Werkraum Stadt, Land, Fisch von Paul Brodowsky


 

 

 
Waschgang oder wie kriegt man Prosa ins Theater "rein"

Ingrid Arde wäscht die Laken im Hartschalenkoffer, wringt diese gemeinsam mit Mann Herrmann und Tochter Lydia über dem Duschbecken und hängt sie über die gespannte Leine im Zimmer. Die Wäsche benötigt zwei Tage um zu trocknen, erzählt sie. Früher, so erzählt Lydia, auf dem Hof hätten sie eine Weißküche gehabt und eine Schwarzküche. Die Weißküche zum Auskochen der Wäsche, die Schwarzküche zum Räuchern und Brotbacken. Viel Geräuchertes hätte es jedoch nie gegeben. Deshalb sind sie in die Stadt gezogen, wohnen nun in einem Container, übergangsweise, erzählt Herrmann. Nachbarn im Container sind Brassers, Hans-Peter, Charlotte und Sohn Ulrich. Hans-Peter war früher Fischer, jetzt schlachtet er Computerschrott aus und baut neue Rechner daraus. Ein sehr einträgliches Geschäft, erzählt er, Netze gegen Netzwerkkarten zu tauschen. Mit dem Fischfang sei es immer weiter zurück gegangen, konnte die Familie nicht mehr ernährt werden. Ulrich erzählt, dass er nun Karpfen züchtet, in der Stadt, im Container. Mutter Charlotte bezeichnet seine Fische als degeneriert.

Am eindrucksvollsten erzählte Peter Brombacher, der als Urgestein über eine eminente Bühnenpräsenz verfügt und diese auch gekonnt einzusetzen verstand. Mit sparsamer Mimik oder Gestik, präzise gesetzt, so ließ er Hans-Peter Brasser entstehen, einen Mann der sich dem Wandel in der Zeit fügt, ohne jedoch seine Art zu verlieren. Anders erging es Hermann Arde, Walter Hess trug seine Geschichte vor, der unter den geänderten Bedingungen keinen Platz mehr fand. Wiebke Puls als seine Frau hatte tatkräftig die Führung übernommen und verwirklichte sich als Kassiererin im Supermarkt. Dass sie Aufstiegschancen hat, glaubte man ihr ohne geringste Zweifel. Verloren dagegen wirkte Brigitte Hobmeier als ihre Tochter Lydia, die unsicher stöckelnd immer auf dem Weg war und auf der Straße ihre Bestimmung fand. Für Ulrich, Matthias Bundschuh, gab es nur kurz einen eigenen Platz im Leben. Er hatte so wenig Aussicht darauf wie seine Fische.

 

Matthias Bundschuh, Brigitte Hobmeier, Peter Brombacher

© Andrea Huber

 

Paul Brodowsky, Jungautor Jahrgang 1980, lässt seine Figuren über ihren Alltag berichten. Sie treiben abwechselnd Stück für Stück die Geschichte mosaikartig voran und zeichnen so ein Bild von in die Stadt verpflanzten Landbewohnern, mit ihren Ansichten und Gewohnheiten und deren Wandel unter den geänderten Lebensbedingungen. Wenn es auch manchmal ein wenig klischeehaft anmutet, so sind doch die beschriebenen Situationen geschickt gesetzt, genau durchdacht gewählt und bieten in der szenischen Umsetzung deutliche Einblicke auf Geschehen in der Gesellschaft. Nomadentum, Lohnsklaverei, Arbeitslosigkeit, Inzest und Prostitution sind einige davon. Ein Drama ist es aber, wie das Programmheft ankündigt, mitnichten, weder sprachlich noch im Aufbau. Zeichnet sich doch Dramatik durch Dialoge, und diese wiederum durch spannungsgeladenes Geschehen zwischen den Charakteren, und beim Monolog im Einzelnen, aus. Und genau das, bis auf eine kurze Passage, fehlt in dem Werk. Als Versuch, reflektorisch Vorgänge in der Gesellschaft nachzuvollziehen, mag es aber so allemal seine Berechtigung haben. Gilt doch das Vorweisen einer Geschichte, eines Lebenslaufes, als Merkmal für die Scheinindividuen in allen Schichten der Gesellschaft und wird gepflegt und herangezogen, um das Loch zu füllen, welches das Fehlen von Charakter und Schicksal hinterlässt.

Die Lesung des Textes wurde von Laurent Chétouane szenisch umgesetzt, dem "der prosaische Ton" gefällt, mit dem die ins spannungslose Nichts sprechenden Figuren kommunizieren. Die Deklamierenden saßen oder gingen dabei um einen großen Tisch, in dessen Mitte ein Aquarium mit einem Fisch, obligat, prangte. Marie Holzer war für die karge, doch bezeichnende Bühne, Stadt, verantwortlich, welche der Regisseur geschickt nutzte, um der Handlung zu Höhepunkten und somit auch bildlich zur Steigerung zu verhelfen. Es gelang ihm darüber immer wieder die Aufmerksamkeit auf eine der gegenwartslosen (dialoglosen) Figuren und deren Rückblicke zu lenken, die, so der Regisseur, Geschichte, also Vergangenheit gestalten, die spannungsmäßig funktioniert a'la Hollywood ... "... so ist das hoch künstlich."

In dem kurzen Dialog, einer Begegnung der beiden Ehepaare, blitzte für einige Momente Dramatik und damit Lebendigkeit auf, welche durch die ausgezeichnete Leistung der Schauspieler zusätzlich Farbe erhielt.

Im Hintergrund lief geräuschvoll eine Waschmaschine.

 

C.M.Meier

 

 

 


Stadt, Land, Fisch

von Paul Brodowsky

Wiebke Puls, Walter Hess, Brigitte Hobmeier, Cristin König, Peter Brombacher, Matthias Bundschuh

Regie: Laurent Chétouane
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