werkmünchen Der reizende Reigen von Werner Schwab


 

 

 
 
Also, ich schreib' mal was Liebevolles
 
Der reizende Regen war, mit einigen Ausnahmen, durchaus unerträglich. Wenn die drei mutigen Puppenspieler etwas mit ihren Schauspielerinnen vor hatten, war es gelungener Maßen abstoßend, schmerzvoll an zu sehen, mit einer leisen Sehnsucht nach echter Erotik, echtem Liebesspiel – die, wie schon gesagt, in nur wenigen, fast beschämenden Augenblicken erfüllt wurde, um sogleich gemartert, gefoltert, ertränkt zu werden und ins gewohnt Angestrengte umkippte, einen bis auf die Unterwäsche unbefriedigt im billigen Publikumssitz zurück ließ.

Folgende Figuren haben sich mir eingebrannt: ein Firmenchef, eine Sekretärin (Agnes Burger) –  zugleich, je nach Szene, Friseuse und Nutte (die diesem Begriff alle Ehre machte, wie wir sie uns nur ekelhafter nicht vorstellen konnten). Ein Angestellter, der sich gut bei ihr anstellt, vor Aufregung epileptisches Sekret spuckt.

Die Bühne, ein Saustall, zerstörtes Podest voll von Kloake, jeder Frau Feuchtgebiet bei getragenes.  Ein Dichter – die Dichterin (Lisa Boos), deren Perversion sich ins sexuell-kriminelle hinein schizophreniert, uns aller guten Hoffnungen an Kraft und Eleganz der Dichtkunst, schönen Poesie und Wortschöpfung beraubt – ein rasselndes Ungetüm der übleren Sorte, um es ehrlich zu meinen.
 
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Agnes Burger, Lisa Boos

© Astrid Ackermann

 

Wie eine Zuschauerin bemerkte – im schlechten Gewissen, die abscheulichste Intensität des furchtbaren Theaterstücks mit der großen Leistung des Ensembles zu verwechseln – „ich verstand kaum ein Wort“, um die Gewalt und gegenseitige Ignoranz in den Beziehungen der Figuren zueinander von der Sprache nicht mehr trennen zu können. Das Lachen einer anderen Frau im Publikum der darkbox: geopfert einer Entschuldigung, nicht von Herzen Lachen zu können.

Meine Gedanken waren: darüber kann ich unmöglich schreiben. Nein, ich hasse es, enttäuschend zu sein, doch ich bringe es nicht über's Herz. Als sich dann drei Männerherzen beim Applaus einmal mit verbeugten – Torsten Bischof, Alex Nowak und Markus Schlappig, überredete mich. Für sie eine Ehre, mit fünf jungen Frauen an diesen lauen Sommertagen zusammen zu arbeiten.
Warum das Stück sehenswert ist, warum man sich das rein ziehen sollte? Wenn Werner Schwab schon so sagen kann, „Schrottwert“ ist das, was noch in den Gedanken irgendwo hinten heraus geholt oder gefiltert werden kann, wenn sich eine Gesellschaft entschließt, um das goldene Kalb zu tanzen. Die Klischees der Romantik und sexuellen Aufklärung sind hier brutal zerschlagen worden. Kein intellektueller, schöngeistiger Schmaus. Performative Sprache, die uns aus den Sesseln der Gefälligkeit heraus knebelt, und uns dabei ein bisschen Geilheit wie eine Karotte vor der Nase unerreichbar vorhält. Wer das als Qualitäten schonungsloser Theaterkunst schätzt oder den Teufel, den Werner Schwab mit diesem Stück nach Arthur Schnitzler an die Wand gemalt hat, als das erkennen kann, was er wirklich ist, dem empfehle ich, diese seltene Chance zu nutzen und morgen, sowie nächste Woche Mittwoch, Freitag oder Samstag 1./3./4. August ins Theater werkmünchen auf einen kühlen Drink vorbei zu kommen.



