Kammerspiele Robinson Cruso, die Frau und der Neger nach J.M. Coetzee


 
 
Intellektuelle Gaumenfreuden ohne Sättigungseffekt

J.M. Coetzee, südafrikanischer Schriftsteller, wurde 2003 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. In der Begründung des Komitees heißt es: " ... seine Romane zeichnen sich durch verschlagene Komposition, verdichteten Dialog und analytische Brillanz aus ... er ist ein gewissenhafter Zweifler, schonungslos in seiner Kritik der grausamen Vernunft ... seine intellektuelle Ehrlichkeit ... ". "Foe" , sein letztes, ein fiktionales Werk, fand nun unter dem Titel "Robinson Cruso, die Frau und der Neger" in der Bearbeitung von Pieter de Buysser den Weg auf die Bühne der Münchner Kammerspiele.

"Foe" basiert auf dem Roman "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe. Der Roman, einer der bedeutendsten Abenteuerromane der Neuzeit, entstand 1719. Die literarischen Genre dieser Zeit verfolgten bestimmte Ziele. So veranschaulichte beispielsweise der Mantel und Degenroman das Selbsthelferprinzip, um den Geknechteten den Funken Hoffnung auf Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Daniel Defoe verknüpfte in dem von ihm neu geschaffenen Genre, der Robinsonade, eine abenteuerliche Geschichte mit philosophischem Hintergrund. Sein Held wird der englischen Gesellschaft entrissen und durch Isolation auf das rein Menschliche zurückgeworfen. In dem Augenblick, in dem er durch das Auftauchen von Freitag aus der völligen Isolation heraus tritt, beginnt er das Gesellschaftsmodell, welchem er entsprang, wieder aufzubauen. Defoe zeigte damit die Unentrinnbarkeit des Menschen aus Herkunft und Gesellschaft auf.
 
   
 

André Jung

© Andreas Pohlmann

 

 

Die Geschichte: Ein Schiffbrüchiger wird auf eine Insel verschlagen. Nach Jahren in Einsamkeit findet er in dem, von ihm aus den Fängen von Menschenfressern befreiten Insulaner Freitag Gesellschaft. Er macht ihn zu seinem Untertan. Jahre später gelangt Robinson Crusoe ins England des 18. Jahrhunderts zurück, mit ihm sein Diener Freitag.
J.M. Coetzee greift die Struktur auf und erweitert diese Geschichte um eine Frau, Susan Barton. Sie, auf der Suche nach ihrer Tochter, wird von Meuterern ausgesetzt. Susan Barton gelingt es sich auf die Insel zu retten. Hier trifft sie auf Cruso, alt, mit langem Haar, mit langem Bart. Freitag, sein Neger, ist stumm. Man hat ihm die Zunge herausgeschnitten. Ein Schiff nimmt ein Jahr später die Drei auf und sie reisen Richtung England. Cruso stirbt unterwegs. Susan Barton sucht den Schriftsteller Foe auf, er möge ihre und Freitags Geschichte aufzeichnen. Dazu kommt es jedoch nicht. Susan Barton ist Fiktion und einmal mehr wird deutlich, der Mensch ist in sich, seiner Herkunft und Gesellschaft gefangen ist. Coetzee's Cruso teilt die Insel mit Freitag, dem stummen Neger. "Hole Brennholz" , das sind Worte die der Neger versteht. Mehr hat Cruso ihm nicht beigebracht. Wozu auch? Besteht sie doch auch hier weiter, die alte vertraute Ordnung. Crusoe und Cruso unterscheiden sich nur in ihrem gesellschaftlichen Anliegen. Defoes Crusoe baute auf, leitete Freitag an. Coetzees Cruso genügt sich selbst und beschäftigt sich mit dem Bau von Terrassen ohne diese zu bepflanzen. Susan Barton ist die dramaturgische Stimme eines möglichen Gegenübers, das doch ein fiktives, stimmloses ist. Sie ist nur Frage oder Antwort, das Tagebuch eines Robinson, das Tagebuch Cotzees. Susan Barton und ihre Geschichte sind unerheblich, unerheblich wie der Neger. Sie dienen idealistischen Projektionen. Der Mann ist Cruso, ist Foe. Er weiß um den Aufbau einer Geschichte, er weiß um die Geschichte Robinson Crusoes und vieler anderer, doch steht er allein, isoliert in Reflektion gefangen. Er ist sich selbst fremd, Feind geworden, Foe. Die Inseln der Einsamkeit sind überall in der Zivilisation, sie sind an keinen Ort gebunden, an keine Rasse, an kein Geschlecht.

Die Inszenierung: Die Bühne wurde beherrscht von der überdimensionalen Skulptur des Negers (Bühnenbild Marc Warning). Bronzebraun mit finsteren Ausdruck im Gesicht blickte er auf Robinson Cruso, Susan Barton und Susan Barton und die Erzählerin herab. Ja, richtig, Susan Barton und Susan Barton. Zwei Darstellerinnen die eine Figur Frau ergeben sollten, weiß gekleidet Betty Schuurman, schwarz gekleidet Sylvana Krappatsch. Sie sollten einander ergänzen, ohne jedoch zu einer Identität verschmelzen zu können, stellte doch eine das reflektierende, die andere das konfrontierte Prinzip dar. Kühl deklamierten sie in geschlechtsneutraler Haltung über Emanzipation, Stimmlosigkeit und Befindlichkeiten auf der Suche nach … einer eigenen Stimme? Oder gar einer Identität als die neue Frau? Sinnbildlich ließ Regisseur Johan Simons Cruso, alias Foe, alias Coetzee sein Süppchen kochen. Cruso stand am Herd. Er kreierte mit leichter Hand aus der Überfülle der Natur Wohlriechendes, welches vor sich hin köchelte, den Gaumen der Zuschauer reizte, welchen es doch nie erreichen würde. Genauso wie der Duft der wohlriechenden Speisen über dem Publikum schwebte, blieb auch die Botschaft des Stückes unfassbar im Raume hängen. Der intellektuell überzeichnete Text ermüdete, die Erzählung der konstruierten Geschichte wirkte bemüht und manche Länge ließ den Blick auf die Uhr zu. Ein sehenswertes Erlebnis hielt der Abend aber doch bereit. André Jung verhalf der Figur des Mannes Cruso mit Sensibilität und intensiver Präsenz zu Gestalt und Leben. Er zitterte, litt und wand sich zwischen den neutralen Frauen, die vorgaben Stift und Papier zu sein, und dem Neger. Später als Foe gelang es ihm mit kühler Überlegenheit seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wollte er doch die Geschichte nicht aufschreiben müssen, der Fiktion nicht zu Realität verhelfen. Denn am Ende stand Daniel Defoe und die Unentrinnbarkeit des Menschen aus seinem Ursprung.



C.M.Meier

 

 


Robinson Cruso, die Frau und der Neger

nach J.M. Coetzee

In der Bühnenfassung von Pieter de Buysser unter Verwendung einer Übersetzung von Wulf Teichmann

Julika Jenkins, André Jung, Sylvana Krappatsch, Betty Schuurman

Regie: Johan Simons
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