Werkraum Invasion! von Jonas Hassen Khemiri
Wer ist Abulkasem?
"Abulkasem ist ein cooler Name. …Ich habe einen Onkel, der heißt Abulkasem." Abulkasem, Abulkasem, … tatsächlich, ein echt cooler Name und mehr noch. Schon bald avanciert dieser Name in Kreisen Jugendlicher mit "Migrationshintergrund" oder besser fremdländischer Herkunft zum Pseudonym für alles coole, und bald auch uncoole, schlechthin. Abulkasem, das ist wie "Mann, piss die Wand an!" in "Donnie Brasco" von Mike Newell mit Jonny Depp und Al Pacino in den Hauptrollen. Abulkasem ist ein Mythos, ein höchst moderner Mythos, übt doch das Nahöstliche einen besonderen Reiz im positiven wie im negativen Sinn aus. Aus der Ferne betrachtet, und nur aus der Ferne betrachtet, projizieren wir all die wunderbaren Mythen von morgenländischer Erhabenheit, Weisheit, Mut und all den anderen Ethnokitsch auf Folien wie beispielsweise Abulkasem. Von Karl May bis Lawrence von Arabien bliesen zahllose entrückte Träumer ihre Verzückungen in europäische Ohren.
Gemeint ist mit Abulkasem vom Autor natürlich ein anderer, wenngleich er sich sehr geschickt um eine Festlegung drückt. Aber die gesellschaftliche Scheinrealität wirkt nun einmal übermächtig. Bin Laden drängt sich auf. Der hat es immerhin geschafft, von einem verwöhnten Millionärssöhnchen mit moralisch skandalöser Vergangenheit, mittelmäßiger Begabung für nichts und einem krankhaften Ego zur Ikone des Bösen aufzusteigen. Unter normalen Umständen würde er vielleicht in Saudi Arabien oder im Libanon ein Teppichgeschäft oder einen Autohandel (Marke Mercedes, BMW oder Audi) betreiben. Aber heute, und dafür ist die Welt ihm sehr dankbar, gibt er ihr doch etwas, was sie wie die Luft zum atmen brauchen: ein solides Feindbild. Übrigens, die Welt, das sind auch wir. Nach der Übernahme des Ostblocks durch den liberalen Markt fehlte etwas Entscheidendes, auf das man mit hypertrophem Selbstbewusstsein angewidert zeigen konnte. Gottlob rührt sich im Land am linken Rand schon wieder etwas, dass wir dankbar ins Visier nehmen. Aber international bleibt uns allemal der Terrorismus, den man auch national bis in die Gesetzgebung oder auch -abschaffung hinein ausschlachten kann.
"Abulkasem ist ein cooler Name. …Ich habe einen Onkel, der heißt Abulkasem." Abulkasem, Abulkasem, … tatsächlich, ein echt cooler Name und mehr noch. Schon bald avanciert dieser Name in Kreisen Jugendlicher mit "Migrationshintergrund" oder besser fremdländischer Herkunft zum Pseudonym für alles coole, und bald auch uncoole, schlechthin. Abulkasem, das ist wie "Mann, piss die Wand an!" in "Donnie Brasco" von Mike Newell mit Jonny Depp und Al Pacino in den Hauptrollen. Abulkasem ist ein Mythos, ein höchst moderner Mythos, übt doch das Nahöstliche einen besonderen Reiz im positiven wie im negativen Sinn aus. Aus der Ferne betrachtet, und nur aus der Ferne betrachtet, projizieren wir all die wunderbaren Mythen von morgenländischer Erhabenheit, Weisheit, Mut und all den anderen Ethnokitsch auf Folien wie beispielsweise Abulkasem. Von Karl May bis Lawrence von Arabien bliesen zahllose entrückte Träumer ihre Verzückungen in europäische Ohren.