Dominik Tresowski

 

 

 

 


Der reizende Reigen

von Werner Schwab

Lisa Boos, Johanna Debes, Lisa Parise, Claudia Peißig

Regie: Torsten Bischof, Alex Nowak, Markus Schlappig

werkmünchen Der Weg zum Glück von Ingrid Lausund


 

 

 
Leise rieseln die Neurosen

Wenn der Weg zum Glück sich doch nur vom ICH lösen könnte, um ins WIR über zu gehen. Die volkstümliche Neurose, die eigene Persönlichkeit, deren Geschichte und Identifikationsgrundlagen auseinander zu nehmen und systematisch wieder zusammen zu setzen - denn „als irgendwer muss ich ja morgen zur Arbeit gehen“, so die Figur von Fabian Feder - können wir nicht allein überwinden.

Wir saßen gespannt uns selbst gegenüber, einer Puppe, die darauf wartete, sich selbst aufzuziehen mit dem eigenen ICH. Herab hängende Fäden von der Decke ahmten den Schrei aus dem Labyrinth des Egos nach. Ein Kreis, ein Spot um die Figur, Scherben aus Schamstoffstückchen: eine wärmend isolierende Einheit.

Was wären nur Geschenke ohne das Verpackungsmaterial? Das Geschenk, die Krawatte, welche die Regieassistentin Eleonore Neumann der Figur übergab, hatte etwas brutales. Das Glück, von dem das ICH sprach, war pure Gewalt.

Der Chor - die HiFi-Anlage -  sang ein, zwei mal „How old are you now?“ statt „Happy Bithday to you!“. Brachte uns diese Frage nicht zurück zum ausgesprochenen Fordern des Älter Werdens? Als ob wir in einer Endlosschleife des ursprünglichen Makels gefangen als letzte Glücksreserve ja noch die CD mit Meeresrauschen hätten.

Auf der Einladung zur Geburtstagsparty mit Freunden hieß es „Bringt gute Laune mit!“. „Jeder Witz ist ein Treffer“, sprach Fabian wie ein Scharfschütze. Wovor schützen wir uns denn da? Fast jede glückliche Geschichte war der Figur einen Neuanfang wert. Als müsste das Glück etwas Beständiges, das man fest halten, fest nageln könnte, an etwas fest machen, sein. Wenn Glück etwas Endgültiges wäre, das, an einem Punkt erreicht - so wie die Punkte im Schaumstoffkreis, die die Figur nachts neu zusammen setzte - die Endgültigkeit und Gültigkeit einer Identität bedeutete.

Unser Leiden wird stets neu erfunden, in neuem Gewand. „Ich freue mich so lange, bis ich Panik kriege“, spricht der Mensch vor uns. Es tat sehr weh, was wir hier vorgesetzt bekamen. Deshalb lachten wir viel. Wir sahen unseren eigenen Versuch, Leben und Alltag mit den Scheuklappen des Glücks anzugehen. Aus dieser Perspektive konnten wir nun der Wahrheit ins Auge blicken, die der Figur auch hervorragend gelang, vor lauter Heulerei auf der Party aus sich heraus zu kotzen. Bis sie die glückliche Lüge nicht mehr ertragen, nicht mehr aussprechen, nicht mehr neu anfangen konnte. Stattdessen rappte sie, erzählte Witze im Staccato-Takt des neurotischen Stotterns eines Hundert Euro Scheins.
 
derwegzumgl

Fabian Feder

©

 

Die geschickt unauffällig inszenierte, begehbare Theaterinstallation mit Videosequenzen zeigte Fabian Feder nach dem Applaus bei seinen performativen Monologen, die fast schon melodisch, auf jeden Fall wortkünstlerisch rüber kamen - in der S-Bahn, im Auto, im Park mit verwackelter Kameraführung.

Eine der beiden schwebenden Plastiktüten nahm ich ohne Erlaubnis aus dem Bühnenbild heraus. Wie ein Kuscheltier führte ich sie Gassi - am draußen stehenden Publikum vorbei – bis an die Bar. „Wollen Sie sich setzen?“ - „Ja, gerne“, antwortete die Plastiktüte, schwarz, wie sie war. Mit Helium zu sprechen war schon gewagt, und doch ein Teil von mir geworden.

