Kammerspiele The new Electric Ballroom von Enda Walsh


 

 

Endstation Hoffnungslosigkeit

Breda (Hildegard Schmahl) und Clara (Barbara Nüsse) sind längst angekommen. Eigentlich dauerte ihre Lebensreise nur 10 Meilen, zum New Electric Ballroom. Es war jenes Etablissement, in dem Roller Royle und seine Showband auftraten. Für die beiden Schwestern war Roller nicht nur die Verkörperung einer anderen und besseren Welt, fern von diesem Fischerkaff und der Fischkonservenfabrik. In ihm sah jede für sich gleichsam auch den Prinzen, der sie in die wahre Liebe hineinküssen könnte. Beide werden von Roller "dran genommen" und beide bleiben "ungeküsst". Das Gleiche hätten sie auch im "Sunshine Ballroom" haben können, wohin die Frauen der Konservenfabrik samstags gingen. Doch gerade dieser Welt wollten sie entfliehen. Ihre vermeintliche Hybris, die nichts anderem als einer Sehnsucht auf ein menschliches Leben entsprang, brachte sie um alles.

Wenn sich der eiserne Vorhang vor dem Gefängnis für 1 Stunde und 45 Minuten hebt, erlebt der Betrachter zwei alte Frauen, die vielleicht seit einem halben Jahrhundert dasselbe Ritual vollziehen. Immer wieder durchleben sie den Augenblick, in dem sie sich von der Liebe verabschiedeten. Eine Außenwelt gibt es für Breda und Clara nicht mehr, wie das düstere, grabähnliche Bühnenbild von Claudia Rohner verdeutlicht. Zerborstene Treppen lassen eine Flucht unmöglich erscheinen. Wer in diese Gruft gelangen will, muss waghalsig klettern. Und wer will schon zu den beiden kommen außer Ada (Annette Paulmann), die das Schicksal der beiden Alten zu teilen scheint. Und noch einer hofft, Zugang zu finden. Es ist der Fischhändler Patsy (Hans Kremer), der nichts sehnlicher wünscht, als einmal ein richtiger Besucher sein zu dürfen. Die dramaturgische Konstellation ließe ein Happy End zu, doch nicht der Autor und schon gar nicht Regisseur Stephan Kimmig, der konsequent den Intentionen Enda Walsh's folgt.

Was am Anfang noch befremdlich wirkt, die harte und direkte Sprache, wächst sich mit dem Fortgang der Geschichte immer mehr zu einem tiefen Unbehagen aus. Der 1967 in Dublin geborene Autor Walsh bekennt sich zu seiner irischen Literaturtradition und diese sollte man vielleicht ein wenig kennen, um sich ohne größere Irritationen in die Geschichte begeben zu können. Menschlichkeit wird hier scheinbar anders definiert. Die Erinnerung an einen literarischen Helden Becketts drängt sich auf, der jeden Tag ans Grab einer Verstorbenen geht und daraufpinkelt, um ihrer zu gedenken.
 
   
 

Annette Paulmann, Barbara Nüsse, Hildegard Schmahl

© Andreas Pohlmann

 

 

Walsh geht weit, sehr weit in seiner Darstellung eines Menschenbildes, in dem Hoffnung keinen Platz mehr zu haben scheint. Und wenn es tatsächlich so ist, dass die Hoffnung immer zuletzt stirbt, kann dieses Dasein nur eine Sackgasse sein.

Regisseur Stephan Kimmig weiß die Klippen dieses Stückes, den unerträglichen Realismus, geschickt zu umschiffen. So bekommen Breda und Clara über weite Strecken starke clowneske Züge, womit Kimmig deutlich Beckettsches Land betritt, auch wenn das Programmheft gerade diesen Unterschied zwischen beiden Autoren glaubhaft machen möchte. Zudem gibt er der Komik, ob vom Darsteller oder vom Autor gewollt, viel Raum. Dabei kann er auf Interpreten zurückgreifen, die ihren Part souverän gestalten. Hans Kremer als Patsy bleibt nicht nur wegen seiner glaubhaften Darstellung eines Verlierers in einer Welt, die an sich nur aus Verlierern besteht, im Gedächtnis. Ihm wurde als Patsy die Gnade zuteil, an seinem Schicksal, das ebenso unerträglich ist, nicht mitgestrickt zu haben.

Eine gelungene Inszenierung allemal, doch am Ende bleibt beim Betrachter ein Restzweifel darüber zurück, ob er diese Hoffnungslosigkeit teilen möchte.

 
Wolf Banitzki

 

 


The new Electric Ballroom

von Enda Walsh

Annette Paulmann, Barbara Nüsse, Hildegard Schmahl, Hans Kremer

Regie: Stephan Kimmig
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