Werkraum Armes Ding von John Birke


 

 

Höhenflug eines Kreativen

"Ein Stück mit drei Szenarien" erwartet den Zuschauer im Werkraum, wenn sie oder er John Birkes (Jahrgang 1981) Auftragswerk für die Kammerspiele in Augenschein nehmen möchte. Im ersten Szenario bombt eine Attentäterin, keine Muslime, eine Kölner Moschee am Tag der offenen Tür in die Luft. Es gibt Tote und Verletzte. Ein Mann, der mal eben schauen gegangen ist, rettet ein türkisches Mädchen. Beim Versuch auch deren Bruder, der nicht mehr lebt, was der Mann jedoch nicht weiß, aus dem Inferno zu erlösen, gerät er in eine Explosion und wird verstümmelt. Eine Botschaft gibt es nicht, doch immerhin einen Paradigmenwechsel im Denken. Hier bombt eine Christin(?) weil sie die Kultur und Religion verteidigen will. "wer besser sprengt, hat schon recht." Zitat John Birke im Programmheft.

Das zweite Szenario behandelt die auf dem Krankenbett geschlossene Ehe zwischen dem verstümmelten Mann und seiner Angetrauten. Die opfert sich für ihn auf. Ist es Liebe? Vielleicht, doch darum geht es dem Autor scheinbar nicht, sondern um die bedingungslose Selbstaufgabe der Frau. So ganz rein bleibt diese Selbstaufgabe nicht, denn die Frau wird von einer Journalistin überredet, ein Buch über das Schicksal des Mannes zu schreiben. Nun ja, schreiben braucht sie es gar nicht. Gegenlesen reicht der Journalistin schon. Zur Buchpremiere geht der entstellte Mann denn auch nicht mit, es ist ja nicht sein Buch und ob es wirklich etwas mit ihm zu tun hat, steht in den Sternen.

 

 

Sylvana Krappatsch, Lena Lauzemis, Edmund Telgenkämper

© Thomas Pohlmann

 

Aus dieser Opferthematik heraus, man weiß auch nicht mehr so recht, wer eigentlich das Opfer ist, leitet sich das dritte Szenario ab. Eine Agentur verleiht an Perverse und Bedürftige Leihopfer. Es ist ein guter Job, wie die malträtierte Frau beteuert und, wie die Prostitution auch, ist es sogar noch eine Hygiene für die Gesellschaft. Es gibt natürlich ein Risiko dabei, doch wenn der Preis stimmt, ist dieses zu vernachlässigen.

Hier hat ein junger Autor ganz augenscheinlich große Probleme mit der Welt. Das ist schon mal gut. Er schreit das in die Welt hinaus und ... versucht zu unterhalten. Wollte er die Welt wenigstens im Geiste ein wenig beeinflussen, hätte er sich allerdings über seinen eigenen Reflex hinausbemühen müssen. Fehlanzeige. Selbst die Unterhaltung gelingt nicht wirklich. Keines der Szenarien lässt darauf schließen, dass er durch eine konkrete Realität, durch eine eigene Erfahrung zu diesem Schmerzensschrei gezwungen wurde. Die Szenen sind zusammengebastelt in der Hoffnung, Realität damit aufzuheben. Das ist legitim, wenn es denn gelingt.

Der Text ist nur bedingt ein Theatertext. Dafür spricht die Selbstbehauptung des Autors und eine Handvoll wirklicher Dialoge, die, würde man sie von der Fäkalsprache befreien, noch einmal auf die Hälfte reduziert werden können. Der Text ist überwiegend reflexiv, monologisch, an niemand außer das Publikum gerichtet. ‚Und dann war ich ... und dann fühlte ich ... und, und, und.'
Nun, das soll wohl so sein, denn Birke meint über sein Schreiben: " ein fass, (...), einfach aufmachen und sehen, wie alles raussprudelt. nachher kommt schon jemand zum aufwischen. da kommt immer wer." (Eine gewisse Arroganz ist dabei nicht zu übersehen.) So klingt der Text schließlich auch. Die Sprache ist demontiert und fragmentiert. Dem Autor wären die Attribute: archaisch, spontan, emotional sicher lieber. Nein, sie ist schlichtweg schlampig und wenn überhaupt Wirkung erzielt wird, dann über Reizungen mit billigen Mitteln und (dank der ausgezeichneten Schauspieler) einer aggressiven Musikalität.

Felicitas Brucker fiel letztlich die Aufgabe zu, wegzuwischen oder besser, Ordnung zu schaffen in diesem pubertären, kreativen Konstrukt. In einem Theater, das nicht über so hervorragende Schauspieler und Spielleiter verfügt, wäre die Peinlichkeit und Künstlichkeit dieses Textes schnell und für jedermann offenbar geworden. Diese Instant-Sprache, herausgefiltert aus Coolness einer Filmrealität, soll suggerieren, dass die Figuren ganz dicht am Leben sind. Auch wenn der Autor daran glaubt, sie sind es nicht.

Sylvana Krappatsch, sie ist ein komödiantisches Vollblut, die gern auch mal an die Grenzen des Physischen geht, gab die Selbstmordattentäterin, die Ehefrau und das Leihopfer. Dabei schien ihr die zügellose Sprache, die mit ihrer bemühten Laxheit nur dürftig berührte, entgegen zu kommen. Sie tobte furios über das Plateau aus geschnürten Ballen voller Kleidungsstücke (Bühne: Dorothee Curio), vermutlich Sedimente unserer Konsumgesellschaft, dahin. Edmund Telgenkämpers Aufgabe bestand darin, das jeweilige Frauenbild als verstümmeltes Bombenopfer oder als naiver Journalist zu spiegeln. Auch sein Part ging mit großem physischen Aufwand einher. Lena Lauzemis war die dritte im Spiel, stichwortgebend als "Sie" im 1., quotengeil als Journalistin im 2. und rüde machohaft als Folterer im 3. Szenario. Felicitas Brucker mühte sich redlich und mit guten Einfällen um sinnfällige Spielgestaltung. Die Schauspieler setzten alles mit Enthusiasmus um. Doch die Dürftigkeit der dramatischen Vorlage konnten sie mit ihren Anstrengungen nicht überspielen.

Diese Inszenierung gehört zu denen, über die es sich nicht wirklich zu streiten lohnt. Spätestens nach einer Woche wird man sie vergessen haben und wenn nicht, dann weil einem die eine oder andere Leistung der Darsteller im Gedächtnis geblieben ist. Man nehme es als das, was es war: Eine Werkstattinszenierung.


Wolf Banitzki

 

 

 


Armes Ding

von John Birke

Sylvana Krappatsch, Lena Lauzemis, Edmund Telgenkämper

Regie: Felicitas Brucker
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