Kammerspiele Zur schönen Aussicht von Ödön von Horváth


 

 
Aussichtslos

Wie sich die Zeiten gleichen. Horváths Stück "Zur schönen Aussicht" entstand 1926, in einer Zeit, die geprägt war vom Wandel und der Auflösung gewohnter Strukturen in der Gesellschaft, und dies geht stets einher mit Wirtschaftskrisen und der Verelendung großer Teile der Bevölkerung. Auch die Globalisierung und die propagierte neoliberale Weltordnung heben alte Ordnungen auf. In solchen Zeiten gibt es nur einen Gott, der da heißt Geld und er zwingt die Menschen in sein Gebet.

Ein wenig heruntergekommen ist es schon, das Hotel "Zur schönen Aussicht", in dem sich Menschen eingefunden haben, für die es kaum "Aussicht" mehr gibt und "schöne" schon gleich gar nicht. Hoteldirektor Strasser setzt auf seinen einzigen zahlenden Gast, Ada Freifrau von Stetten, eine Halbweltdame, deren Aufenthalt seinen Ruin nur kurzfristig hinausschiebt. Es ist auch ein Ort, an dem jeder von der Vergangenheit lebt, sie vor sich herträgt und sich in ihr sonnt. Strasser war ehemals Offizier und als Schauspieler ein Fünkchen in der Filmindustrie. Der Kellner Max war poetischer Kunstgewerbler. Karl, Adas Chauffeur, betätigte sich als Schieber in Portugal und da ist noch der Sektvertreter Müller, der vergeblich Geld einzutreiben versucht und sich auch ganz gerne mit dem Generaldirektor Müller verwechseln lässt. Hierher kommt auch Emanuel von Stetten, der Bruder Adas, den nur noch der Titel über Wasser hält und der die letzte Kugel schon bei sich trägt. In diese Idylle platzt Christine, ein Gast aus dem Vorjahr, deren Affäre mit Strasser nicht ohne Folgen blieb. Briefe schrieb sie ihm, unzählige, die der Erheiterung der Gesellschaft dienten, doch die nie beantwortet wurden. Die Männer rotten sich zusammen, lassen Strasser "nicht im Stich". Jeder will Christine nun näher gekannt haben. Das Anständige wird verlacht, man treibt seinen Spaß damit und bleibt letztlich doch selber auf der Strecke. Denn Gott half Christine.
 
   
 

Peter Brombacher, Edmund Telgenkämper, Jochen Noch, Lena Lauzemis

© Arno Declair

 

Christine: "... ich wäre noch gestern vielleicht gar ins Wasser gegangen, hätte mir nicht der liebe Gott geholfen." Strasser: "Was verstehst du unter "lieber Gott?" Christine: "Zehntausend Mark."

Ada beantwortet die Frage nach Wahrheit und Anständigkeit mit zwei kurzen Sätzen, die doch für alle Beteiligten Geltung haben: "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders. Nur komme ich so selten dazu." Auch sie hat Gott Geld fest im Griff.

Charaktere, wie Horváth sie schuf, gibt es heute nicht mehr. Die Menschen haben sich geändert, doch die Inhalte und Texte der "Neuen Menschen" sind die der alten. Es ist nun nicht mehr menschliches Gespräch, sondern Kommunikation um Geld, die stattfindet. Laut und rotzig schrien die Darsteller einander auf der Bühne zu.

Das Hotel "Zur schönen Aussicht" war Ort für Depression, Stagnation und Apathie. Bühnenbildnerin Maria-Alice Bahra hatte diese Wesenheiten in das Bild einer riesigen Bar mit abgewohntem Mobiliar, sowie einer dicken Wolke Zigarettendunstes gestellt. Es war ein Ort der Vergessenen, da durch die Klimakatastrophe die Gäste ausblieben (Man beachte die Weitsicht Horváths).

Der Kellner Max, grandios vielschichtig auf die Bühne gebracht von Peter Brombacher, war der einzig menschlich anmutende im Spiel. Berührend komisch machte er sich auf die Suche nach seinen Schuhen, oder näherte er sich mit Blumenstrauß Christine. Max Text enthielt noch Reste von Moral. Gundi Ellert gab ausgesprochen glaubhaft eine alkohol- und männersüchtige Ada, die über weite Strecken nur auf der Theke oder unter den Stühlen lag. Wie überhaupt der Alkohol die Szene bestimmte und im Köpfen von Sektflaschen fanden sich die Akteure um einen Tisch. Es wurde unverbindlich verbindlich, wobei es denn mehr um Saufen, denn um Trinken ging. Müller, der Sektvertreter, wurde dargestellt von Jochen Noch. Hartes Stakkato kennzeichnete seinen Vortrag, der typisch deutschen Figur in Horváths Werk. Dies reichte jedoch nur bedingt für eine glaubhafte Charakterisierung. Die Rolle des Hoteldirektors Strasser war weitgehend zurückgenommen worden und Thomas Schmauser agierte vornehmlich aus der Defensive heraus, wie ein weidwundes Tier. In seiner Figur hatte das Wort Schmierigkeit Gestalt angenommen. Mit körperlichem Aktionismus wurde nicht gespart und mit Christine und Ada auch schon mal der Boden gewischt. Lena Lauzemis gestaltete ihre Rolle als Christine ganz im Sinne Horváths. Unschuldig naiv widerstand sie dem perfiden Gesellschaftsspiel. Die Fußwaschung ihrer Peiniger war der Versuch ein religiöses Moment in die Geschichte zu bringen, wirkte aber letztlich nur abgeschmackt.

Die Regie versuchte mit dieser Inszenierung den Spagat zwischen Unterhaltung und Gesellschaftskritik, was ästhetisch nicht immer gelang und an einigen Stellen auch zu Längen im Stück führte. Die fehlende Entscheidung für eine klare Position rächte sich im Ergebnis. Das Konzept, durch Überziehung einzelner Passagen gesellschaftskritisch zu wirken ging nicht auf. Das Publikum reagierte polarisiert - Applaus für die Darsteller, Buh-Rufe für die Regie.



C.M.Meier

 

 


Zur schönen Aussicht

von Ödön von Horváth

Peter Brombacher, Edmund Telgenkämper, Jochen Noch, Thomas Schmauser, Stefan Merki, Gundi Ellert, Lena Lauzemis

Regie: Christiane Pohle