Kolumne


 

Auf der Suche

… nach dem ultimativ perfekt glorreichen System. Die Suche läuft seit Jahrhunderten und auf den verschiedensten Ebenen. Ein scheinbar ordnender Vorgang im universellen Chaos wird gesucht. Gesellschaftlich, politisch, ökonomisch, künstlerisch - im kleinen wie im großen Stil. Ist es die Intelligenz (Summe der geistige Fähigkeiten) oder das Chaos (Unordnung des alles Gleichzeitigen) welches die größeren Erfolge verzeichnet? Oder liegt es alleine im Betrachter, dem Wahrnehmungsvermögen und dem Verstand, was zu erkennen, reflektieren er in der Lage ist und in dem umfassenden Chaos als System zu definieren?

Wir kennen das System der Reflektion des Einzelnen. Er bringt eine Idee in die Welt, nennt Vorgaben und Ziel, welchem viele folgen und sich Teile davon zu eigen machen. Einfach überschaubar. Natürlich nur im vorgegebenen Rahmen, denn schon der bloße Widerspruch führt zum Tod. Einzelne stehen im Vordergrund des Rampenlichts und der über den Zuschauerraum hinausgehenden Aufmerksamkeit. Doch wieviel Aufmerksamkeit verträgt Mensch ohne dadurch Schaden zu nehmen? Es ist erheblich weniger, als er sich einzugestehen bereit ist. Jedes Zuviel führt zu Zerstörung. Auch um diesen Effekt zu mildern trug man im antiken Theater eine Maske.
Zur Jahrhundertwende prägten individuell intellektuell Einzelne das Geschehen in Theatern und auf den Bühnen. Deren Weltbild und Vorstellungen nahmen die Zuschauer mit in das persönliche Leben. Auf diesem Weg entstanden Gesellschaftsmuster und die Aufdeckung des Unbewussten im Humanismus kursierte. 

Darauf folgten Gruppen im Modell des Teamwork. Jeder bringt seine Erfahrung und seine Ideen ein und dieses Kreative, alles Unmögliche möglich verbindend mittels Einbildungskraft, belebte die Spielfläche. Jeder tut sein Bestes, agiert im Feld gegenseitiger Unterstützung eines Mottos. Sie stehen demonstrativ für: „Wir können es!“ Es spielt sich ein auf dem Level Normalität. Bild und Ergebnis veranschaulichten eine Mischung von gespiegelter Realität. Der Applaus bestätigt die erkennbare Spiegelung, den Wiedererkennungswert auf lebendige Weise.

Die Räume füllen sich, füllen sich und die Party beginnt. Eine Einbindung aller Kräfte ins Kollektiv folgte nach und in diesem reagiert es spontan auf einzelne Impulse aus der Masse. Eine Handbewegung lenkt Geschehen, Geschicke. Ein Furz erschallt und es folgen unmittelbar unzählbare weitere, gleich einer Mode die aufkommt und Tausende in mit Symbolen bedruckte T-Shirts zwängt, zwingt. Der Exhibitionismus erobert das gesellschaftliche unüberschaubar vielschichtige Aktionsfeld.
Die Suche nach Sinn und Beweggrund ist hier oft vergebliche Mühe, denn Sinn und Unsinn liegen eng beieinander, unterscheiden sich bisweilen kaum und werden der Laune einzelner überlassen, denen jedoch die Masse folgt. Universeller Aktivismus ist eine Folge.

„Gibt’s auch mal was Neues?“ 

„… im Abstrakten das Nichts, die Leere ausloten! Wie etwa in der bildenden Kunst …“

Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis die KI die Bühnen der Welt erobert und damit die Welt per se. In einem Sciencefiction-Film liegen posthumane Organismen in Schalen, angeschlossen an ein Netzsystem welches die abgegebene Energie aufnimmt und damit die KI speist, in Betrieb hält. Welch grandiose Idee. Spätestens dann bedarf es keines Theaters mehr zwischen den reflektierenden Bildschirmen. Es hat sich erübrigt.

