Kolumne
Feindseligkeiten
Troja. Eine belagerte Stadt. Der eingebildete Besitzanspruch. Ein zähes Ringen. Fünfzehn Jahre dauert der Krieg nun schon und ein Tojanisches Pferd nach dem anderen –Verharmlosung. Projektion. Scheinheiligkeit– wird vor die mittlerweile maroden Stadtmauern –Ignoranz. Unvermögen. Selbstbetrug– gestellt. Längst ist der Krieg um Besitz- und Machtanspruch zu Alltag geworden, fordert seine Opfer. In den unterschiedlichsten Massengräbern verschwinden diese, gefallen im Überlebenskampf um materiellen Besitz –Land. Haus. Lebewesen– der sich einer dauerhaften Vereinnahmung grundsätzlich widersetzt, naturgemäß zerfällt. Ein Tojanisches Pferd nach dem anderen –Versicherungspolize. Theorie. Fond– wird in die Städte hineingezogen und die daraus verbreiteten Papiere ziehen den Menschen das Geld aus den Taschen, die Werte aus der Lebenshaltung und die Kraft aus den Knochen. Der Mythos lebt, geändert hat sich nur seine Erscheinungsform. Es ist „das Jahrhundert des Orest und der Elektra“, wie Heiner Müller, der als radikaler Humanist sich mit den grundsätzlichen und typischen Strukturen und Widersprüchlichkeiten in der Realität befasste, die Geschichte in ihrem Lauf erkannte und benannte. Doch die Zeit steht still, nur die Zahlen der digitalen Uhren wechseln im Sekundentakt. Orest und Elektra suchen noch immer ihren Platz im Weltgeschehen –Ohnmacht. Lachen. Party– und noch, so scheint es, sind die Eltern nicht wirklich tot. Agamemnon, der in naiver Gläubigkeit befangen seine Tochter sogenannten Göttern geopfert hatte, Klytemnestra, als die gekränkte Statthalterin und der aus dem Hintergrund agierende, sich die Pfründe sichernde Ägisth ..., die Alten, sie wollen nicht sterben, beharren auf ihren Plätzen, kämpfen einen erwiesenermaßen verlorenen Kampf um ihre Vorstellungswerte oder verraten diese, ganz opportun, oder beides in einem Atemzug. Wenn alte Männer und Frauen nicht ablassen wollen von der Macht, so ist es, als versuchten sie mit Gewalt die Welt anzuhalten in ihrem Zeitbild. Auch das ist Krieg, der Krieg der Generationen. Wer keine Zukunft mehr hat, kann diese wahrlich nicht sehen. Vor 100 Jahren war es Franz Josef von Habsburg, heute sind es u.a. Elisabeth von Windsor und ein Finanzminister, oder sinnbildlich ein älterer Schauspieler, dessen Kraft nicht mehr wirklich trug die Rolle alleine zu erfüllen. Der Hausmeister in Harold Pinters gleichnamigem Stück auf der Bühne des Residenztheaters in München - eine subtile Ansicht der herrschenden Zustände, eine anstrengende, von viel gleichmäßig monoton vorgebrachtem Text getragene Inszenierung, die kaum Pointen setzte. Ein wundervolles Stück voller Lebensweisheit als –zäher. reformierter. adaptierter– Brei zwischen Bühne und Publikum. Ein deutlicheres Bild der herrschenden Verhältnisse ist kaum möglich, vor allem in einem „Staaatstheater“. Das Leben ist Wandel, stetiger Wandel und Entwicklung. Mensch wird den Wandel nie beherrschen können, bestenfalls ist er in der Lage ein wenig gestaltend mitzuwirken in seiner dynamischen Zeit. Die Schöpfung ist ein Tanz im Universum. Ihn zu vollführen erfordert Lebendigkeit und Kraft. Wo diese fehlt, führt ideologisierte schulmeisterhafte Manipulation zu Stau und zu gewaltsamer Entladung. Krieg. Denn auch Weltanschauung und –bild wandeln sich ständig –Kapitalismus. Schein(Geld)liberalismus. Konsumismus– und es gilt aktuellen Wissensstand –Mechanik. Synergetik. Quantenphysik– einzuflechten in die Lebensumstände. Überkommene Vorstellungen und Gesellschaftsmodelle wie Mauern aufrecht zu erhalten, gelingt nur durch Tyrannei. Diese Tyrannei auszuhalten, sich unterdrücken zu lassen, beispielsweise als Zuschauer im Theater durch stundenlange Sprachmonotonie, zehrt an den Kräften. Widerstand und Fortschritt erlahmen bis zum Zusammenbruch, beziehungsweise das Interesse an einer intellektuellen Auseinandersetzung in den schier endlosen Diskursen stagniert. Dem Lahmen kommt der Platz des –duldenden. sicherheitswahnenden. verzweifelten– Zuschauers zu, beim Tanz der Schöpfung in der Mythologie. Der dramatische Spannung kommt von außen, den Göttern, und nimmt beständig zu. Doch der Jüngling Orest designt im Bestehenden, springt zwischen den verschiedensten Anforderungen im Vieleck und verliert sich selbst dabei, seinen Lebensfaden. Und Elektra ist so sehr mit sich beschäftigt, der Psyche, der Schönheit, dem scheinbar eigenen Schaffensdrang. Von ihnen ist kaum Zu- oder Einspruch zu erwarten. Ein Geschwisterpaar im Taumel zwischen den Überresten schuldbeladener Vergangenheit. Es sind Orest und Elektra, die in einem morbiden System vielen Herausforderungen gegenüberstehen, deren Kraft jedoch im Tablet gebunden ist, im Generationenkrieg unterdrückt wird, an dem sie zu scheitern drohen, verraten von den Schulden der Väter, Mütter und deren Hausmeister. Diese schließen den Kreis. Sieht man sich um, so schafft der alte Mythos allgegenwärtig seine Szene. Diesen Mythos zu brechen, die Denkweise der Väter –Krieg. Kampf. Korruption– zu verlassen, erfordert Kühnheit. Vereinzelt dringen bereits andere gestaltende Vorstellungen ans Licht. Für Visionen scheint kein Platz mehr. Zu voll ist der Raum mit Überkommenem; Material wie Wissen, veralteten Meinungen, Weltbildern, Maschinen, Institutionen und und und ... Bestandsaufnahme, Entsorgung und Recycling wären eine erste Aufgabe, das Wohlwollen der Götter wieder in die Welt zu bringen und damit ein Schritt, ein erster Schritt auf die Tanzfläche. Apollon, der Musik des Kosmos lauschen, ihrem – Furioso. Piano. Adagio– und den unendlichen Variationen. Damit Sensibilität, Intellekt und Humor wieder ihren Platz einnehmen und in die unzählbaren Dimensionen des Daseins eine neue Qualität einziehen kann. Mögen klassisch humanistische Wörter –Respekt. Würde. Interesse– den Ton in den Takten angeben und die Mauern ein letztes Mal fallen. C.M.Meier
August 2014 |