Ophelia

Kammerspiele Werkraum Ophelia nach William Shakespearee


 

 

Zurück blieb das Lächeln der Marie Jung

Hamlet und Ophelia. Das erste Mal werden die beiden in einem Gespräch zwischen Gertrude, Königin von Dänemark und Mutter Hamlets, und Polonius, Oberkämmerer und Vater Ophelias, ins Verhältnis gebracht. Polonius gibt der Königin Kenntnis von einem Brief Hamlets an seine Tochter, worin es heißt: „Zweifle an der Sonne Klarheit, / Zweifle an der Sterne Licht, / Zweifle, ob lügen kann die Wahrheit, / Nur an meiner Liebe nicht.“ (2. Akt, 2. Szene) Zuvor hatten Ophelias Vater Polonius und auch ihr Bruder Laertes dem jungen Mädchen dringend angeraten, den Schwüren des Prinzen keinen Glauben zu schenken, und, um es einmal ganz lax zu formulieren, die Beine zusammen zu halten. Im 3. Akt, 1. Szene, Hamlet hat gerade seinen Monolog (Sein oder Nichtsein…) gehalten, trifft der Prinz auf Ophelia, die ihm einige „Angedenken“ zurück geben möchte und Hamlet bekennt plötzlich und unverhofft: „(…) Ich liebte Euch dereinst.“ Ophelia ist erstaunt: „In der Tat, mein Prinz, Ihr machtet michs glauben.“ Was folgt, ist niederschmetternd für das junge Mädchen, dessen Liebe noch gänzlich rein ist und frei von Falschheit.

In Shakespeares Drama bleibt Ophelia stets außen vor, ist Spielball in den Intrigen und in den sich überstürzenden Ereignisse, Objekt von Verleumdung und auch übler Nachrede. Sie ist eine berückend schöne, aber tragische Gestalt. Schließlich, nachdem Hamlet ihren Vater getötet hat, zerbricht sie unter der emotionalen Last und geht ins Wasser. Laertes, der nach Frankreich gereist war, kehrt zurück, um den Vater und die Schwester zu beerdigen und um Rache an Hamlet zu nehmen. Am Ende gibt es unter den Protagonisten nur einen Überlebenden. Es ist Hamlets römischer Freund Horatio, der die Geschichte im Auftrag Hamlets in die Welt hinaustragen soll. Der Rest ist Schweigen.

Christof Van Boven schickte sich nun an, die Geschichte vom Mord am König von Dänemark durch dessen Bruder und den Verrat der Königin, die sich dem neuen König schnurstracks hingab, aus dem Mund Ophelias erzählen zu lassen. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, abgesehen davon, dass gerade Ophelia kaum etwas von den Kabalen und dem seltsamen Gebaren des Drahtziehers Hamlet verstand. Darum ist sie auch eines der ersten Opfer des Hamletschen „Wahnsinns“. Regisseur Van Boven machte das ahnungslose Wesen dennoch zu einer Handelnden. Ophelia ließ das Publikum wissen, dass sie, versteckt in dunkler Nacht, beim Treffen Hamlets und dem Geist seines ermordeten Vaters anwesend war. Und sie gab ihr Wissen weiter. (Was die ganze Dramaturgie des Stückes von Grund auf verändern würde.) Schließlich blieb sie auch nach ihrem Hinscheiden sehende und sprechende Zeugin und vermochte die Geschichte bis zu Ende zu erzählen. Das allerdings mit nur sehr wenigen Worten, denn die Vorstellung im Werkraum der Kammerspiele dauerte ganze 50 Minuten. Es liegt auf der Hand, dass die Zuschauer, denen die durchaus komplizierte Geschichte fremd war, auf der Strecke bleiben mussten.

