Volkstheater Unendlicher Spaß nach dem Roman von David Foster Wallace




Und ewig blühen die Legenden

Wieder „eroberte“ ein Roman die Theaterbühne! „Infinite Jest“ von David Foster Wallace erschien in Deutschland unter dem Titel „Unendlicher Spaß“ in der Übersetzung von Ulrich Blumenbach. Der hatte gut fünfundeinhalb Jahre damit zugebracht, den 1079 Seiten langen Roman ins Deutsche zu übersetzen. Nebenher, 98 Seiten waren allein Fußnoten. Blumenbach bekam für seine titanische Leistung 2010 den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse. Wallace’ Roman machte den Autor zum „Superstar“ der Literaturszene. Die Superlative, mit denen man ihn fortan belegte, waren astronomisch. Schließlich nahm er sich das Leben und machte sich damit unsterblich, denn seither blüht die Legendenbildung.

Dabei ist es zum Heulen, wie verlogen oder blödsinnig der Kulturbetrieb sich immer wieder geriert. Erst bringt er die Künstler um, oder beteiligt sich daran, ihn zur Strecke zu bringen, und dann zerknirscht er sich geradezu in tiefenpsychologischer Suche nach den Ursachen. Schon Wilhelm Waiblinger beschloss, nachdem er ein Angebot von einem derzeit bekannten Verleger bekam, eine spektakuläre Künstlerbiografie zu schreiben: „Ich brauche einen wahnsinnigen Künstler!“ Er machte Hölderlin aus und den Dichter zu einem wahnsinnigen Menschen. Nichts liebt der Spießer, der keine Ahnung hat, wie er sich Kunst eigentlich nähern soll, zu allen Zeiten mehr, als wahnsinnige Künstler. Genie und Wahnsinn, diese Kombination versetzt ihn in höchste Erregung, vermutlich, weil er von beidem nichts hat. Nirgendwo genießt der Typ „genialer Underdog“ höhere Bewunderung, als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Siehe Charles Bukowski, um nur einen zu nennen. Was zeichnet seine Literatur aus? Z.B. steht darin ganz selbstverständlich der Name Alexander Skrjabin (Wer kennt den schon?) neben dem einer zahnlosen Blasnutte. Es ist die Mischung aus Gosse und Geist (wobei Geist nicht selten Behauptung bleibt), die als prickelnd empfunden wird. Das jagt heilige Schauer über die im Solarium gebräunten Rücken.

Nach Wallace’ Suizid kamen die üblichen, die Auflagen steigernden Fragen: War Wallace verkannt? Was hat ihn ruiniert? War es sein einmaliger Erfolg und die Angst vor dem zukünftigen Versagen? Oder gar der Narzissmus des Wunderkindes Wallace? Dabei ist es immer gut zu wissen, dass der Dichter zwanzig Jahre lang unter Depressionen litt, die er mit dem Medikament Nardil behandelte. Gut zu wissen ist auch, dass Wallace nach seiner Heirat das Medikament absetzte, weil er um seine Kreativität fürchtete oder die Tabletten einfach nicht vertrug. Danach schlug bei ihm kein Medikament mehr an! Folge: Suizid. Wen, außer der breiten Masse intellektueller Voyeuristen, die häufig gar nicht lesen oder rezipieren, sondern sich von den Gazetten die Kunst erklären lassen, interessiert das eigentlich? Verbindlich ist, was geschrieben steht, also das Werk des Künstlers. Warum nur spielt die Figur des Künstlers in unserer heutigen Zeit häufig eine größere Rolle als sein Werk? Weil die Verflachung und Verblödung rasant voran schreitet. Das wusste auch David Foster Wallace und er schrieb es nieder. Vielleicht haben ihn ja ganz einfach die eigenen Einsichten, im Buch nachzulesen, in den Tod getrieben. Dann war er doch immerhin ein konsequenter Mensch.

Es soll an dieser Stelle gar nicht erst der Versuch unternommen werden, die Geschichte, für die Wallace, wie bereits erwähnt, 1079 Seiten, inklusive 98 Seiten Fußnoten, benötigte, zu umreißen. Der Themenreigen reicht, grob formuliert, von Drogenabhängigkeit über Hedonismus, Depressionen, vordergründigen Materialismus, die geistig völlig verwahrloste Unterhaltungsindustrie, Kindesmissbrauch, den Unabhängigkeitskampf von Quebec bis hin zu Tennis.

spass

Pascal Fligg, Justin Mühlenhardt, Oliver Möller, Kristina Pauls, Pascal Riedel, Lenja Schultze, Xenia Tiling