Untrennbar hatten wir uns selbst mit der Besessenheit vom ICH gesehen, das vielleicht gar nicht so viel mit Glück zu tun hat. Joachim, ein langjähriger Freund des Regisseurs sprach nach der Vorstellung mit mir über ein philosophisches Seminar von Wilhelm Schmidt. „Zum Glück gehört die Niederlage dazu“, weiß er. Dass alles inklusive ist, lernen wir schon im Moment der Geburt. Ich persönlich sage: Wenn uns alles Spaß machen würde, wüssten wir gar nicht, was wir wollen. Es war interessant, wie es dem Inszenierungsteam gelungen ist, den Moment des Glücks so zu extrahieren, dass er vor uns ganz greifbar und zugleich formbar, wandelbar, fließend erschien.

„Jeden Tag grüßt das Murmeltier“ kam mir hoch als Analogie zum Mythos des Sisyphos. Die Figur in diesem Stück befreite sich so lange von allen Glücksvorschriften, bis sie im Applaus des Publikums aufwachte.

„Das Rad des Glücks“ von Werner Fritsch (mit Jennifer Minetti), das vor wenigen Jahren im Marstall in München zu sehen war, ähnelte in der Form Alex Novaks Arbeit. Martin, ein alter Studienkollege von mir, war heute Abend das erste Mal im werkmünchen. Hier fand er das Ethos im Theater, „das manchmal fehlt“ und erkannte gleichfalls „die ehrliche Arbeit“ der Schauspielerei mehr als andernorts in München.

Der Videoeinsatz nach der Vorstellung erinnerte mich an das Schauspielhaus Düsseldorf im Stück „Puppen“. Die Darsteller waren dort nachträglich in der Leere des Bildes, das der Sprecher Stefan Schneider mit Beschreibungen füllte, erschienen. Im werkmünchen, lief das Video als Ego-Programm sozusagen mit Blick hinter die Kulissen liebenswert in Endlosschleife unbemerkt weiter, es hatte kein Ende. Wir setzten uns in die erste Reihe und unterhielten uns. Auch, wenn das Video Martin „unnötig“ erschien, sah ich hier doch das WIR, das sich zwischen uns abspielte.

Und genau dieses WIR war mit der familiären Atmosphäre im werkmünchen wieder einmal Balsam auf der Seele. Wer sich also nicht allein fühlen möchte mit dem seinem durchkonstruierten ICH und mutig genug ist, diese Volksneurose leise aus schwarzen Plastiktüten von der Decke rieseln zu hören, ist auf dem richtigen Weg zu der nächsten Aufführung am 24. Mai oder 2. Juni 2012.
 
 
Dominik Tresowski

 

 


Der Weg zum Glück

von Ingrid Lausund

Fabian Feder

Regie: Alex Novak

werkmünchen Das Ende der Paarung von Franz Xaver Kroetz


 

 


Entweder Oder

Entweder ein privates Paar oder Figuren des öffentlichen Interesses. So einfach ist es nie. Während das ‚entweder oder’ stets zu Spaltung führt, so eint das ‚sowohl als auch’. Sich verliebt in die Augen zu blicken, schließt eine heftige Auseinandersetzung nicht aus. Oder ist es gar, dass das Feuer der Liebe durch den Zündstoff Hass befördert wird? So wird jedes Paar zwangsläufig das Opfer emotionaler und mentaler Affinität und Diskrepanz, der scheinbaren Ähnlichkeit und tatsächlichen Unvereinbarkeit. Doch was wäre das Dasein ohne Komplexität – entweder ein Sumpf der dumpfen Harmonie oder das Glück eines Einzellers. Und das entsteht im Laufe der Zeit durch gegenseitige Vereinnahmung bis zur Abhängigkeit ohnehin. Daran ändern auch die neuzeitlichen Variationen der Erscheinungsformen nichts. Entweder Frau oder Mann, dazu in der Öffentlichkeit sowohl Frau als auch in männlichem Habitus, und umgekehrt. Es lebe die Auflösung des Rollenverhaltens, das ‚sowohl als auch’, es lebe das Diffuse, das Chaos.

