Kolumne
Nach „Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Bernhard im Cuvillies Theater
... in begeisterten Applaus, nachdem die Befreiung auf der Bühne stattfand und die Darsteller in ihren Rollen aus der Rolle fielen, knatterten, changierten, zerfransten, aus ihren Rollen geschwätzig ins entblößte persönliche emotionale Ich verfielen. Da entsteht doch immer wieder der Eindruck dies wäre eine gute Inszenierung, weil die Spannung gebrochen wurde. „Das ist ...“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. Das Haus war voll, das Publikum begeistert, verließ locker lachend in Gespräche vertieft das Theater. „Dank der Kunst“, sagt der Ahnungslose. „Dank dem rauchfeinen Nebel, Ahnungsloser“, denke ich, „hier wurden erstarrte Zuschauer gelockert und die ansatzweise aufgekommene Lebendigkeit wird Kunst genannt.“ Ja, in dieser vornehmlich von Formalien geprägten Zeit lebendig zu sein, ist eine Kunst, doch dies hat weniger mit Schauspiel- und Inszenierungskunst zu tun und deren Befreiung von Form endet lediglich in Formlosigkeit.
Die Welt als gemeinschaftlicher Wille und Vorstellung ist in Auflösung begriffen, in sogenannten Individualismus, in Wellness und entspannten Wohlstand löst sie sich auf und damit die bürgerlichen und künstlerischen Traditionen. „Selbstverwirklichung, was für ein scheußliches Wort. Es gibt nichts ... und alle plappern es nach ... und alle gebrauchen es fortwährend“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer’s jüngere Schwester sagen. Selbstverwirklichung ist ein Vorgang, der in einer intakten Gesellschaft, Gemeinschaft, wie „ganz von selbst“ stattfindet, indem jeder den Platz finden kann, den auszufüllen ihm entspricht. Wird dagegen der Begriff Selbstverwirklichung wie Propaganda benutzt, so kann man davon ausgehen, dass dies ein Ablenkungsmanöver oder Irreführung ist. Und, wird dieser Vorgang zur Normalität erklärt, breitet er sich aus, denn die Norm, die Vorstellung einer Mehrheit, beherrscht das Denken und Handeln einer Gesellschaft. „Die Mehrheit hat immer Recht“, sagt diese. „Egal wie groß der Irrtum auch ist?“, frage ich. „So viele Menschen können nicht irren“, stellt die Masse fest. Da könnte doch vor allem Bequemlichkeit vor sein, der die Idee der Selbstverwirklichung, eine so genannte „höhere religiöse“, als irriges Ideal vorgeschaltet wurde. „Das Selbst ist ein gieriges Monster, das lediglich Zerstörung hinterlässt, wenn es nicht durch eine entwickelte Persönlichkeit im Zaum gehalten wird“, sage ich. Oder ist es gar, dass sich das überbeanspruchte erschöpfte Selbst zu regenerieren sucht? „Es endet im Nichts“, sage ich, denn die Kraft der Worte verpuffte im Raum, nachdem die Darsteller auf den Bühnen nach einer diffusen Aktionsphase in sich selbst zurückgefallen waren.
Da gegen alles ein Kraut gewachsen ist, ist auch ein Kraut gegen die Kunst gewachsen. Es wird eingesetzt um eine Vorstellung von „Kunst“ zu produzieren, die nichts weiter als die Dekonstruktion des Vorangegangenen herbeiführt und in Ratlosigkeit mündet. „Infantilismus“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. Und genau dieser wird durch das Kraut hervorgerufen, befördert. (Das ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache.) „Durch ... bringt man sich auf Stufen der Kultur zurück die man überwunden hat.“, schrieb Friedrich Nietzsche. „Hauptsache entspannende Unterhaltung“, sagen wohl jene, die sich diesem Konzept verschrieben haben. Die Theatermacher versuchen sich zu allen Zeiten in Wandel, Experiment und Provokation, schaffen und bewegen sich nicht zu letzt auch immer im Zeitgeist. Heute regiert die umfassende Enthemmung und die Zuschauer verfielen, Dank dem rauchfeinen Nebel, bestimmt nach der Vorstellung in tiefen tiefen Schlaf. „Wetten dass ...!“, sage ich. Fände dies nur in einem Hause statt, so könnte man es eine Verirrung nennen. Doch nein, nicht nur die Worringers in Wien, auch im Nachbarhause entspannt Hogan in Conneticut, und auch einige Häuser weiter huldigen Michael Myers in New York und Richard III Gloster in England dem Prinzip. „Das kann nicht falsch sein, da beginnt sich eine Mehrheit zu formieren.“, raunt die Menge.
„Abgeschmackt“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. „Das ist keine Kunst, das ist ...“ Doch Thomas Bernhard ist tot, seine zweifelsohne zeitlos gültigen Worte der Vergangenheit zugeschrieben. In der Gegenwart wird die Vergangenheit demontiert, demontiert ohne ein Angebot, einen Gegenentwurf, eine nur ansatzweise Lösung (im Sinne von Weiterentwicklung) anzubieten. Die Demontage von sinnträchtiger naturgemäßer Tradition kann als vergleichsweise Handlung angesehen werden. Was folgt ist eine Zeit, in der dem Menschen nur wenig Raum zugestanden wird, sowohl in der Kunst, als auch im realen Leben.
„Es ist alles gesagt ... geschrieben“, lässt Thomas Bernhard Ludwig Worringer sagen. Doch zu welchem Zweck? „Der Mensch scheitert nicht nur an und in der Welt, er scheitert auch an sich.“, sage ich.
April 2010 |