Werkraum Erklär mir Leben nach Olgas Raum von Dea Loher


 


Der Mensch als Folterer und Gefolterter

 

Der Abend unter dem Titel „Erklär mir, Leben“ im Werkraum der Münchner Kammerspiele erzählte die Geschichte der kommunistischen Jüdin Olga Benario, die 1942 nach einem langen Leidensweg durch verschiedene Gefängnisse und Konzentrationslager in der Tötungsanstalt Bernburg vergast wurde. Grundlage für die von Thomas Schmauser eingerichtete Inszenierung war der Text „Olgas Raum“ von Dea Loher. Die 1908 in München geborene Olga war bereits mit zwanzig Jahren militante Kommunistin, die 1928 an der Befreiung des Kampfgefährten Otto Braun aus dem Moabiter Untersuchungsgefängnis beteiligt war. Es folgte Flucht in die Sowjetunion und schließlich das Zusammentreffen mit dem Brasilianer Luiz Carlos Prestes, in den sie sich verliebte und mit dem sie zusammen im brasilianischen Untergrund kämpfte. 1935 schlug die brasilianische Armee den Aufstand nieder. Prestes erhielt eine Gefängnisstrafe von 47 Jahren. Olga, von Prestes schwanger, übergaben die Behörden 1936 der Gestapo. Per Schiff brachte man sie nach Deutschland, wo sie im Gefängnis von ihrer Tochter Anita entbunden wurde.

Regisseur Thomas Schmauser lässt die Geschichte aus der Zelle im brasilianischen Gefängnis von Olga Benario heraus erzählen. Aufgefordert wurde sie von der Mitgefangenen Genny, die an den Bedingungen in der Haft zu zerbrechen drohte. Olga erzählte ihr an der Mutter statt Geschichten, damit Genny schlafen konnte. Es waren nicht immer wahre Geschichten, denn diese eigneten sich wahrlich nicht zum Einschlafen. Schließlich gab es noch Filinto Müller, einst verdienstvoller Major unter dem Kommando von Prestes, dann übergelaufen und jetzt oberster Folterknecht der Junta. „Ich bin auf der Seite des Stärkeren, ja, ich kämpfe für die Seite der Macht, für die Seite des Rechts. Der Schwache hat kein Recht zu existieren…“ Im Verlauf der Handlung stellte sich heraus, dass dieser Mann längst den Verstand eingebüßt hatte, ebenso, wie die Gefolterten den Verstand zu verlieren drohten. Filinto Müller wiegelte die Gefangenen durch gezielte Fehlinformationen gegeneinander auf. Am Ende blieb für Olga nur noch die Einsicht: „Der einzige Weg, keine Heldin zu sein, keine Märtyrerin, kein Opfer, ist, ich mache mich zur Mitwisserin, Mittäterin. Ich foltere selbst. Foltere jeden. (…) Mich eingeschlossen. Ich foltere mir mein Hirn tot.“

Obgleich der Text von Dea Loher durch starke Bilder und direkte Sprache sehr unmittelbar das Gefühlsleben der Gefolterten und der Folterer transportiert, inszenierte Thomas Schmauser einen philosophischen Ansatz, der weiter reichende Fragen stellte, als die nach menschlicher Schwäche. Er hinterfragt die Weltgeschichte nach der Möglichkeit, diese Gewaltorgien, wie sie sich durch die Jahrhunderte zogen und immer noch ziehen, die permanente Zerstörung der menschlichen Würde zu beenden. Der Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ bekommt angesichts dieser Geschichte einen zynischen Beigeschmack, ebenso wie die Behauptung, die heutige (deutsche) Demokratie ist die bestmögliche. Wenn sie die bestmöglich ist, so kann das nur traurig stimmen.