Und schon ist man mitten drin im Stück von Franz Xaver Kroetz – Das Ende der Paarung. Der Schriftsteller erfasste die essentiellen Mechanismen einer zur bloßen Symbiose verkommenen Beziehung in der sich wandelnden deutschen Gesellschaft. Die an Stärke zunehmende Frauenbewegung und die daraus folgende Verunsicherung der Männer seit nunmehr fast 30 Jahren führten zum Wegfall von traditionellen Rollen und damit klaren und für Menschen überschaubaren Handlungsräumen. „Es verläuft eine feine Linie zwischen Kultur und Zivilisation.“, so Kroetz. Gleichmachender Pragmatismus kann Kultur keinesfalls ersetzen, im alltäglichen Gesellschaftsprozess ebensowenig wie in der Politik. Einer Politik die im Paarungsprozess mit der Wirtschaft symbiotisiert und im „Tod“, der Ausgrenzung der Bevölkerung ihren Höhepunkt findet. Spätestens wenn der Schaden den Nutzen überwiegt, wäre es an der Zeit, dem Spiel bewusst ein Ende zu setzen. Und das, ohne die überall im „Haus“ versteckten Waffen zu benutzen.

Das Haus, die Bühne bedeckte eine breite Grünfläche auf welcher ein Kühlschrank die Küche vorstellte und das Sofa den Lebensraum. Schon sehr konventionell bürgerlich gestaltete Selma Agirgöl sinnfällig die Fläche aus. Da fehlten weder der Toaster, noch die dekorative Stehlampe und die Sofakissen. Selbst der Ort zur Entsorgung der Ausscheidungen, sinnfällig beleuchtet, geriet immer wieder in den Mittelpunkt.

Regisseur Claus-Peter Seifert richtete sein Augenmerk auf das Ausleuchten der psychischen Aspekte und beförderte Jutta Masurath und Dirk Bender zur Gestaltung gewohnt typischer und exzessiver Momente. Einem zwischen Selbstsicherheit, fast mütterlicher Fürsorglichkeit und Hilflosigkeit changierenden Mann, Dirk Bender, stand eine zwischen Mitleid, Hysterie durch Überforderung und kindischem Trotz permanent schwankende Frau, Jutta Masurath, gegenüber. Allein im Ausleben der Aggressionen, der Verletzung des Gegenüber standen sie einander nicht nach. „Das Spiel ist aus. Warum finden wir nur zueinander, wenn wir uns weh tun?“ Und die kurzen Momente in denen Liebe, als verbindendes Gefühl, aufkam, vermochten die Abneigung kaum zu überdecken. Grandios realitätsnah und doch erkennbar spannendes Schauspiel.                                  
Die Szenen in denen die Schauspieler sich in Clowns verwandelten, erschienen vergleichsweise ernsthaft und beinahe erleichternd. Galt es doch die Zuschauer von festen Vorstellungen zu befreien und dadurch Nachdenken überhaupt erst zu ermöglichen.
 
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Jutta Masurath, Dirk Bender

©

 

In der Inszenierung stand am Ende die Geschichte von Petra Kelly und Gerd Bastian, welche die Darsteller vortrugen. Gleichwohl Kroetz bestritt, mit seinem „Deutschen Trauerspiel“ eine Biografie der Beiden geschaffen zu haben, vielmehr galt sein Augenmerk dem Typus des Deutschen, radikal deutschen. Eine Diskrepanz zwischen Vorlage und Umsetzung, die zu überbrücken dem Publikum anheim gestellt wurde. Politisches Theater entsteht nur sehr bedingt durch Nennung von Namen, Bezug auf Personen, sondern vielmehr durch die unmissverständlichen Aussagen und Haltungen der Figuren. Hierin liegt das eigentlich Politische.

Die Politaktivistin und der General a.D. sollten also exemplarisch stehen, für eine zu Beginn konstruktive Paarbeziehung, die im Laufe der Zeit den Focus immer mehr auf Schwächen richtete. Das Ausleuchten und gnadenlose analysieren und festschreiben ebendieser Eigenschaften führt unweigerlich zum Ende jeder Paarung. Durch die Reibung aneinander und an der Umwelt bezogen sie ihre Kraft, die durch Exzess außer Kontrolle geriet und durch Ignoranz von außen abhanden kam, entzogen wurde. Den anderen, die anderen als Reibungsfläche, Projektionsfläche zu benutzen, die eigene Schwäche zu delegieren, ist der Ursprung von Krieg und der Beginn sich selbst ad absurdum zu führen. Man blicke dazu nur einfach in die Medien. Wer seine Kraft aus sich bezieht und durch Haltung in die Welt trägt, verliert weniger schnell sein Gleichgewicht. Diese menschliche Haltung könnte die Neue Zeit ausmachen, ein Neues Miteinander.