©Arno Declair


Regisseurin Bettina Bruinier hatte gemeinsam mit Katja Friedrich eine Spielfassung erarbeitet, die, inszeniert, gut zwei Stunden dauerte. Zwei Stunden, für 1079 Seiten, inklusive 98 Seiten Fußnoten! Hört, hört! David Foster Wallace kann sich nicht mehr wehren und den Erben und Nachlassverwaltern geht es vermutlich sowieso nur um die Tantiemen. Bettina Bruinier muss sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen, ob das, was sie auf die Bühne gebracht hat, den Verrat am Werk von Wallace rechtfertigen kann. Diese Frage soll der mündige und auch kenntnisreiche Zuschauer beantworten. Doch ich will mich als Kritiker nicht aus der Verantwortung stehlen und sage: Nein! Bereits in ihrer Arbeit „Solaris“ brillierte sie mit ihrer künstlerischen Intelligenz, wenngleich das Publikum im Wesentlichen unerreicht blieb. Dem Lemschen Werk tat es keinen Abbruch. Das liegt gedruckt vor und ist bereits von Millionen Menschen gelesen worden.

Mit „Unendlicher Spaß“ hat Bettina Bruinier nicht nur das Publikum, insbesondere das, welches den Roman nicht kennt, überfordert, sondern sie ist dem Werk selbst nicht gerecht geworden. Sie konnte es gar nicht. Das ist allerdings ein Fall, der an Missbrauch grenzt. Wer sich aus einem so komplexen Werk herausklaubt, was sich scheinbar für eine spektakuläre Bühnenfassung eignet, um am Ende ein eher schwaches Exposé in Form einer Theaterinszenierung vorzuzeigen, handelt zudem anmaßend.

Bettina Bruinier setzte auf  den Kick, der sich aus den intellektuellen Inhalten, die sowohl naturwissenschaftlicher, als auch psychologischer Natur waren, und einem „coolem“ Gossenslang ergab. Es ist genau die Mischung, die US-Fernsehserien bei Pseudointellektuellen so beliebt macht. Deren Lachen war denn auch hier und da im Volkstheater zu hören. Auch ist es den beiden Spielfassungsschreiberinnen nicht gelungen, die apokryphen Textbestandteile von den tradierten soweit zu trennen, dass eine Orientierung möglich war. Mit einem Wort, die Sprache war keine dramatische, sondern eine reflexiv epische. So blieb letztlich das meiste kryptisch. Durch das hochtourige Spiel der Darsteller rauschten die Aussagen, gleichgültig ob objektiv oder poetisch, an den Zuschauern vorbei, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Einzig den Darstellern war kein Vorwurf zu machen. Sie versuchten, ihre Rollen engagiert zu gestalten. Im Stück gab es sogar einen wirklichen komödiantischen Höhepunkt, als Oliver Möller in der Rolle des Tennistrainers Gerhard Schtitt eine ähnlich absurde Rede hielt wie Charles Chaplin als Hinkel in „Der große Diktator“.

Die Süddeutsche Zeitung erklärte sehr treffend zum Erscheinen des Buches: „Infinite Jest war mit den Mitteln des postmodernen Erzählens ein Generalangriff auf die läppische postmoderne Ironie, den hochglanzverspiegelten Nihilismus, Wallace ging es tatsächlich ums ‚echte Menschsein‘. Er wollte die total medialisierte Welt abbilden, ohne aber dünnsuppige Popaffirmation zu servieren.“ Die Inszenierung am Volkstheater war eine „dünnsuppige Popaffirmation“, die vorgab, den „hochglanzverspiegelten Nihilismus“ zu entlarven. Könnte es sein, dass Bettina Bruinier übersehen hatte, dass Wallace mit den postmodernen Mitteln des Erzählens einen Generalangriff auf die sich selbst längst überlebte Postmoderne gestartet hatte. Wer das aus den Augen verliert, spricht (sicherlich ungewollt) denen das Wort, für die der Suizid schon die halbe Künstlerschaft ausmacht.  
Also lassen wir die Legenden weiterblühen, bis wir endlich auch in David Foster Wallace eine neue Ikone haben, die auf Markenklamotten gepappt werden kann, und er zu einem Klassiker mit durchschlagender Wirkungslosigkeit wird.


Wolf Banitzki

 


Unendlicher Spaß

nach dem Roman von David Foster Wallace

Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg, Justin Mühlenhardt, Oliver Möller, Kristina Pauls, Pascal Riedel, Lenja Schultze, Xenia Tiling

Regie: Bettina Bruinier