Wie schon in „Du mein Tod“ (Premiere am 13.05.2012) arbeitete Thomas Schmauser auch diesmal mit Ursula Werner, Peter Brombacher, Barbara Dussler, Morgane Ferru und dem Musiker Ivica Vukelic, mit seiner „Theaterfamilie“, wie Schmauser sie nennt. Schmausers Bühne beschrieb mittels zwei Eckwänden, einer schwarzen für Deutschland und einer gelben für das Ausland, die Topografien der Geschichte. Einige wenige Utensilien, wie ein Amboss oder eine Schleifmaschine, brachten immer wieder die Folter oder Assoziationen davon in den Fokus des Betrachters. Die Darsteller agierten narrativ in einer schwebenden Szenenfolge. Anstelle der Aktion trat der Gestus, der mit äußerster Intensität dargeboten wurde. Barbara Dussler (Ana Libre) und Morgane Ferru (Genny) oblag es, den Folgen der Folter und ihrer Perversion ein Antlitz zu verleihen. Es war gerade die Schönheit und die Jugend der beiden Frauen, die bittere Kontraste schufen. Wirklich erschüttern und beängstigend war allerdings das Spiel Peter Brombachers als Filinto Müller. Er verkörperte nicht die Banalität des Bösen, sondern das Böse in seiner aktiven, bewussten und vorsätzlichen Form. Diese Wirkung konnte er natürlich nur freisetzen Dank der starken und intensiven Darstellung der Olga Benario durch Ursula Werner. Sie agiert, wie Brombacher auch, mit minimalistischen Mitteln.

Thomas Schmauser verband mit seiner Inszenierung einen Appell, dessen Sinn er gleichsam infrage stellte. Mit „Was wäre wenn, Deutschland …“ ließ er von Ursula Werner einen politischen Text einlesen, der einen adäquaten Umgang mit der Geschichte einforderte, um sie endlich aufzuarbeiten. Allein, die Geschichte hat bewiesen, dass es bei dem wunderbaren Gedanken „Was wäre wenn …“ in der Regel auch bleibt. Furcht vor der eigenen Schuld, Ignoranz oder einfach nur Gleichgültigkeit haben es stets erfolgreich verhindert. Auch wenn dieser Text, der wirkte, als hätte Thomas Schmauser ihn kurz vor Ultimo noch eingeschoben, aufrüttelnd und anrührend war, so verstärkte er die Wirkung der Inszenierung nicht unbedingt. Er wirkte vielmehr wie ein Appendix.

Thomas Schmauser qualifizierte den Loher Text im Programmheft wie folgt: „Es ist ein großer Text über Schmerz, der nicht über Einfühlen oder Nachempfinden funktioniert, sondern über eine Klangqualität.“ Genau diese Qualität konnte er in seiner Inszenierung sichtbar machen. Die artifizielle Ästhetik war zwingend und fesselnd. Damit hob er das Thema Folter auf eine über die sinnliche Wahrnehmung hinausreichende Stufe, ohne dem Gegenstand den Schrecken zu nehmen.

Dennoch ist ein Einsspruch angebracht. Der dargebotene Text lieferte keine realistische Charakterisierung der historischen Figuren. Es darf nicht übersehen werden, dass Olga Benario, von der DDR-SED zur Revolutionsikone stilisiert, eine durchaus gewaltbereite Frau war, die die Befreiung Otto Brauns mit Waffen angeführt hatte. Sie ließ sich in der Sowjetunion an Waffen ausbilden und die geplante Revolution in Brasilien gipfelte am 27. November 1935 in einem Putsch gegen das diktatorische Regime unter Staatspräsident Getúlio Vargas, der fehlschlug und zur fanatischen Verfolgung der Linken führte. Prestes verbüßte keine 47jährige Gefängnisstrafe, wie im Stück suggeriert, sondern kam 1945 Dank der Intervention des Schriftstellers Jorge Amado wieder frei. Er war viele Jahre kommunistischer Parteivorsitzender und bekleidete das Amt eines Distriktsenators. Die Geschichte weiß auch zu berichten, dass die Ehefrau des Generalsekretärs der KP Brasiliens nach dem Scheitern der Revolution von den Genossen als vermeintliche Verräterin ausgemacht wurde. Die Genossen, unter ihnen auch Prestes, beschlossen ihre Exekution. Sie wurde, ohne dass ihre Schuld erwiesen war, durch Strangulation hingerichtet. Prestes verließ 1982 die KP und wurde Sozialdemokrat. Nur soviel: Hier ist Vorsicht angemahnt, um nicht in eine Propagandafalle zu tappen.

 

Wolf Banitzki


 


Erklär mir Leben

nach Olgas Raum von Dea Loher

Peter Brombacher, Barbara Dussler, Morgane Ferru, Ivica Vukelic, Ursula Werner, Joachim Wörmsdorf

Regie: Thomas Schmauser