Werkraum Kebab von von Gianina Cãrbunariu


 

 

 
Der Mensch bleibt des Menschen Wolf

"Von Zeit zu Zeit sprühten Polizisten Tränengas in die Kanäle, um die Kinder zu vertreiben …" (Aus: Kinderzimmer im Souterrain von Annette Kaiser, ein Lagebericht aus Rumänien.)
Hier beginnt die Geschichte für Mady, 14 Jahre alt. Sie lebt als Vollwaise bei der Großmutter. Das Geld reicht nur für ein Kleidchen. Dann begegnet sie Voicu, der in der Heimat Urlaub macht, wie er vorgibt. Er stellt sich ihr als ein in Irland tätiger Impresario vor. Sie verliebt sich in ihn. Er beschafft ihr einen gefälschten Pass und Mady folgt der Verheißung, die Europa für sie bedeutet, und fliegt nach Dublin. Auf dem Flugplatz begegnet sie Bogdan, der ein Stipendium in Irland hat und von der Erlösung durch die Kunst träumt. In Dublin angekommen, landet Mady auf dem Strich. Bogdan, seiner heimatlichen Verwurzelung entrissen, vegetiert in Verzweifelung. Dann begegnet er Mady als Kunde. Die Drei gehen eine Allianz ein ("We have a deal!") und vermarkten sich gemeinsam im Internetpornogeschäft. So bilden sie die Familie, nach der sie sich sehnten und die sie so vermissten im gefühlskalten Irland. Mady ist Kebab geworden, die Nahrung für den schnellen Hunger ohne Genuss. Scheibchenweise verliert sie ihre Illusionen und ihre Würde. Als Bogdan seine Prüfung an der Universität bestanden und einen Job bekommen hat, meldet Mady, inzwischen schwanger, ihre Ansprüche an. Sie wird zum Störfaktor und wird entsorgt wie ein unliebsames Insekt im Abwasserkanal. Der Kreis hatte sich geschlossen.

Die 1977 in Rumänien geborene Gianina Cãrbunariu weiß, worüber sie in ihren Stücken spricht. Mit unverstelltem Blick auf die rumänische Gesellschaft und einem gesunden Empfinden für Menschlichkeit entlarvt sie die Illusion Europa, der so viele Menschen der osteuropäischen Beitrittsstaaten aufsitzen. Ihr Drama "Kebab" ist voller Poesie und menschlichen und gesellschaftlichen Abgründigkeiten, gut gebaut und eine wunderbare Spielvorlage, die Regisseurin Barbara Weber fulminant umsetzte. Es war ein berührender und verstörender Abend, der so schnell nicht vergessen werden kann. Er rückte das Bild von Europa, dass ideologisch verbrämt von den politischen Autisten gebetsmühlenartig beschworen wird (Der Markt wird's schon richten!), ins rechte, in ein künstlerisch-realistisches Licht.
 

Steven Scharf, Tabea Bettin, Edmund Telgenkämper

© Andreas Pohlmann

 

Tabea Bettin spielte einen vitalen, kindlich überschäumenden, verträumten Teenager von ungeheuerlicher Belastbarkeit. Ihre Rolle war die eigentlich tragende, wenn es um Menschlichkeit ging. Wie in der Realität häufig auch, ruhte die größte Last auf ihren schmalen weiblichen Schultern. Allein, ihre Träume waren die ersten, die verraten wurden. Die Rolle des Voico, ebenso exzellent gestaltet von Edmund Telgenkämper, war von einem starken Realitätssinn geprägt. Voico sah im neuen System den idealen Nährboden für seine kriminellen (und selbstredend gesellschaftsfähigen) Potenzen, die die ganze Sache am Ende dann auch "erfolgreich" erscheinen ließ. Steven Scharf spielte einen von enormen inneren Ängsten und Unsicherheiten getriebenen Bogdan. Sein verstörtes Vibrieren war nicht nur die Unsicherheit eines einzelnen Kunststudenten, sondern die eines ganzen Volkes vor dem verheißungsvollen und ebenso trügerischen Wetterleuchten einer neuen Zeit, die ihr greisenhaftes Antlitz mit ausgefeilter Ästhetik zu übertünchen sucht. Als er am Ende dann zu den Machern gehörte, ganz im Habitus des erfolgreichen Zeitgenossen, hatte er alle moralischen Skrupel verloren. Und wo keine Moral mehr ist, kann diese auch nicht durch einen Mord belastet werden. Also verkauft man sein mörderisches Treiben als Videobilder im Namen der Menschlichkeit. So entpuppte sich am Ende alles als eine große Lüge. Besonders interessant war das Statement der beiden Männer in Bezug auf ein anstehendes Fußballspiel Rumänien gegen Irland: "Wir werden sie fertig machen." Soviel zu ethnischer oder nationaler Identität im Freude-schöner-Götterfunke-Europa.

Es war eine echte Werkrauminszenierung, chaotisch und nicht mit Focus auf ästhetisches Styling. Für Bühnenbild und Kostüme zeichnete Bernhard Siegl verantwortlich. Balkanländische Unaufgeräumtheit spiegelte ungebremste Vitalität wider. Ein wichtiger Höhepunkt war die musikalische Untermalung durch den jungen Gitaristen und Sänger Murena. Als er am Ende seinen exstatisch-sehnsuchtsvollen Gesang ertönen ließ, war Gänsehaut unvermeidlich.

Diese Inszenierung verdeutlichte nebenher zweierlei: zum einen, dass die wirkungsvollen Autoren aus dem wahren Leben und nicht aus Seminaren für kreatives Schreiben kommen, und zum anderen, dass Theater eine ungeheure Macht ist, wenn es wider alle gesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen um Suche nach Wahrheit geht, ohne, wie der heutige mediale Dauerbeschuss mittels Fakten, vordergründig realistisch zu sein.

Für diese Inszenierung muss man den Münchner Kammerspielen Respekt zollen und Dank sagen.

 
Wolf Banitzki

 

 


Kebab

von von Gianina Cãrbunariu

Steven Scharf, Edmund Telgenkämper, Tabea Bettin, Murena

Regie: Barbara Weber
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