Kolumne


 

... oder ...

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Ludwig Wittgenstein

Und das Schweigen ist es auch, das sich ausbreitet um das Geschehen auf den Bühnen der Theater und das Theater in der Gesellschaft. Das Schweigen über das Ende des Dialoges, der auf einzigartig konstruktive Weise zu einer besonderen Entwicklung führte. Der Dialog – die Entwicklung eines Gedankens in Form von Rede und Gegenrede – der verschiedene Standpunkte zu einem Austausch und einer Quintessenz vereinte.
Die Entstehung und Entwicklung von Kultur, von Demokratie und die Übereinkunft zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen basiert auf dem Dialog. Die Fähigkeit ihn zu nutzen, will gepflegt werden. Die Kunst des Schauspiels führte ihn vor Augen und kultivierte ihn. Was im Heute bleibt ist das Schweigen, das Schweigen über seinen Untergang.
Abgelöst wurde der Dialog durch Wortgemenge. So wie die Formlosigkeit allseits die traditionellen Formen ablöste, so löste die Vermischung, der in der Sprache enthaltenen Formmöglichkeiten wie Prosa, Poesie und Dramatik, in einfache Wortfolgen diese ab. Polemik und Dorftratsch nehmen die Ebene des einstmals frei gestalteten  Denkens ein und liegen wie ein dichter Schleier in und über den Köpfen. Was bleibt ist das Schweigen, das Schweigen und die Traurigkeit über den Verlust kultureller und intellektueller Vielfalt.
Auf den Bühnen stehen sie neuzeitlich und zwitschern durcheinander wie die Vögel im Schwarm, einfach drauflos und Einfachtext. Aber dafür werden gewaltige Textmengen bewältigt, zur Vergewaltigung von traditioneller Sprache und Kultur. Die Haltung stets lässig privat, denn auch diese hat die Gepflogenheiten des Stils der Vergangenheit übergeben. So als fände Individualität besonders über Unmanier ihren einzigartigen Ausdruck. Denn die bequeme Eigenartigkeit ist es, der allzeit und überhaupt modisch einheitlich gehuldigt wird.
Jeder für sich und doch nur der Versuch von Eigenheit in einer gemischten Gemengelage einer Massengesellschaft. Vom Verbindenden der Kultur gelöst, bleibt nur noch das Verbindende der Natur. Der Natur, zu welcher der ursprüngliche Bezug längst verloren ging. Wie im Reagenzglas praktiziert man ersatzweise das Zelebrieren von Befindlichkeiten des Individuums. Diese lösten die innere Einzigartigkeit ab, die bewahrte Individualität. Das Theater der Antike versteckte sie hinter der Maske und die humanistische Kultur ließ sie in Stil und Form auftreten. Heute wabert es im Zwischenraum des Schwarms und steuert emotional, wie die bloße Natur es vorsieht, alle und eins durch von Empathie geschwängerte Luft im Lautgemenge. Was bleibt ist das Schweigen, das Schweigen über den Lärm des Geschnatters von Massen.

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“,  schrieb Ludwig Wittgenstein an das Ende seines Werkes. Dieses Ende steht auch für den Anfang einer neuen Welt

Passt. Perfekt. Super.


Eine Theaterkritik? Wozu denn das? Wenn ich die Ankündigung der Performancemit dem Auge gescannt habe, danach zwei Stunden bespaßt wurde und diskursiv einbezogen in ein multimediales Event, warum sollte ich dann noch einen spezifischen Text lesen in dem eine wissenschaftlich gebildete und künstlerisch dominierte Meinung festgehalten ist? Reflektion! Was bringt das? Die Show ist vorbei und auf meinem Smartphone sind mittlerweile fünfzig Messages eingegangen, die ebenfalls gescannt werden wollen. Das mit dem Nachdenken hat sich im Wohlfühlhimmel sowieso aufgehört. Schnee von gestern. Auf der Rückfahrt von der Location muss ich noch schnell die Raumtemperatur zuhause checken und außerdem kontrollieren, ob der Sekt im Kühlschrank die optimale Temperatur hat. Passt. Perfekt. Super. Und am nächsten Morgen geht es ins nächste Meeting, Powerpoint-Präsentation. Die mittlerweile gut trainierte Scanfunktion meiner Augen erfasst das Wichtige und speichert den Text in einen grauen Zell-Ordner. Welchen? Egal. Alle stehen unter Strom. Auf dem Smartphone sind mittlerweile fünfzig Bids eingegangen, die ebenfalls gecheckt werden wollen. Der Terminplan muss upgedatet werden und die Mittagessen-App aktiviert. Dazwischen ein Blick auf die Site mit den Theaterkritiken … Was steht da? … „Publikum war begeistert“. A ja, der empathische Applaus und die Buuh-Rufe für die Akteure – die feiern sich jetzt im Socialmedia (wie ich gecheckt habe) - am Ende der unterhaltenden Betrachtung bevor die Leute den Raum verließen. Eine dringende geschäftliche Mail und das Bild des Abends verschwindet hinter der zusätzlichen neuen Meldung des Kühlschranks, dass Sekt und Butter nachgeliefert werden müssen. In den drei Minuten meines Ausflugs ins Gestern sind mittlerweile fünf weitere Messages auf meinem Smartphone eingegangen, die ebenfalls gecheckt werden wollen. Es ist wie die Warenbewegung, die im Laufen gehalten werden muss. Die Logistik fordert Aktivität, damit alles in Butter ist - der Powerpoint. Auch Kunst wird an diesem Abend wieder konsumiert. Wir treffen uns um Acht. Passt. Perfekt. Super.

 

C.M.Meier

 


August/September 2016