Dass müsste auch Christof Van Boven klar gewesen sein. Also gehen wir einmal davon aus, dass es hier nicht um Shakespeares „Hamlet“ ging, sondern um die eigenständige Geschichte des Mädchens Ophelia, die bei Shakespeare gleichsam vorkam, der er aber zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Die Vorstellung begann damit, dass zwei Bühnenarbeiter den Boden der Spielfläche im Werkraum feucht wischten. Er verwandelte sich so in das Gewässer, in dem sich Ophelia ertränkte. Ein kleiner Fleck war ausgespart und trocken geblieben und Marie Jung, die aus dem Publikum heraus die Bühne betrat, machte sich daran, diesen Fleck mit ihren Fußsohlen zu befeuchten. Dann betrachtete sie lange und eingehend das Publikum. Diese Ophelia war eine gänzlich schmucklose Erscheinung in einem einfach geschnittenen Kleid und den flachen, plumpen Schuhen. Ein knabenhafter Haarschnitt machte Frau Jungs Erscheinung deutlich maskuliner. Zusätzlich hatte Ausstatterin Sina Barbra Gentsch (Kostüm und Bühne) den natürlichen Liebreiz hinter einer großen Brille versteckt. Diese Ophelia war ein sanftes, eher androgynes Wesen, mit dem man gern befreundet ist, um deren Liebe man jedoch nicht unbedingt werben würde. Nach Minuten des konzentrierten Schauens hob Marie Jung zu einer gesungenen Introduktion an. Ihr Stimme war schrill und einschneiden. Fast schmerzhaft wurde das Publikum auf eine grausame Geschichte eingestimmt.

Ohne nennenswerte Bewegungen erzählte sie in einem lyrischen Telegrammstil. Die introvertierte Spielweise schuf eine magische Spannung, aus der es kaum Entrinnen gab. Der darstellerische Minimalismus und die daraus resultierende Konzentriertheit erinnerte zwingend an die Darstellung André Jung in John Fosses „Winter“ im Jahr 2005. Der Apfel fällt halt doch nicht weit vom Stamm. Allein, die Wirkung der verglichenen Inszenierung, war denkbar unterschiedlich. Christof Van Boven gelang es nicht, eine Frauenfigur zu schaffen, die im Gedächtnis bleiben würde. Zu dünn blieb die Geschichte, die neben Shakespeares Drama naturgemäß verblassen muss. Dafür hatte sich die Figur der Ophelia nicht weit genug entfernen können vom Stück.

Die zwei deutlich sichtbaren Regieeinfälle wirkten im Kontext der Liebesgeschichte aufgesetzt, wenn nicht sogar peinlich. Um Nacht herzustellen, bewegte Marie Jung eine auf einer Palette stehende Nasszelle soweit, bis ein darin befindliches Radio in die gefüllte Wanne plumpste und einen Kurzschluss auslöste. Viel Aufwand für wenig. Das letzte Bild wurde von einer ähnlichen Konstruktion, einer Ausstellungsloge, dominiert, das von Marie Jung erst ins Blickfeld des Betrachters gerückt wurde. Darin befand sich ein ausgestopftes, gesichtsloses Fellwesen (ein Yeti oder ein Bigfoot?). Da Marie Jung diesen ausgestopften Gesellen liebevoll umwarb, ließ sich mit einigem Mut argwöhnen, es handele sich um das seltsame, schwer zu verstehende, fremdartige Wesen Hamlet, das immerhin wert ist, im Museum gezeigt zu werden. (Der Kritiker fühlt sich mit einer Deutung überfordert.)

Sowohl die Idee, wie auch die Inszenierung waren sehr ambitioniert. Allein, die Wirkung hielt sich in Grenzen. So blieb letztlich nur das Lächeln der Ophelia von Marie Jung zurück, über das sich Heinrich Heine in seinem Essay „Shakespeares Mädchen und Frauen / Ophelia“ schwärmerisch erging: „ (…) es bleibt mir unvergeßlich, wie bettelhaft der Gesang der Nachtigallen abstach gegen die himmelhauchende Stimme Ophelias und wie armselig blöde die Blumen aussahen mit ihren bunten Gesichtern ohne Lächeln, wenn ich sie zufällig verglich mit dem holdseligen Munde Ophelias! Die schlanke Gestalt, wie wandlende Lieblichkeit schwebte sie neben mir einher.“

Wolf Banitzki

 


Ophelia

nach William Shakespeare

Marie Jung

Regie: Christof Van Boven

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