Residenz Theater Stella von J.W. v. Goethe


 

 
Die schöne Seele vs. realer Mensch

"Stella" ist ein Werk, das sich nur als Einzel- oder in Gesamtausgaben, selten in "Ausgewählten Werken" wieder findet, was den theatralischen Wert des Textes hinreichend definiert. Und dennoch taucht das Stück auf der Bühne immer wieder auf. Die Motive, das Drama zum Leben zu erwecken, sind dabei so vielfältig wie die Zahl der Inszenierungen. Der besondere Reiz besteht vielleicht darin, dass es zwei Fassungen gibt, eine aus den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts und eine aus dem Jahr 1806.

Die erste Fassung ist mit kräftigen Strichen auf der Bühne des Residenz Theaters in der Regie von Florian Boesch zu sehen. Die Geschichte ist so ebenso unwahrscheinlich, wie die Bewältigung durch Goethe holprig ist. Viel waberndes Gefühl treibt das Drama voran, wo äußere menschliche Logik und Natur fehlen. Stella lebt auf einem Rittergut, das sie einige Jahr zuvor gemeinsam mit Fernando, einem Kriegsmann, erstanden hat. Niemand in der Gemeinde weiß näheres. Ein Kind wird geboren und stirbt. Cäcilie und ihre Tochter Lucie treffen auf dem Gut ein, wo Lucie den Dienst als Gesellschafterin antreten soll. Beide sind schutz- und mittellos, seit der Mann und Vater auf einer Reise nach Amerika verschollen ist. Auch die Baronesse Stella ist verlassen worden und als sie Cäcilie ein Porträt des Mannes zeigt, erkennt diese ihren Ehemann. Um den Konflikt nun zu entfesseln, taucht Fernando auf und die Seelenqualen nehmen ihren Lauf. Ähnlich wie Lessing in "Nathan der Weise" löst Goethe den Konflikt mittels einer Parabel auf, in der der Mann entschuldet wird. Beide Frauen erklären dem von Liebe gebeutelten Fernando: "Wir sind dein!"
 
 

 
 

Barbara Melzl, Michael von Au

© Thomas Dashuber

 

 

Die zweite Fassung ist um einiges lebensnäher und nennt sich "Stella. Ein Trauerspiel". In beiden Entwürfen geht es um "Elend! Elend! Tiefes Elend!" eines Mannes, der zwei Frauen in Liebe, dem "Gefühl der jüngsten, reinsten Menschheit" zugetan ist, der sich entscheiden muss und nicht kann. Der Konflikt wird jedoch von den Frauen ausgetragen. Fernando ergeht sich überaus theatralisch in seinem Leid. Am Ende vergiftet sich Stella und auch Fernando legt Hand an sich an.
Was kann also die erste Fassung anderes sein als das Nachdenken eines Idealisten, der beizeiten begriffen hatte, wie sehr seine Lebensvorstellungen mit den Moral- und Sittenauffassungen seiner Zeit kollidieren. Hier findet sich denn auch der Lesansatz der Theatermacher. Die Sehnsucht nach der reinen, ins sphärische greifenden Liebe ist eine zutiefst menschliche und zeitlos. Florian Boesch inszenierte folgerichtig ein Diskussionsangebot. Große Unterstützung erfuhr er dabei durch den Bühnenbildner Stefan Hageneier. Der schuf einen gläsernen Schaukasten, gleich einem Reagenzglas, in dem die Reaktionen abliefen, heftig, rasant und auf direktem Wege. Die Strichfassung reduzierte das Drama auf den reinen Konflikt der Protagonisten und somit auf die notwendigen Ingredienzien. Die wenigen Möbel waren mit schwarzer Folie umwickelt, die nach und nach in Fetzen ging und des eigentliche Möbel als sinnlich wahrnehmbar sichtbar werden ließ. Die Symbolik war deutlich und einleuchtend. Fernando, Dreh- und Angelpunkt des inneren Konfliktes war omnipräsent, entweder in Persona oder als gelungenes Duplikat. Dies ermöglichte es Florian Bösch auch das Ende der späteren Fassung zur Diskussion zu stellen. Fernando schoss seinem Konterfei den Kopf von den Schultern.


Michael von Au gab diesen von inneren Kämpen zerrissenen, verzweifelten Mann kraftvoll und stürmisch. Er leistete souverän, was der Text hergab und der ist nicht gerade vollkommen. Marina Galic hingegen wurde der Rolle als Stella selbst in dieser Lesart nicht gerecht. Obgleich sie mit immensem Aufwand zu gestalten versuchte, fehlten die Zwischentöne, das Innehalten, das ein Besinnen auch für das Publikum ermöglicht hätte. Ihr Spiel glich einem emotionalen Dauergewitter, das vorbei war, ehe man so recht begreifen konnte. Einzig Barbara Melzl gewann als Cäcilie deutlichere Konturen und eine starke Ausstrahlung. Ihr Sprech- und Spielduktus war ausgewogen und ließ erkennen, was gutes Timing bewirken kann.


Nach einer Stunde war alles vorbei und viele Zuschauer waren sichtlich überfordert mit der abrupten Botschaft, denn die erklärende Parabel kam so unvermittelt wie das rezeptorische: "Wir sind dein!" Das Atmosphärische, das dem Zuschauer einen behutsamen Einstieg in die Geschichte und in die Denk- und Fühlweisen der Figuren ermöglicht, fehlte weitestgehend.
Vielleicht gelingt es dieser Inszenierung, ein Nachdenken über das Thema Liebe und Formen des Zusammenlebens anzuregen. Ein Umdenken wider die ehernen Vorstellungen und Vorbehalte wird zweifelsohne ausbleiben. Das leistete weder der dramaturgisch umgeformte Text noch die Inszenierung, die doch immerhin auch mit einigen Buhs (Vorstellung am 25. Februar) bedacht wurde.

Deutlicheren Aufschluss gibt vielleicht ein Blick auf Goethes Biografie, der 1775, als die erste Fassung entstand, Stürmer und Dränger war und die Mädchen wie Blumen pflückte. 1806 hingegen befand er sich in einer tiefen Lebens- und Schaffenskrise. Schiller war gestorben. Einsamkeit und das Bewusstsein vom eigenen Altern machte sich bei Goethe breit und in dieser Situation heiratete er Christiane Vulpius. Resignation auch vor der menschlichen Natur hatte ihn befallen. Das alles sagt mehr über den Menschen als beide Fassungen zusammen.


Wolf Banitzki

 

 


Stella

von J.W. v. Goethe

Ein Schauspiel für Liebende

Marina Galic, Barbara Melzl, Michael von Au und Zora Thiessen, Julia Eggert/Aurelia Königsbauer

Regie: Florian Boesch