Werkraum Familienbande von Lola Arias


 

 

 
Alltag tun

im Werkraum der Münchner Kammerspiele: Welch grandiose künstlerische Idee, jede Figur sich selbst sein zu lassen. Die Aktion, eine „real Fiktion“, Realität zu Bühnengeschehen gestaltet, gab den Blick frei auf ein bestimmtes Haus in dem süddeutschen Dorf Schmieden und das Zusammenleben von seinen Bewohnern und zwei Hasen. Eine große Rasenfläche, eingegrenzt von zwei Baumreihen, erstreckte sich vor einer Holzfassade. Durch Tür und Fenster gab diese den Blick in das Innere des Hauses frei, und diente auch als Projektionsfläche für die darin mit der Kamera aufgenommenen Bilder. Hier agierten Tochter und Vater neben Kleinkind, der Erbin des Hauses, und ihrer Country Musik singenden Lebensgefährtin. Die besondere Konstellation von Zusammenleben wird scheinbar besprochen, wobei die Mutter und die Frau der Mutter den Dreh- und Angelpunkt bilden.

Die Regisseurin und Verfasserin Lola Arias sammelte, dekorierte und arrangierte aus der Realität in eine gefällige Bühnenhandlung. Ihr definiertes Anliegen war das Aufzeigen von persönlichen Bindungen.
Der zusammengestellte Text bestand unter anderem aus einem persönlichen Traum und Wahrnehmungen in einem Supermarkt, sowie immer wieder aus Frage- und Antwortspielen: „Was wäre wenn ... ich ein Mann wäre?“ „Dann würde ich Motorrad fahren ... einen Bart tragen ... Cowboy werden“ oder ein anderes „Mein Vater hat ...“ „Mein Vater hatte einen Bart ... Mein Vater fuhr einen Käfer und einen VW-Bus.“ Dazwischen liefen Mutter Katja Bürkle und Tochter Lena Huber in gleichen roten Kleidern über den Rasen vor dem Haus und posierten im Fenster oder auf der Schaukel, während die andere Mutter, Silja Bächli, einen Song zum Besten gab. Vater Florian Huber spielte mit seiner Tochter oder saß mit ihr auf dem Motorrad und der Ventilator erzeugte dazu mächtig Fahrtwind, der die Haare fliegen ließ. Das Kleinkind Moses wurde von Arm zu Arm gereicht, alle und keiner beschäftigten sich tatsächlich mit ihm, der Frucht wissenschaftlicher Befruchtung. Samenspender Florian Huber trat an die Rampe, äußerte glaubhaft seine Bedenken zu dem Vorgang, sein Zögern, gab aber zu letztlich doch mitgemacht zu haben. Während des Aufhängens von Wäsche auf die Leine erklang eine Überfülle von Klischees, Volksweisheiten und Zitaten: „Der Hund ist der beste Freund des Menschen. – Sterben ist wie Schlafen, aber für immer.“ Daraufhin gruppierten sich die Personen auf dem Sofa, wie für das Familienalbum – Vater, Mutter, Tochter oder Mutter, Mutter, Sohn oder Mutter, Mutter, Vater, und und und. Mit Puppenspiel im Puppenhaus wurde Familiengeschichte erzählt ... Schließlich galt es eine und eine halbe Stunde Aktionszeit zu füllen.

Große Teile des Publikums, vor allem die jüngeren und älteren Frauen, lachten und freuten sich über das Kleinkind auf der Bühne, besonders, wenn dieses breit grinsend auf der Schaukel saß oder am Tisch kleine Gurken verzehrte. Ebenso entlockten die beiden Hasen interessierte Reaktionen. Das kann doch eine gelungene Aktion genannt werden! Auch wenn Lola Arias durch Katja Bürkle die Forderung nach neuem Vokabular für das Zusammenleben in den Raum stellen ließ und doch selbst kein einziges Wort dazu beitrug?

 

Lena Huber, Florian Huber

© Andreas Pohlmann

 

Ein Wort hätte Lola Arias einfallen bzw. begegnen müssen. Es ist das Wort Matriarchat, das es bereits seit Beginn der Kulturgeschichte gibt. Dieses beschreibt Formen des Zusammenlebens von Frauen, bei dem Männern untergeordnete oder gar beiläufige Rollen zukommen. Samenspenden könnte als solche beiläufige Rolle bezeichnet werden und auch das wird, dank der Wissenschaft und Gentechnik, bald nicht mehr nötig sein. Die Männer abschaffen also zum Wohl der Frauen und Schaden der Kinder? Könnte das die Botschaft sein?

Zyklisch kehren sie wieder, die Zeiten in denen in der Welt der Ruf nach Müttern laut erschallt, in denen ihnen Orden verliehen oder Prämien aussetzt werden. Zeiten in denen die Mütter die Geschicke in die Hand nehmen an den Werkbänken, den Schreibtischen, den ... Es sind auch die Zeiten, in denen die Männer im Krieg fallen oder in der Gesellschaft vom System, dessen Dienern und seiner Ideologie ohnmächtig beiseite geschoben werden. Doch wie bereits erwähnt geschieht dies zyklisch und damit ist das Ende, der Wandel absehbar und genau hier bedarf es des Menschen, des vollständigen Menschen.

Es ist die biblische Geschichte von Moses, die ebenso beifällig wie die Banalitäten auf der Bühne erzählt wurde. Sie gilt es wahrzunehmen bei dieser Schau-Aktion. Dem aus künstlicher Befruchtung hervorgegangenen Kleinkind, fehlt der Wesenskern, der ein Ergebnis des natürlichen Zeugungsaktes ist. Dieser macht den Menschen einzigartig und damit wechselseitig bezogen auf Vater und Mutter, auf Schwester und Gleichartige, macht ihn zum sozialen Wesen, gibt ihm Identität. Es ist also ein tragisches Beispiel, das Einzug in den Königspalast, die Kammerspiele gehalten hat. Wenn das Kleinkind nun tatsächlich den Namen Moses trüge, und damit „Führer“ aus einem „Land“ zurück, zurück zu „Urgründen“ wäre, stünden wir, die Menschen, bereits hinter einem Punkt der Entscheidung, da täglich vielfach künstlich befruchtet wird. Das Ende des Menschen im klassischen Bild wurde dadurch eingeleitet. Das sieht nach Irrweg, Verlust des gelobten Landes aus, auf den sich nach neuen Gebieten suchende Wissenschaftler begeben haben. Nicht alles was möglich ist, ist sinnvoll.

Wenn auch die von den Männern unter Beihilfe starker und/oder willfähriger Frauen geschaffene Kultur und Zivilisation in der Form, in der wir sie heute kennen, keineswegs der „Weisheit letzter Schluss“ sein darf, so ist diese doch allemal spannender als pures natürliches Rudelverhalten und Arterhaltung als entscheidender Lebenszweck. Letzteres führte die Unternehmung von Lola Arias genauso deutlich vor Augen. Die Lösung kann nur im Menschen, in beiden Gestalten, im Gleichgewicht und Austausch in adäquater Form liegen. Dies wäre für mich die einzig sinnvolle Botschaft des Schau-Spiels.

 
C.M.Meier

 

 

 


Familienbande

von Lola Arias

Silja Bächli, Katja Bürkle, Florian Huber, Lena Huber, ein Kleinkind, 2 Hasen

Regie: Lola Arias
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