Gemeint ist mit Abulkasem vom Autor natürlich ein anderer, wenngleich er sich sehr geschickt um eine Festlegung drückt. Aber die gesellschaftliche Scheinrealität wirkt nun einmal übermächtig. Bin Laden drängt sich auf. Der hat es immerhin geschafft, von einem verwöhnten Millionärssöhnchen mit moralisch skandalöser Vergangenheit, mittelmäßiger Begabung für nichts und einem krankhaften Ego zur Ikone des Bösen aufzusteigen. Unter normalen Umständen würde er vielleicht in Saudi Arabien oder im Libanon ein Teppichgeschäft oder einen Autohandel (Marke Mercedes, BMW oder Audi) betreiben. Aber heute, und dafür ist die Welt ihm sehr dankbar, gibt er ihr doch etwas, was sie wie die Luft zum atmen brauchen: ein solides Feindbild. Übrigens, die Welt, das sind auch wir. Nach der Übernahme des Ostblocks durch den liberalen Markt fehlte etwas Entscheidendes, auf das man mit hypertrophem Selbstbewusstsein angewidert zeigen konnte. Gottlob rührt sich im Land am linken Rand schon wieder etwas, dass wir dankbar ins Visier nehmen. Aber international bleibt uns allemal der Terrorismus, den man auch national bis in die Gesetzgebung oder auch -abschaffung hinein ausschlachten kann.
Bernd Moss, Sandra Hüller, Jochen Noch, Oliver Mallison © Andrea Huber |
Die Kammerspiele bewerben den dramatischen Erstling Jonas Hassen Khemiris (Jahrgang 1978), Sohn einer Schwedin und eines Tunesiers, als einen "wahnwitzigen und berührenden Versuch, dem näher zu kommen, was man Konstruktion von Fremdheit und Identität nennen könnte". Möglich, dass dieser Aspekt in den Intentionen des Autors gelegen haben mag. Meist werden solche Sätze aber in Dramaturgien ausgeköchelt. Die Regisseurin Jorinde Dröse hat sich daran aber nicht so sehr gehalten. Dankenswerter Weise folgte sie einer anderen Fährte, in dem sie chaotisch, explosiv, banal-komisch bis hin zu erschüttert innehaltend inszenierte. Die strukturellen Schwächen des dramatischen Entwurfs ignorierend, ließ sie die vier Darsteller lustvoll, auch mal an die Grenzen des schlechten Geschmacks gehend, spielen. Heraus kam, und hier liegt das außerordentliche Verdienst dieses Stückes und auch der Inszenierung, dass die heutigen Realitäten durchweg inszenierte Wirklichkeiten sind. Jorinde Dröse führt vor, wie Wahrheiten konsequent erfunden, umgedeutet, verlängert, verkürzt und immer doch effektvoll unter die Leute gebracht werden. Über diesen Wahnsinn kann man nur lachen, um nicht weinen zu müssen.
Es ist anzunehmen, dass Jonas Hassen Khemiri intuitiv schrieb, sich nur teilweise seiner eigenen Botschaft bewusst war. Aber er war sich des Gefühls des eigenen Überdrusses angesichts der Realitäten sicher, das ihn leitete. Es ist ebenso anzunehmen, dass er nicht in der Lage war, die Wahrheiten heutigen Seins rational zu erfassen und so blieb ihm nur, sie in ihrer Absurdität zu dokumentieren. Heraus kam ein Stück, dessen Wahrheitsgehalt bemerkenswert hoch ist und dessen unartikulierte Botschaft, wenn man die Zeichen denn zu deuten vermag, nachhaltig wirken könnte.
Jorinde Dröses künstlerische Leitung verhalf dem Anliegen Khemiris, ins Bewusstsein der Zuschauer zu gelangen. Das nicht sonderlich einfallsreiche Bühnenbild von Maren Geers, bestehend aus einer weißen Wand aus Kartons reichte hin. Der geübte Theatergänger wusste beim Betreten des Werkraums, dass diese Wand irgendwann im Stück zum Einsturz gebracht wird. Es handelte sich hier um eine theatralische Ikea-Lösung. Dies geschah im Stück denn auch in dem Augenblick, als der Terrorismus, den es neben dem Medienterrorismus auch gibt, real wurde. Die Invasion war bereits in vollem Gang …
Der Spielspaß war den Darstellern Sandra Hüller, Oliver Mallison, Bernd Moss und Jochen Noch anzusehen. Jeder von ihnen war irgendwann einmal Abulkasem. Mit überzeugenden Leistungen schlüpften alle aber auch in die Rollen von Wissenschaftlern, "Kanaktürken", Studenten, Emigranten, Kindern etc. Die Anforderungen an die Darsteller waren nicht unerheblich. Aus augenscheinlich wahnwitzig-komischen Situationen gelang übergangslos der Umstieg in realistisch-deprimierende Szenen. Die Komik dominierte allemal. Es war eine Komik aus Beckett, den Marx Brothers und in schwachen Momenten leider auch manchmal Harald Schmidt. Letztere verwässerten die Botschaft hin zum zügellosen "nur" Lachen.
