Zwanghaftigkeit, wendet sich Henri, für den das Warten auf den Tod ziemlich nervenaufreibend ist, dem Leben und dem Whisky zu und begegnet der Liebe in der Person der Rosenverkäuferin Margaret. Nun, da das Dasein wieder einen Sinn hat, möchte er den Auftrag annullieren. Doch das gelingt nicht und so beginnt eine skurrile Flucht vor dem scheinbar Unausweichlichen. Allein, der Auftragmörder hat ein eigenes schwerwiegendes Problem und am Ende …

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Pascal Fligg, Jean-Luc Bubert

© Arno Declair


Markus Kraner hatte auf der Bühne einen Großstadtdschungel geschaffen. Zahllose Häuserwürfel suggerierten eine gesichtslose Vorstadt, durch die sich auf ausgetretenen Pfaden das Leben schlängelte. Monotonie in Architektur und Bewegungsabläufen verkürzte das Leben auf ein reines sinn- und emotionsloses Funktionieren. Das Dasein, eigentlich ein Geschenk, war zur unerträglichen Last verkommen. Da der Text des gesamten Dramas wohl auf einer handvoll Seiten Platz hat, inszenierte Bettina Bruinier ein Bewegungstheater, über das atmosphärische Musik gelegt war. Oliver Urbanski schuf dafür einen facettenreichen lakonischen Großstadtblues, der live eingespielt wurde.

So grotesk der Kaurismäki-Film auch anmuten mag, Bettina Bruinier setzte ihm noch einmal die Krone auf. Die Darsteller agierten in skurril überzeichnenden Posen, entwickelten eine erstaunlich komische Körperlichkeit und sparten nicht mit gestischen Gags, ohne dabei vom Thema abzuweichen. Die kafkaeske Szenerie, die meisten Darsteller waren in grauenhaftem Grau bis Schwarz gewandet, wurde lediglich durch die Welt der Kriminellen und Halbkriminellen mit schrillen Farben zersetzt. (Kostüme: Justina Klimczyk)

Pascal Fligg gab einen Henri Boulanger, der selbst im Angesicht des bevorstehenden Todes nicht vergaß, an der Wohnungstür die Schuhe abzuputzen. Darsteller Fligg vermittelte glaubhaft, welche übermenschlichen Kräfte sein Henri aufwenden musste, um lebendig zu sein. Jean-Luc Buberts Auftragsmörder streifte schwarzgewandet mit rauer, komisch-furchteinflößender Stimme somnambul wie Fritz Langs „Der müde Tod“ durch die Szenerie. Barbara Romaner irrlichterte als Margaret mädchenhaft im Großstadtdschungel auf den Schwingen der Liebe herum, ganz und gar dem Prinzip Hoffnung verbunden. Am stärksten überzeichnet waren jedoch die Rollen Robin Sondermanns als Abteilungsleiter, Chef der Killer und am Ende als Betreiber eines französischen Fast-Food-Restaurants, was ja schon einen Widerspruch in sich darstellt.

Die erstaunliche ästhetische Botschaft Bettina Bruiniers bestand an diesem Abend ganz sicher auch in der Wirkung einer exzellenten Pausenchoreografie, im Innehalten und in der schlichten Präsenz von Figuren, die sich allein durch ihr sprachloses Dasein definierten. Dadurch entstand viel Raum für die Fantasie des Betrachters. Diese hochartifizielle und intelligente, szenisch immer wieder überraschende Inszenierung braucht den Vergleich mit dem Film nicht zu scheuen. Hier wurde nicht versucht zu kopieren, sondern eine bühnengerechte und eigenständige Erzählweise entwickelt.

Wolf Banitzki



I Hired a Contract Killer

nach dem Film von Aki Kaurismäki

Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg, Barbara Romaner, Stefan Ruppe, Robin Sondermann, Xenia Tiling

Regie: Bettina Bruinier
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