C.M.Meier


Juni 2022

Szene aus dem Stück Vater-Mutter-Kind


 

Zwei Neutren (jede Zeile abwechselnd)

Ich Sein Erster Dasmensch (Pause) genau wie in Gesetz geschrieben

ich auch erste Dasmensch

nein ich

nein ich

ich will sein

du böse

ich will

 

(Pause)

nein beide gut wir

glaube Wissen Ende Kampf

sagen Krampf

 

(Pause)

 

Ich weiß

Ich erste

Ich erste

Dasmensch

 

Wir beide erste Dasmensch

Gerecht so

(Pause)

für Rest

braucht Sich kein Wollen

ist schon gerichtet

Gesetz ist Gesetz

alles a sozial

 

(Pause)

Gesellschaft Verantwortung

Ohne Welt alle gleich

 

(Pause)

Infant regiert

immer sehen Krimi Nachrichten

ohne Sich

ich immer bequem

 

(Pause)

denken Leben

kaufen hübsche Maske

Form schlank

ist sich modern

unfassbar

eigenschaftslos

 

(Pause)

ich jetzt Ordnungsvorstellung

arbeiten

auch bisschen

wie früher

bequem Job alle

transparent Funktion

Chefe Moral-Idealiste

 

(Pause)

sagen sein fantastisch reproduktiv

gute Mit…fahrer

also aach du sehen

besser nix Schicksal Eigene

sonst viel krank

 

(Pause)

Propheten sagen

Flucht in Kopf

weg Schmerz

Gefühl Himmel

Immer

 

(Pause)

Ist sich wie Paradies

jede Tag

abnutzen Geschlecht

für gut entspannt

in gesund

 

(Pause)

also aach

nur viel viel Vegetation

 

(Pause)

alles einzige Glück

Dummheit grenzenlos

ich kann sein alles

alles ist wie nix

Kolossal Entwicklung

 

(Pause)

das Meinung Freiheit

wichtig

heute musst du haben

gut Idee statt Leben

 

Einrufer:   Irre - einfach Über - Irre -  genial vollschwach   Saubere Lösungen  Dilettanten vor  +…+…+…+… Zeitgeist

CHOR:

 (stammelt Buchstaben): ainsur miku is nukisa wunio is...

            : a a a a a ...

            : i i i i i i ...

            : s s s s s ...

            : n n n n ...

            : k k k k ...

            : u u u u ...

            : e e e e ...

            : r r r r ...

            : au au au au ...

Einrufer:          Oh heiliger Zimborium 


C.M.Meier


Mai 2003

Sommergedanken


 

Kunstwerk Mensch

In den, in der Renaissance entstandenen Portraits wird die Idee vom Menschen erstmals deutlich erkennbar. Die Realisierung fand äußerlich durch die Verbindung von naturgegebener Schönheit und kultivierter Erscheinungsform statt. Die Verwirklichung durch die Gestaltung des inneren Wesens mittels aufklärende Wissensbildung und selbsterkennende Haltung strahlt aus dem Lächeln und den Augen der Portraitierten. Der Prozess der lebendigen Spiegelung füllte den Raum zwischen den gleichermaßen natürlichen wie kultivierten Elementen auf beiden Seiten der Leinwand. Diesen nachzuvollziehen gelingt jedem unvoreingenommenen Betrachter, auch noch hunderte Jahre nach der Entstehung. Besonders angesprochen fühlen sich jene, die in Zeiten von doktrinärer Manipulation, wie es derzeit die Medien oder die Technik mit der Massengesellschaft vollführen, den Schlüssel für den nächsten Schritt zu Entwicklung suchen. „Vieles kann der Mensch entbehren, nur den Menschen nicht.“ (Ludwig Börne)

In dem multidimensionalen Prozess der Natur entstanden über einen, mittlerweile ziemlich exakt berechenbaren Zeitraum unzählbare Erscheinungsformen des Lebendigen. Die Wandelbarkeit im Prozess des Werdens und Vergehens ist es, die das Lebendige auszeichnet. Je vielfältiger eine Spezies angelegt ist, umso umfassender ist ihr Einfluss auf die unmittelbare Umgebung. Eine dieser lebendigen Kreaturen ist die Spezies Homo.

