Volkstheater Baal von Bertolt Brecht




Aufbegehren wäre angebracht

Orge sagte mir: der liebste Ort
Auf Erden war ihm immer der Abort.
(…)
Ein Ort der Demut, dort erkennst du scharf
Daß du ein Mensch bist, der nichts behalten darf.
(…)
Und doch erkennst du dorten, was du bist:
Ein Bursche, der auf dem Aborte -frißt.

(Aus Orges Gesang - im Stück "Baal")

Und weil der Mensch am Ende nichts behalten kann, so halte er sich im Leben schadlos. Das ist die Devise des junger talentierten Dichters Baal, der den Großkaufmann Mech (Timur Isik) auf den Plan ruft, um ihn zu fördern. Baal brüskiert den Mann, macht dessen Frau Emilie (Sophie Wendt) zu seiner Geliebten und erniedrigt sie. Sein Treiben ist hemmungslos. Er verführt die junge schwärmerische Johanna (Elisabeth Müller), Freundin seines Jüngers Johannes (Markus Brandl), und lässt sie bereits nach einer Nacht wieder fallen. Sie ertränkt sich. Dann schwängert Baal Sophie Dechant (Stephanie Schadeweg). Aber auch dieser Liebe wird er bald überdrüssig. Als sein Freund Ekart (Gabriel Raab), mit dem er durch die Lande zieht, ihn an einen Rest Menschlichkeit gemahnt, versucht Baal sie ihm "abzutreten". "Was muß ich dir geben daß du meine Frau nimmst?" Acht Jahre später sticht Baal den Freund im Streit um eine Kellnerin (Xenia Tiling) nieder. Der geniale Viechsmensch, wie der Dichter im Stück mehrfach tituliert wird, wird ebenfalls schwer verletzt und schlüpft auf der Flucht vor Landjägern im Wald in einer Holzfällerhütte unter. Ob Baal hier stirb, lässt Brecht offen. Die letzte Zeile lautete: "Sterne ... Hm" (Er kriecht hinaus.)

 

Sophie Wendt, Ludwig Blochberger, Benjamin Mährlein

© Arno Declair


Bertolt Brecht stellte das Stück im Alter von 20 Jahren fertig. Am 8. Dezember 1923 wurde es in Leipzig uraufgeführt und ummittelbar darauf vom Oberbürgermeister als unanständig, weil anarchisch verboten. Das gereichte einem Manne wie Brecht allerdings zur Ehre, denn im Baal steckt auch eine gehörige Portion des Autors. Brechts Umgang mit Frauen war nicht selten schändlich, auch wenn er aus dieser Eigenschaft eine literarisch-künstlerische Tugendfloskel machte: "In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen". Mit Kollegen verfuhr er ebenso. Frage an Brecht: "Was halten sie von Max Frisch?" Antwort: "Gar nichts. Der schreibt auch." Oder man lese nach, wie er mit Marie-Luise Fleißer umgegangen ist. Die verriet er für einen Theaterskandal, um seine eigene Publizität zu steigern. Er hielt sich einen ganzen Harem schöner und kluger Frauen, die er schamlos für sich ausnutzte, ohne jemals seinen Ruhm mit ihnen zu teilen. Im Gegensatz zum Baal war er jedoch ein physischer Feigling, der die Bequemlichkeit und den Luxus liebte.

Hans Neuenfels ließ wissen, dass er mit Brecht zu neuen Ufern aufbrechen wollte. Mit seinem "Baal" gedachte er die Gesellschaft aufzurütteln. Ob es ihm gelungen ist, bleibt abzuwarten. Gute Gründe dazu hat er allemal, beklagt er doch schon seit längerem das Fehlen von Visionen in der heutigen Zeit. Brecht hatte seinerzeit einen ebenfalls triftigen Grund für das Schreiben. Die Figur des Baals entsprang dem Geist des Dichters als eine parodistische Antwort auf das Stück "Der Einsame" von Hanns Johst, der später als Präsident der nationalsozialistischen Reichschrifttumskammer Meriten erntete. Brecht stellte dem "Westentaschendämonen" und "Spießergenie" Johsts ein wahrhaft wildes und anarchisches Genie gegenüber. Sechsunddreißig Jahre später, Brecht hatte Weltruhm erlangt und war der wichtigste Vertreter des epischen Theaters, gestand er: "Dem Stück fehlt Weisheit."