Ein Beispiel: Nicht erst seit heute verkauft man an Diktatoren Waffen, und hebt anschließend den Zeigefinger schulmeisterlich zur Schelte, wenn dieser die Waffen benutzt. Und hier greift der schwarz/weiße Satz „Entweder überleben um jeden Preis oder kämpfen bis zum Tod“  und die Erkenntnis, dass der Mitte, den Mittelmäßigen jedes Mittel recht ist – und folglich auch Menschenleben ein Preis zugewiesen wird - durch ihr opportunes Handeln zu überleben. Von Humanismus oder aufgeklärter Haltung also keine Spur, die hat man tunlichst begraben. Die stapelt sich bestenfalls in Buchstabensammlungen in Bibliotheken, archiviert, gelistet, wohltemperiert und vergessen. Haften dem Idealismus zudem doch die Makel von Anstrengung und Fehlleitung an. Da gefällt man sich doch lieber im „Überleben um jeden Preis“ und delegiert das „Kämpfen bis zum Tod“ an die ohnehin Hungernden, die Unterdrückten.
Und hier setzt die Aktualität der Aufführung an, das Stück, in welchem am Beispiel „Zucker“, der Süße des Lebens also, die Haltung dieses offensichtlich zeitlosen Entweder Oder explizit anschaulich wurde.

Das deutsche Paar, stellt eine ganz besondere, sehr deutsche Konstellation vor: Er ein Militär, sie eine Idealistin und es einte sie das Bemühen um Frieden. „Du kannst ohne mich nicht überleben.“, ist der wohl bezeichnendste Satz, welcher veranschaulicht, dass die Idee eine konsequente Haltung fordert, wenn sie in die Welt soll. Mit launischer provokativer Agitation ist wenig, ist nichts zu erreichen und die Geschichte zeigt, dass dieses Tun ins Reaktionäre abdriftete. Blickt man heute auf Partei die Grünen, zu deren Gründungsmitgliedern die in der Aufführung genannten Personen zählten, so zeigt sich eine Inkonsequenz erster Ordnung – eine gescheiterte Verbindung – die beliebig in flauen Kompromissen buhlt. „Du kannst ohne mich nicht überleben.“, sagt die aufrechte Haltung (welche bislang leider im Militarismus gipftelte) zum Idealismus „denn nur gemeinsam erlangen wir für unsere Visionen Platz in der Welt.“

Und nur ein echter Dramatiker, wie Franz Xaver Kroetz, einer, der dialektisches Denken beherrscht und dieses zu personifizieren vermag, bringt These und Antithese auf die Bühne. Er benötigte keine Namen für seine deutschen Archetypen. Und dann brauchte es noch einen echten Regisseur, wie Claus-Peter Seifert, einen, der die Aussagen zu bleibenden Eindrücken gestaltet, um das Publikum zu Synthese finden zu lassen. Das ist ganz großes Theater!

Haben Sie mitgezählt, wie viele Gründe es gibt das Werk und die Inszenierung mitzuerleben? Ist doch der Prozess des Lebens ein beständig erneutes Ringen um Synthese in einem unfassbar komplexen Geschehen!

 
C.M.Meier

 


Weitere Vorstellungen: 1.5./ 4.5./ 11.5./ 23.5./ 7.6./ 15.6./21.6.2012

 


Das Ende der Paarung

von Franz Xaver Kroetz

Jutta Masurath, Dirk Bender

Regie: Claus-Peter Seifert

werkmünchen Trust von Falk Richter


 

 


In ... we trust

Vertrauen, Glaube, Zuneigung und andere positive Gefühlsregungen, welche dem Menschen eigen sind und ihn mit seinen Mitmenschen verbinden, werden in dieser, stets auf Optimierung ausgerichteten Zeit vorsätzlich zweckgebunden und weniger grundlegend eingesetzt. Wie auch Gott, Spiegelbild dieser Eigenschaften, deutliche Abstriche erfahren musste. Es sind vielmehr die trennenden Eigenschaften wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Selbstgefälligkeit, welche Tag und Nacht durch die Medien an die Ohren hetzen. Da ist also der Teufel vor. Er ist es auch, der die Netze der Ideologien über die Menschen wirft, sie darin fängt. Und da weder Gott noch der Teufel greifbar ist, hält sich der Mensch nun am Mammon fest. „Ich bin wie Geld.“ , lässt Falk Richter seine Figuren äußern.