Menschsein, das ist die Summe der Eigenschaften und Fähigkeiten, inklusive der tierischen Natur, die das Wesen des Menschen ausmachen und die er durch Persönlichkeit zu freiheitlich kultivierter Humanität entwickelt hat. Ein Prozess mit vielen Versuchen, ebenso vielen gescheiterten wie gelungenen, der von Kultur und Kunst begleitet und gefördert wird. Ohne Visionen, also traumhafte Vorstellungen und Bilder in der Seele, gibt es keine Kunst. Ohne Kunst verläuft die Entwicklung des Organismus Homo in reine pragmatische Natur, heute auch in ökonomische oder technische Mechanismen.

Kultur, die Gestaltung von Natur ist deren Weiterführung zu einem bestimmten Zweck, dem des Überlebens einer Gemeinschaft oder sei es auch nur die Anhäufung von berauschender Schönheit. Die zu diesem Ansinnen erfasste Natur birgt sowohl die Schönheit, wie sie gleichermaßen auch den Existenzkampf veranschaulicht, dessen Regeln immer wieder neu überdacht und aufgestellt werden und doch die selben stets sind. Ein Sprung über den Schatten Kreatur wäre der tatsächliche Beginn humaner Kultur. Und in diesem Umfeld erst begänne der Mensch. Die Kultur wirkt auf eben diesen Raum verbindend und entwickelnd in Gemeinschaft. Das Ideal verbindet, dennoch steht es über und bislang nur teilweise zwischen den Kreaturen.

Die Kunst, der gestaltende Gedanke im eigenen bildenden Schaffen, macht in seinem Umfang den Unterschied zwischen der tierischen Natur, dem Organismus und dem Menschen. Das, über das Maß der Masse hinausgehende Schaffen von außergewöhnlichen Werken obliegt dem Künstler, das Erkennen von Zusammenhängen dem Wissenschaftler. Der, dessen Werke besondere zeitlose Aufmerksamkeit erfahren, erfährt fast Unsterblichkeit durch die Beachtung seiner Werke und die Pflege seines Namens über einen langen Zeitraum.

Beständigkeit in Entwicklung, die Verbreitung und Aneignung von fremder Erkenntnis, sowie deren Pflege und Weiterführung in neue Erscheinungsformen kann als eine Hauptaufgabe im Dasein eines Menschen angenommen werden. Vom Erbe der Eltern über die Lern- und Lehrzeit bis zum Zufall spielen viele Komponenten zusammen. Die Gesellschaft, ihr verbaler Tenor, prägen ebenso nachhaltig die Homos einer Zeit, die für oder gegen das scheinbar vernünftige Modell und deren Leitgedanken in einer aktuellen Lebensform, Ideologie auftreten. Die Versuche den Vorgang der Lebendigkeit in seiner Komplexität zu erfassen und leiten, scheiterten bislang immer durch auflösende Gewalt. Es ist die Ohnmacht, die der Macht gegenübersteht und das Kräfteverhältnis kippen lässt. Krieg folgt auf Krieg, Aufbau auf Zerstörung auf Aufbau.

Am Theater werden jeden Nachmittag die Kulissen neu für den Abend aufgebaut, um am nächsten Vormittag wieder abgebaut zu werden. Allein man tut dies sorgsam, sucht die Materie zu erhalten, verschont die tätigen Mitarbeiter. Für Abwechslung sorgt das Programm indem die unterschiedlichen Werke in einer Reihe stehen, die beliebteren öfter genannt, andere gelegentlich. Derzeit unterwerfen sich viele dem Konzept der Quote, der Zeitgeist- und Interessensquote, wie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Ausgrenzung, Vernachlässigung, Bequemlichkeit machen sich breit, füllen die Räume der Mittelmäßigkeit, die sich in einem anderen Bereich selbst zum Maß der Dinge erklärt hat. Trägheit des Geistes in ausgetretenen Pfaden auf immer derselben Ebene, so könnte der daraus folgende Alltag vieler benannt werden. Bewegung, frischer Wind täte Not, die Kulissen umzugestalten, aufklärendem Spiel Platz zu bieten, hoffend, dass dies umfassend sanfte Veränderung verursacht. Es hat schon funktioniert, wenn die Bildung der treuen Götter den Bildungsdünkel der Eingebildeten entlarvte.