Ungeachtet aller Schwächen sticht diese Inszenierung aus dem "Migrations-Diskurs" durch ihren hohen Realitätssinn (realistisch in Bezug auf die Absurditäten) heraus. Ein lohnenswerter Abend, nicht länger als 50 Minuten, der den Zuschauer gelöst in eine Realität entlässt, die mit den medialen Attacken schnell wieder zu emotionalen und auch zu intellektuellen Verspannungen führt.
Wolf Banitzki
Es ist anzunehmen, dass Jonas Hassen Khemiri intuitiv schrieb, sich nur teilweise seiner eigenen Botschaft bewusst war. Aber er war sich des Gefühls des eigenen Überdrusses angesichts der Realitäten sicher, das ihn leitete. Es ist ebenso anzunehmen, dass er nicht in der Lage war, die Wahrheiten heutigen Seins rational zu erfassen und so blieb ihm nur, sie in ihrer Absurdität zu dokumentieren. Heraus kam ein Stück, dessen Wahrheitsgehalt bemerkenswert hoch ist und dessen unartikulierte Botschaft, wenn man die Zeichen denn zu deuten vermag, nachhaltig wirken könnte.
Jorinde Dröses künstlerische Leitung verhalf dem Anliegen Khemiris, ins Bewusstsein der Zuschauer zu gelangen. Das nicht sonderlich einfallsreiche Bühnenbild von Maren Geers, bestehend aus einer weißen Wand aus Kartons reichte hin. Der geübte Theatergänger wusste beim Betreten des Werkraums, dass diese Wand irgendwann im Stück zum Einsturz gebracht wird. Es handelte sich hier um eine theatralische Ikea-Lösung. Dies geschah im Stück denn auch in dem Augenblick, als der Terrorismus, den es neben dem Medienterrorismus auch gibt, real wurde. Die Invasion war bereits in vollem Gang …
Der Spielspaß war den Darstellern Sandra Hüller, Oliver Mallison, Bernd Moss und Jochen Noch anzusehen. Jeder von ihnen war irgendwann einmal Abulkasem. Mit überzeugenden Leistungen schlüpften alle aber auch in die Rollen von Wissenschaftlern, "Kanaktürken", Studenten, Emigranten, Kindern etc. Die Anforderungen an die Darsteller waren nicht unerheblich. Aus augenscheinlich wahnwitzig-komischen Situationen gelang übergangslos der Umstieg in realistisch-deprimierende Szenen. Die Komik dominierte allemal. Es war eine Komik aus Beckett, den Marx Brothers und in schwachen Momenten leider auch manchmal Harald Schmidt. Letztere verwässerten die Botschaft hin zum zügellosen "nur" Lachen.
Ungeachtet aller Schwächen sticht diese Inszenierung aus dem "Migrations-Diskurs" durch ihren hohen Realitätssinn (realistisch in Bezug auf die Absurditäten) heraus. Ein lohnenswerter Abend, nicht länger als 50 Minuten, der den Zuschauer gelöst in eine Realität entlässt, die mit den medialen Attacken schnell wieder zu emotionalen und auch zu intellektuellen Verspannungen führt.
Wolf Banitzki
Invasion!
von Jonas Hassen Khemiri
Sandra Hüller, Oliver Mallison, Bernd Moss, Jochen Noch Regie: Jorinde Dröse |