Aus der Fülle des Lebens sammelte der Autor jene Texte und Auffassungen, welche sich in der Beziehung und in der Ökonomie gleichen. Es sind erschreckend viele Deckungspunkte neuerdings, und die angeführten Passagen aus beiden Bereichen veranschaulichen die scheinbare Ausweglosigkeit, in der Mensch agiert. Es ist ein klarer Blick auf die Gegenwart und ihre Schmerzpunkte. Falk Richter ist einer der erfolgreichen deutschen Autoren und arbeitet als Regisseur an der Schaubühne Berlin, dem Schauspielhaus Zürich und in Düsseldorf. Seine Stücke werden weltweit gespielt, sind in 15 Sprachen übersetzt.

„I could be anywhere. ... I can never go wrong. ... Ich komme immer an.“ , begann das Werk. Die Stimme aus dem Off erzählte vom „fullprotection life im 27. Stock eines voll verglasten Hauses“ und den Möglichkeiten und Gepflogenheiten im Heute. Die Bühne begrenzte eine weiße Wand, davor das Schlachtfeld einer Beziehung und einige Teile „heile Welt“. Ein Goldfisch im Glas, ein Tisch mit rotem Tischtuch und Bonsai, eine Wanduhr, ein Teddybär und ein zerbrochener Wandspiegel. Mit Axt und Stichsäge bahnte sich Katinka Maché den Weg durch die Wand auf die Bühne. André Scioblowski folgte ihr. Die Figuren, die sie gaben, waren universell. Sie waren Frau und Mann, Aktivistin und Gepeinigter,  Sehnsüchtige und Gescheiterte. Die Schauspieler verdeutlichten vielgestaltig, dass die Geschichte der Menschheit und des einzelnen ein ewiges abwechslungsreiches Ringen um Vertrauen ist. Die Kraft der Zerstörung prägte die Inszenierung von Markus Schlappig, welcher ihr eine absolut in der Zeit liegende Idee zugrunde legte. Schaffen, schaffen um jeden Preis. Einer schaffte den anderen, schaffte die Materie um sich zu Bruch. Die mit Säge und Axt schuftenden Darsteller hinterließen einen Trümmerberg. Auf ihm suchten die Figuren sich einander zu nähern, was immer nur für kurze Augenblicke gelang.
 
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Katinka Maché, André Scioblowski

© Astrid Ackermann

 

Richters Text verdeutlicht, dass es heute vielfach nur noch Anweisungen sind, die in Beziehungen ausgetauscht werden. „Du musst aggressiver sein.“ – „Es muss von dir kommen.“ Es spielt keine Rolle, welches Geschlecht gerade die Oberhand hat. Das ist gelebte Hierarchie in einem Miteinander, welches von gleichwertem Gegenüberstehen getragen sein sollte. Schon hier wird die Schieflage in der Menschheit sichtbar. Verstärkt wird diese heute durch den propagierten und praktizierten Egoismus, welcher lediglich zu Vereinsamung führt. Und damit das Gefühl von Vertrauen nicht in Vergessenheit gerät, Gott zukommt und damit gar den Mitmenschen, arbeitet der Propagandaapparat und lenkt dieses. Er kreierte: Das Vertrauen in Arbeit und Leistung. Es wurde zur Deutschen Tugend ernannt, zum Motor der Bewegung. Wirtschaftliches Wachstum soll Vorherrschaft im Kreis der partnerschaftlich verbundenen europäischen Länder sichern, und sei es um den Preis von Menschenleben, die weltweit auf den Straßen liegen, tot, erschossen, oder die hungern und frieren. Das Denkschema, das man Neoliberalismus nennt, kanalisiert und pervertiert das Gefühl zu seinem Nutzen.    

Wenn diese Inszenierung des Stückes Trust von Falk Richter Sinn macht, dann in jedem Fall, um einen schwelenden Diskurs weiter anzustoßen. Markus Schlappig gelang mit kraftvollen Bildern ein solcher Anstoß.


C.M.Meier
 
 

 


Trust

von Falk Richter

Katinka Maché, André Scioblowski, Valerie Junker, Helmut Becker

Regie: Markus Schlappig