„Gute Leute bekommen gute Jobs.“, sagte ein Intendant der ehemals klassisch orientierten Traditionsbühne Münchner Kammerspiele. Und ganz diesem Tenor folgend, legt er Wert auf die Bühne als Wohlfühlzone für die Schauspieler. Das sind heute gängige Schlagworte für gute Schlagzeilen und von guten Schlagzeilen abgelesen, und somit Quote versprechend. Wer wagt zu widersprechen, ist Wohlfühlen wohl eines der meistgenannten Worte, gleich nach, oder im selben Atemzug mit Gefühl. Hier wabert die Masse, emphatisch zeitgleich den Raum zwischen den zunehmend abstrakten Strukturen füllend, überfüllend. Die Vorstellung von einer Masse gefütterter Organismen im Reagenzglas tut sich auf. Auf der anderen Straßenseite im Residenztheater, wagte es eine Schauspielerin die zum Text passenden Emotionen bis zum abstoßenden Exzess zu äußern, das, sich befreiende entblößte Gefühlstier hervorzukehren, geradezu beispielgebend sich hervorzutun. Alles nur Spiel, nur Spiel in dieser Zeit, in der Form und Inhalt oft vergeblich nach adäquater Übereinstimmung suchen. Aus dem Gleichgewicht geraten sind die ehemals natürlich kultivierten Persönlichkeits- und Umgangsformen. Grenzen wurden aufgelöst, verschoben, ohne dass neue gesetzt wurden. Was entstand ist keinesfalls grenzenlose Freiheit, höchstens Unkultiviertheit, Respektlosigkeit, Mangel an grundlegenden Umgangsformen. Denn in diesem Bereich kippte ein, in den letzten Jahrhunderten gepflegtes, Kräfteverhältnis zwischen Verstand und Gefühl einerseits innerlich, zwischen Haltung und Ausdruck andererseits äußerlich. Die glorifizierte Ich-Kultur der vergangen Jahre beginnt immer abstrusere Verhalten  hervorzutreiben, simple Triebsteuerung vorweg. 

Selbstdarstellung ist eines der Lieblingsthemen und findet in Milliarden Selbstabbildungen im Datennetz Bestätigung. Ich da, da, Ich, da Ich. Das Maß der zunehmenden Masse bestimmt auch den einzelnen, sich dem zu entziehen, fällt schwer und ist bisweilen unmöglich. Die Tussen- und Typenkultur der flimmernden Medien, die als Vorbilder vor den Augen der Fernsehzuschauer die Zeit mit Morden totschlagen, und über die Masse der mit ihnen verbrachten Zeit auch die Ansätze zu Persönlichkeitsbildung in den Trägen oder vom Tage Ausgebrannten meucheln. Hier wie auch aus den Modeaufnahmen und Fotos leuchtet ein Übermaß an selbstgefälliger Verliebtheit, ein massiv manipuliertes Wesen im Wettbewerbsmodus des tierischen Konkurrenzverhaltens sucht Aufmerksamkeit. Es drängt in den Vordergrund zwischen kunstvoll drapierten Stoffen und wohlgeformten nackten Gliedmaßen im Scheinwerferlicht vor der exakt alle Details erfassenden Kamera.

Das Design, die Überbewertung der Form oder eine zeitgemäße Ausdrucksweise, die mitunter mit dem Manierismus verglichen werden kann, dominiert Kreatur, Kultur und Umfeld im Heute. Der auf Höflichkeit programmierte dienende Roboter ist das absolute Kunstwerk dieses Zeitgeistes. Auf ihn fokussieren sich Aufmerksamkeiten aus vielen Bereichen, als wäre er Lösung der unzähligen anstehenden Probleme und ist doch nicht mehr als Ablenkung von diesen. „Die Masse hat immer recht.“(Elias Canetti)

Das Vergöttern wurde nun seit Menschengedenken trainiert, es ist zum Bestandteil der menschlichen Natur geworden. Von den tönernen Götterfiguren der Steinzeit bis zum Schöpfergott der monotheistischen Glaubensprinzipien, und schließlich bis zum Mensch genannten, der sich hervortut vor die Masse der Applaudierenden, der Huldigenden, der Anhänger, prägt das Vergöttern die menschliche Gesellschaft besonders. Diese schöpferische Kraft wurde in den unterschiedlichen Zeiten mit zahllosen Namen benannt, beschrieben in vielen vielen Werken, immer wieder neu definiert. Nun ist eine Zeit der irdischen Götter angebrochen, jener Vorbilder auf den Bühnen und in den Medien, die mit massiver massiger Aufmerksamkeit bedacht, gefeiert werden.