Damit hatte Brecht wohl Recht und doch ist es allein wegen der hochlyrischen, wuchtigen und klaren Sprache bereits ein echter Geniestreich. Kluge Kritiker hatten in den sechziger Jahren nach einer Züricher Inszenierung sogar herausgefunden, dass die "Unfähigkeit zur Sozialisation Baals, sein an den Menschen Vorbeireden" schon das Wetterleuchten des Theaters des Absurden (Beckett und Ionesco) war. Das ist bei näherer Betrachtung ziemlicher Unsinn. Fragt sich nun, was Hans Neuenfels gerade mit diesem Drama zu sagen beabsichtigte? Der inzwischen Fünfundsechzigjährige ist ein Aufsässiger geblieben. Er inszenierte das Stück erstmals mit sechsundzwanzig und sieht auch heute noch genügend Anlässe, "Baal" zu Wort kommen zu lassen. Er fragte sich, wie der "Baal" auf die Absetzung seiner Inszenierung des "Idomeneo" an der Deutschen Oper in Berlin reagiert hätte. Neuenfels fürchtet nicht islamische Fundamentalisten, sondern die Menschen, die die Angst vor ihnen schüren. Aufbegehren, auch heftiges, wäre angebracht. Doch es gibt keine genialen Berserker mehr und auch Neuenfels hält sich selbst nicht für einen solchen. Wie auch, wo doch Berserkertum in Marktlücken passt und Quoten bringt.

Worum ging es also? Hans Neuenfels: "Es geht um Bedürfnisbefriedigung sofort. Dabei weiß keiner, was er wollen soll. Wir stehen im Leben wie vor dem Last-Minute-Schalter." Seine Lesart offenbarte sich denn auch in der Besetzung der Rolle des Baals mit Ludwig Blochberger. Der junge und hochbegabte Schauspieler kam zwar rüde, aber sichtbar sensibel und so gar nicht berserkerhaft daher. Er war vielmehr ein Möchtegernbaal, der sehnsuchtsvoll und selbstzerstörerisch seinen Weg ging, da er keine Idee von etwas Höherem hatte. Und genau das war die Botschaft dieser Inszenierung, ohne Zweifel zweitgemäß.

Die Inszenierung war über weite Strecken eher unspektakulär, aber dennoch eine Augen- und vor allem Ohrenweide. Sie rührte an. Hans Neuenfels erzählte die Geschichte und er erzählte sie gut. Baal sinngemäß: ‚Eine Geschichte, die man versteht, ist eine schlecht erzählte Geschichte.` - Eine Geschichte will erfühlt sein! Genau das leistete diese Inszenierung. In einem funktionalen Bühnenbild von Gerhard Fresacher, bestehend aus schwarzen Wänden und weißen Mauerresten, die wie Wolken in den (Bühnen-) Himmel ragten, herrschte das Wort. Ganz im Brechtschen Sinn wurde auf alles verzichtet, was dem Spiel nicht diente. Dennoch war diese Klarheit ein ästhetischer Genuss. Jazzige Musik, hervorragend ausgewählt, trieb die Handlung unterschwellig und suggestiv voran. Auffällig, und das sollte durchaus als eine neue Qualität verstanden werden, war das hochmotivierte und erstaunlich konzentrierte, präzise Spiel aller Darsteller. Selten konnte man die vornehmlich jungen Schauspieler des Volkstheaters so diszipliniert und ganz der Rolle ergeben agieren sehen. Vielleicht sind es gerade diese Qualitäten, die einen Regisseur als einen "Regie-Altstar" (Zitat) auszeichnen. So könnte das Stück "Baal" einen sehr Brechtschen Sinn haben, nämlich den des Lehrstücks für "Regie-Jungstars".

Mit dieser Inszenierung hat das Münchner Volkstheater eine wunderbar schillernde dramatisch-lyrische Perle im Programm, deren innerer Glanz der menschlichen Verderbtheit entspringt.


Wolf Banitzki

 

 


Baal

von Bertolt Brecht

Ludwig Blochberger, Karin Werner, Timur Isik, Sophie Wendt, Benjamin Mährlein, Andreas Tobias, Markus Brandl, Elisabeth Müller, Gabriel Raab, Ursula Maria Burkhart, Stephanie Schadeweg, Xenia Tiling, Nicholas Reinke

Regie: Hans Neuenfels