Theater im Marstall Das Rad des Glücks von Werner Fritsch


 

 

Der Abend der Jennifer Minetti

Courasch ist Sinti, gute achtzig Jahre alt und Überlebende von Auschwitz und Ravensbrück. Sie lebt - widerwillig - im Altersheim. In ihrem Bett liegt Enkelin Mira, verbotener Weise, schwanger und bereits in den Wehen. Wessen Kind trägt sie in sich? Diese Frage bewegt Courasch am heftigsten. Nur kein deutsches Kind soll es sein. Ein böhmisches, ja, das ginge an, oder ein Zigeunerkind, selbst wenn der Vater drogensüchtig ist. Alles wäre erträglich, wenn es nur kein deutsches Kind ist. Courasch hat nie "einen deutschen Schwanz" in sich gehabt und ist stolz darauf. Das ist vielleicht ihr größter Sieg über ihre Peiniger, abgesehen davon, dass sie die meisten überlebt hat. Während Mira sich in den Geburtswehen windet, erzählt Courasch ihre Geschichte, angefangen bei der unbeschwerten Kindheit über die Hölle der Internierung im KZ Auschwitz, der Verlegung in das Lager Ravensbrück, das ihr vergleichsweise wie ein Caféhaus vorkam, und dem Überlebenskampf mit Zigeunerwitz nach dem Krieg. In ihrem Leben ging es immer mehr oder weniger um das Überleben. Als Hand- und Kartenleserin hatte sie ihr Auskommen. Ihre Spezialität ist das "Rad des Glücks", welches sie ihrer Enkelin legen möchte, nicht zuletzt, um die Herkunft des Mannes zu erfahren, der Mira "gebrannt" hat. Vergeblich, denn Mira hat mit sich zu tun.
 
 

 
 

Jennifer Minetti

© Thomas Dashuber

 

 

Werner Fritsch, in der vergangenen Spielzeit mit "Cerubim" am Residenztheater deutlich in Erscheinung getreten, will mit seinem Stück "Das Rad des Glücks" ein Zeichen setzen zum 60sten Jahrestag des Kriegsendes. Mit der Geschichte will er aufmerksam machen, dass es neben dem Holocaust der Juden auch einen der Sinti und Roma gab. Das ist ein lobenswerter Ansatz und notwendig zudem. Als Hörspiel konzipiert, brachte er den Text in eigener Regie auf die Bühne des Marstalls. Schon nach wenigen Sätzen wurde dem Zuschauer deutlich, dass Fritsch einer von Sprache Besessener ist. Wie schon in "Cerubim" entwickelte er auch hier eine eigene Kunstsprache, deren durchgearbeitete Metrik schnell deutlich wird. Er verzichtet weder auf Lyrismen noch auf lyrische Stilmittel. Auch das wäre lobenswert angesichts der schwindenden künstlerischen Substanz bei zeitgenössischer Bühnensprache, wenn sich der Vorsatz nicht so überdeutlich breit machen würde. Ein Blick ins Programmheft verrät, welchen Aufwand Fritsch bei der Sprachfindung getrieben hat. Das würde jedem Germanisten alle Ehre machen. Nur, der Germanist ist der natürliche Feind des Dichters, denn Dichtung ersteht aus der Geschichte auf und nicht aus dem Vorsatz zur sprachlichen Gestaltung. So wird alle sprachliche Spitzfindigkeit bald ermüdend und kontraproduktiv. Hätte Autor Fritsch mehr Energie darauf verwendet, die Geschichte besser zu strukturieren, als den Olymp der Sprachgestaltung zu erklettern, wären dem Zuschauer einige Längen erspart geblieben und Fritsch wäre dem Thema gerechter geworden. Und Gerechtigkeit ist bei so einem Thema zwingend.

Ohne Zweifel ist die Geschichte der Courasch (anders als im "Cerubim") ein fiktive. Die Dichte der Schicksalhaftigkeit einer Sinti- oder Romaexistenz zu Zeiten der Nationalsozialisten und auch danach, denn auch die Nationalsozialisten überlebten, ist in diesem Text kaum mehr zu steigern. Alles Leid einer total pervertierten Welt muss die Courasch über sich ergehen lassen und überleben. Und sie muss dies als Mensch schaffen, darum auch der Name Courasch. Allein, der Horror, das kaum glaubliche Grauen ging zwischen den Lyrismen und den zum Teil überflüssigen Wiederholungen der grauenhaften Vorgänge schlichtweg verloren. Das Grauen blieb erklärtes Grauen und entstand nicht im Zuschauer. Damit war einer der wichtigsten Wirkungsmechanismen des Theater verpufft. Es mag durchaus sein, dass der Text als Hörspiel funktioniert, denn in diesem Fall wird der Zuhörer nicht mit Bildern konfrontiert und durch diese gelenkt. Es liegt bei ihm, diese zu schaffen. Als Bühnentext bleibt er wohl umstritten.
Tatsächlich gibt es keine wirkliche dramatische Konstellation. Die Figur Miras, eindruckslos von Judith Al Bakri gegeben, blieb jedenfalls ein Implantat, zumal sie ohne Text auskommen musste und keinen Einfluss auf den Fortgang der Geschichte nehmen konnte. So wurde sie in ihrer Rolle der leidend und stöhnend Gebärenden nicht selten zum Störfaktor.

Bei alledem muss sich der Autor an seine Verantwortung diesem Thema gegenüber erinnern lassen. Jeder nicht konsequent gelungene Versuch, das Thema des Holocaust einer Ethnie zu bearbeiten, macht schuldig, schuldig den Opfern gegenüber.

Wenn dieser Abend dennoch nicht ohne Eindruck auf die Zuschauer blieb, dann vornehmlich wegen der geradezu titanischen Leistung von Jennifer Minetti. Normalerweise taugen Superlative ja nur für Polemik, aber angesichts der Leistung dieser Grande Dame des Theaters sind sie unvermeidbar. Die physische Präsenz der körperlich kleinen Frau hatte etwas riesenhaftes. Ihre Stimmgewalt drohte die Mauern des Marstalls bisweilen zu sprengen. Vor dieser Leistung konnte man sich nur verbeugen. Das Publikum honorierte ihren eineinhalbstündigen Monolog mit sehr warmherzigem Applaus.
Allerdings, die Mängel des zum Theaterstück erklärten Textes und seiner Inszenierung konnte auch sie nicht vergessen machen.

 
Wolf Banitzki

 

 


Das Rad des Glücks

von Werner Fritsch

Jennifer Minetti, Judith Al Bakri

Regie: Werner Fritsch