Doch was, wenn diese modernen Götter unverhältnismäßig in die tierische Natur zurück fielen, ohnehin kaum mehr als abgenutzt Alltägliches hervorbringend in der Wiederholung einer Wiederholung, oder sich gar durch die Zerstörung eines Kunstwerks hervortun? Diese Dekadenz kann bis zu einem Punkt als Kunstform bezeichnet werden, bevor sie als Zerfall erkannt wird. Doch was, wenn sie die einzige umfassend wahrgenommene Form bleibt in einer überwiegend medialen Welt? Einfalt dominierte eine einfache Welt in der die Tiernatur haust. Es watschelt über die Bühne des Berliner Theaters, den Pinsel im Po, und agiert stolz wie ein Hahn am Misthaufen, mit Überblick auf die Hühner im Gras des Zuschauerraums. Oder, es verharrt die Ewigkeit des Tages vor einem bunten Bildschirm um sich der Technik anzubiedern, zu unterwerfen. Die Metamorphose des „Missing Link“ (Konrad Lorenz) in den Cyborg kann bereits jetzt als geglückt betrachtet werden.

Ihr Denken und Handeln folgt den digitalen Programmen, die von Tausenden in derselben Weise genutzt werden. Massenformierung auf subtile Weise verbreitet, wird kaum als solche erkannt und bildet doch die Grundlage dieser neuen Spezies. Ihre im Dauereinsatz befindlichen überforderten Nervenverbindungen verhindern die Fortführung von alten Ritualen, das Erkennen ihres Sinns, und lassen oft eigene Bildentstehung gar nicht mehr zu. Das Abstrakte rückt immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses, grenzt das Lebendige zunehmend aus. Der Algorithmus übernahm die ehemals wortgesteuerte Handlung, sowie er die Bildentstehung in der Psyche auslöscht. Damit verschwindet die schöpferische Fantasie aus den Gehirnen und was bleibt sind simple Kreationen, Vermischungen von bereits bekannten Modulen in praktisch nützliches Design. Die Funktionalität in den Mittelpunkt zu rücken, sie als erstrebenswert zu glorifizieren, ist nichts weiter als ein fehlgeschlagener Versuch, alte Rituale zu ersetzen und der Leere, die sich hinter Allem auftut, zu entfliehen. Allein Körper, Geist und Psyche klammern sich an jede Möglichkeit, wie es bis jetzt in der Geschichte des Homo üblich war.

Entwicklung wurde immer in gewaltsamer Weise durchgesetzt, doch mittlerweile verfügt der Homo über deutlich mehr Wissen und Möglichkeiten zur Gestaltung als noch seinen Vorfahren vor fünfhundert oder gar dreitausend Jahren. Wird er diese im Sinne seines Wohles zu nutzen verstehen, darzustellen, oder bleibt es ein Versuchsstadium an dessen Ende das Ende steht? Denn wie sollte ein Cyborg in der Natur überleben, wenn er zwar die Bausteine ihrer Erscheinungsformen definieren und neu verbinden kann, doch bei einem Stromausfall in sich zusammenfällt? Spätestens dann fällt auch der Pinsel aus dem Po und der Hahn schafft keinen Strich mehr auf eine Leinwand.

Schockieren mit blutig-unblutigen Horror-Vorstellungen pflegt seit jeher die Gefühls- und Gedankenwelt um Hässlichkeit, Furcht und Angst. Nicht minder bedeutsam als die heitere Harmonie ist sie ebenso Kulturspektrum in dem experimentiert wird. Zerstören von Illusionen, krass Aufsehen erregen, irren Größenwahn zelebrieren, und neuerdings auch die Freilegung körperlicher Intimität gehören zum Tagesgeschäft in diesem Kunstbetrieb. Fans gab und gibt es dafür ausreichend, die mit wohlig kaltem Schauer, Zerstückelung, Kinderkitsch und Obszönität Identifizierungsmodelle und Unterhaltung finden. Alles was nur lange und oft genug lautstark verbreitet wird, formt und prägt den Homo zu differenzierter Art.

Die Auflösung, Sezierung der, bis in die fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts verspießerten Formen des guten bürgerlichen Lebens war die große Aufgabe zum Millenium. Diese erfüllte vornehmlich das Regietheater und setzte das engstirnige Denken in die Produktion und Vermischung von Äußerungen, Meinungen auf eigener Ebene fort. Doch kann dies wirklich eine Antwort sein, oder ist es vielmehr kreativer Mischmasch? Jedenfalls führte er dazu, dass neben diesem ein neuer Freiraum entstand, den es nun zu gestalten gilt. Es geht um nicht mehr als um eine neu erweitere Wertung und Erscheinungsform von Ich sowie Wir, und zwischen Ich und Wir.

Eine Wende kann gelingen, wenn die Aufmerksamkeit wieder vermehrt auf die bereits entwickelten menschlichen Umgangsformen im Humanismus gelenkt wird, um eine neue Renaissance, Wiederbelebung auf den Weg zu bringen. Das Theater ist, neben dem Film und der Literatur, die bewährte Bühne für diesen Versuch. Wer wagt ihn?

Der klassisch humanistisch aufgeklärte Mensch als Grunderscheinungsform für zeitgemäße Inhalte wäre eine bereichernde Spezies für diese Welt. Sich diese Merkmale und ebenso die bislang angedachten Ideale in Erinnerung zu rufen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und daraus eine höchsteigene Form zu entwerfen und zu äußern, kann persönliches Leben in der Gegenwart einer Massengesellschaft ausmachen, die Vielfalt bereichern und die gewollte Individualität schaffen. Dies der Entscheidung des Einzelnen zu überlassen, wäre der Anfang einer wahrhaft liberalen Gesellschaft. Sie setzt jedoch ausreichend umfassende Wissensbildung ebenso voraus, wie Raum und Unterstützung zur Wesensentwicklung und die Vermittlung respektvoller Rituale, Verhaltensformen in der Gesellschaft. Kunst bedeutet Schaffen und somit immer mehr als bloßes Nachbilden oder Spiegeln.

 

C.M.Meier





 


August 2019


Kolumne


 

Alles Theater

Einer steht auf der Bühne deren Bretter die Welt bedeuten, ein anderer stellt sich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum und wiederum ein anderer sucht mit abstrusen Handlungen Zustimmung in einer völlig überforderten überfütterten Gesellschaft. Aufsehen, Beachtung erregen und die Energien der Massen auf sich ziehen, steuern, kollidieren lassen, oder gar in Nichts verpuffen. ‚Alle haben mich gesehen, alle haben mich gehört, alle folgen meinen Worten, meinen Taten‘ und damit kreiert sich der Held, die Heldin. Und dann … Tja und dann geht es überall drunter und drüber, durcheinander und gegeneinander und teilweise ein Stück miteinander. Idee, Wortlaut, Missverständnis, Intrige, Krieg und Schlachten, bisweilen ein wenig Frieden und Überlegung folgen aufeinander, füllen die Zeit, den Raum, die Zeiten in den vielen parallelen Räumen. Es wiederholt sich, wie sich Wortlaute wiederholen, die aus dem Bücherkeller geholt, aufbereitet, aufgehübscht, aufgebracht unter die Leute gebracht werden. Das scheinbar Gute - Wer lauter schreit hat Recht - verschafft sich in der technisierten Umgebung große Lautsprecher und dringt bis in die finsterste Ecke, den tiefsten Keller. Doch was nützen Tausende, tausende Zuhörer, Millionen Beobachter, was nützen Milliarden, Milliarden an Geld, dem Tauschmittel, Milliarden an Jahren Zeit, wenn doch niemand den Kern begriffen hat, zu begreifen in der Lage ist, oder jemals sein wird. Und doch … was soll werden … der Vorhang hebt sich, der Vorhang fällt, die Scheinwerfer rücken Hamlet ins Licht, um auf Knopfdruck diesen im Dunkel verschwinden zu lassen. Nebelmaschinen werden angeworfen und der klare Blick binnen Sekunden getrübt, wie die Wahrnehmung durch den beißenden Geruch irritiert, die Vernunft vergiftet, die Emotionen verdampfen zwischen den Zuschauern, es niesen die Beteiligten, husten lauthals buchstabenlos Töne zu einem unkomponierten Choral. Der Urton dominiert die Schwingung im Raum, Chaos, Lärm, bis ein Dirigent das Orchester auf Tonfolgen einigt, Instrumenten von begnadeten fleißigen Könnern Melodien entlockt werden, um für Momente Einigkeit entstehen zu lassen, bis diese Frequenzen in der Welt sich verbreiten und schließlich verflüchtigen. Überall in der Atmosphäre geriert sich Theater, entstehen Kulturen wie sie vergehen, spielen Personen Rollen in erfundenen, gefundenen Stücken, Leben. Die Vielzahl der Möglichkeiten, Interpretationen des Geschehens, des Geschehenen, häufen sich zu Gedanken- und Erfahrungsbergen die den Blick auf den nächsten Moment verstellen, als wären alle jemals erzeugten Requisiten gleichzeitig im Bild und Überblick oder gar Durchblick die einzige Unmöglichkeit.

Angeblich ein Witz: Treffen sich zwei Planeten im All. Fragt der Eine den Anderen: „Wie geht es dir?“ Der Gefragte seufzt: „Weißt du, dieser homo sapiens …„ Darauf der Andere sakrastisch: „Den wird man schnell wieder los …“ Betroffene Stille im Zuschauerraum. Wirklich lustig ist der Witz nicht und doch finden sich ein paar unerschreckbare oberflächlich gesteuerte treibend getriebene Macbeth’s, deren Haha die Stille füllt, ja kollabieren lässt und als Zugabe gibt es Applaus von denen obendrauf. Ist doch alles nur Theater, Theater, Theater

C.M.Meier


Mai 2020

Kolumne


 

 Nach „Ritter, Dene, Voss“  von Thomas Bernhard im Cuvillies Theater

 


Auflösung in ...

... in begeisterten Applaus, nachdem die Befreiung auf der Bühne stattfand und die Darsteller in ihren Rollen aus der Rolle fielen, knatterten, changierten, zerfransten, aus ihren Rollen geschwätzig ins entblößte persönliche emotionale Ich verfielen. Da entsteht doch immer wieder der Eindruck dies wäre eine gute Inszenierung, weil die Spannung gebrochen wurde. „Das ist ...“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. Das Haus war voll, das Publikum begeistert, verließ locker lachend in Gespräche vertieft das Theater. „Dank der Kunst“, sagt der Ahnungslose. „Dank dem rauchfeinen Nebel, Ahnungsloser“, denke ich, „hier wurden erstarrte Zuschauer gelockert und die ansatzweise aufgekommene Lebendigkeit wird Kunst genannt.“ Ja, in dieser vornehmlich von Formalien geprägten Zeit lebendig zu sein, ist eine Kunst, doch dies hat weniger mit Schauspiel- und Inszenierungskunst zu tun und deren Befreiung von Form endet lediglich in Formlosigkeit.

 

Die Welt als gemeinschaftlicher Wille und Vorstellung ist in Auflösung begriffen, in sogenannten Individualismus, in Wellness und entspannten Wohlstand löst sie sich auf und damit die bürgerlichen und künstlerischen Traditionen. „Selbstverwirklichung, was für ein scheußliches Wort. Es gibt nichts ... und alle plappern es nach ... und alle gebrauchen es fortwährend“,  lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer’s jüngere Schwester sagen. Selbstverwirklichung ist ein Vorgang, der in einer intakten Gesellschaft, Gemeinschaft, wie „ganz von selbst“ stattfindet, indem jeder den Platz finden kann, den auszufüllen ihm entspricht. Wird dagegen der Begriff Selbstverwirklichung wie Propaganda benutzt, so kann man davon ausgehen, dass dies ein Ablenkungsmanöver oder Irreführung ist. Und, wird dieser Vorgang zur Normalität erklärt, breitet er sich aus, denn die Norm, die Vorstellung einer Mehrheit, beherrscht das Denken und Handeln einer Gesellschaft. „Die Mehrheit hat immer Recht“, sagt diese. „Egal wie groß der Irrtum auch ist?“, frage ich. „So viele Menschen können nicht irren“, stellt die Masse fest. Da könnte doch vor allem Bequemlichkeit vor sein, der die Idee der Selbstverwirklichung, eine so genannte „höhere religiöse“, als irriges Ideal vorgeschaltet wurde. „Das Selbst ist ein gieriges Monster, das lediglich Zerstörung hinterlässt, wenn es nicht durch eine entwickelte Persönlichkeit im Zaum gehalten wird“, sage ich. Oder ist es gar, dass sich das überbeanspruchte erschöpfte Selbst zu regenerieren sucht? „Es endet im Nichts“, sage ich, denn die Kraft der Worte verpuffte im Raum, nachdem die Darsteller auf den Bühnen nach einer diffusen Aktionsphase in sich selbst zurückgefallen waren.

 

Da gegen alles ein Kraut gewachsen ist, ist auch ein Kraut gegen die Kunst gewachsen. Es wird  eingesetzt um eine Vorstellung von „Kunst“ zu produzieren, die nichts weiter als die Dekonstruktion des Vorangegangenen herbeiführt und in Ratlosigkeit mündet. „Infantilismus“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. Und genau dieser wird durch das Kraut hervorgerufen, befördert. (Das ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache.) „Durch ... bringt man sich auf Stufen der Kultur zurück die man überwunden hat.“, schrieb Friedrich Nietzsche. „Hauptsache entspannende Unterhaltung“, sagen wohl jene, die sich diesem Konzept verschrieben haben. Die Theatermacher versuchen sich zu allen Zeiten in Wandel, Experiment und Provokation, schaffen und bewegen sich nicht zu letzt auch immer im Zeitgeist. Heute regiert die umfassende Enthemmung und die Zuschauer verfielen, Dank dem rauchfeinen Nebel, bestimmt nach der Vorstellung in tiefen tiefen Schlaf. „Wetten dass ...!“, sage ich. Fände dies nur in einem Hause statt, so könnte man es eine Verirrung nennen. Doch nein, nicht nur die Worringers in Wien, auch im Nachbarhause entspannt Hogan in Conneticut, und auch einige Häuser weiter huldigen Michael Myers in New York und Richard III Gloster in England dem Prinzip. „Das kann nicht falsch sein, da beginnt sich eine Mehrheit zu  formieren.“, raunt die Menge.

 

„Abgeschmackt“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. „Das ist keine Kunst, das ist ...“ Doch Thomas Bernhard ist tot, seine zweifelsohne zeitlos gültigen Worte der Vergangenheit zugeschrieben. In der Gegenwart wird die Vergangenheit demontiert, demontiert ohne ein Angebot, einen Gegenentwurf, eine nur ansatzweise Lösung (im Sinne von Weiterentwicklung) anzubieten. Die Demontage von sinnträchtiger naturgemäßer Tradition kann als vergleichsweise Handlung angesehen werden. Was folgt ist eine Zeit, in der dem Menschen nur wenig Raum zugestanden wird, sowohl in der Kunst, als auch im realen Leben.

 

„Es ist alles gesagt ... geschrieben“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. Doch zu welchem Zweck? „Der Mensch scheitert nicht nur an und in der Welt, er scheitert auch an sich.“, sage ich.


C.M.Meier

 


PS: „Gegen den Kulturstrom kann man nicht schwimmen, doch man kann sich an Land retten.“, schrieb August Strindberg. Und wo beginnt Land … „Kultivierte vielfältige spannende Auseinandersetzung würde einem lebendigem Konzept zu Grunde liegen.“, sage ich.


 



April 2010
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