Volkstheater Kasimir und Karoline von Ödön v. Horváth




Oktober ohne Fest

"Dieser Ödön Horváth, dessen Name so eigenartig nach Mord-Chronik, Steckbrief, k. k. Armee-Überbleibsel klingt, ist ein Ausnahmefall unter den Exzedenten seines Geschlechts. Ein amorphes Stück Natur; vulgär wie ein Noch-nicht-Literat, souverän wie ein Nicht-mehr-Literat; aus Elementarem und Dilletantischem gemengt. So könnte die Rohschrift eines großen satirischen Erzählers aussehen; aber auch die Reinschrift eines genialen Abenteurers, der sich für einen Schriftsteller ausgibt." So Anton Kuh, der Dichter, der sein Werk lebte und nicht schrieb, über seinen Zeitgenossen. Treffender lässt es sich kaum formulieren und in dieser Formulierung steckt gleichsam eine große Herausforderung, da die Werke Ödön von Horváths längst noch nicht ausgelotet sind. Der Grund dafür ist wohl in der bedrückenden Aktualität zu suchen, die diesen Stücken hinterherzulaufen scheint.

Mit "Kasimir und Karoline" setzt das Volkstheater nach "Nieder-Bayern" und "Kleiner Mann was nun" sein Programm, auf gesellschaftliche Vorgänge direkt zu reagieren, in sehr lobenswerte Weise fort.

Kasimir (Karsten Dahlem), gerade arbeitslos geworden, und Karoline (Stephanie Schadeweg), seine Braut, vergnügen sich auf dem Münchener Oktoberfest. Dabei entfernen Sie sich voneinander, denn der Druck, der auf ihnen lastet und den sie vor den Toren der Wiesn zurückgelassen glaubten, schwebt wie ein Damoklesschwert über beiden. Karoline möchte leben und sie meint damit ein anderes Leben als das reale. Am Ende erzählt Sie dem Zuschauer das ganze Stück in zwei Sätzen. "Ich habe mir halt eingebildet, dass ich mir einen rosigen Blick in die Zukunft erringen könnte - und einige Momente habe ich mit allerhand Gedanken gespielt. Aber ich müsste so tief unter mich hinunter, damit ich höher hinauf kann." Diese Aussage umreißt mehr oder weniger den Verlust sittlicher Grundsätze in einer Welt des Geldes. Sehr deutlich illustriert der Zuschneider Schürzinger (Nicholas Reinke) diesen Vorgang, in dem er Karoline für einen vermeintlichen sozialen Aufstieg an den Unternehmer Rauch (Wilfried Labmeier) und dessen Lust abtritt. Komplettiert wird das soziale Kaleidoskop durch Merkl Franz (Leopold Hornung), einen bekennenden Kriminellen, desillusioniert und auf seine animalische Triebhaftigkeit reduziert.

 

Karsten Dahlem, Stephanie Schadeweg

© Katrin Ribbe


Regisseur Florian Fiedler setzt in hohem Maße auf das Wort. Die kahle Bühne von Bernd Schneider, das billige Interieur eines Bierzeltes suggerierend, tritt dem nicht entgegen. Nüchternheit allerorten scheint Programm zu sein. Allein, hier bleibt die Inszenierung unter den Möglichkeiten, denn ein wesentliches Element der Horváthschen Stücke ist der Kitsch, der als künstlerisches Mittel zelebriert werden will, um die Ernüchterung totalitär zu betreiben. Der Drang nach Authentizität verleitete Regisseur Fiedler zur Proklamation derselben. Dabei sollte doch die Authentizität im Auge des Betrachters entstehen. Als schließlich noch eine Reihe von betagten Laien die Bühne erobern und erklären, warum Sie "Abnormitäten" darstellen, endet der Versuch der künstlerischen Brechung abrupt. Der Vorsatz, die heutige Gesellschaft zu erklären, gerinnt zum vordergründigen Plakat.

Dabei hat Fiedler in seinen Darstellern motivierte und sehr glaubhaft agierende Protagonisten zur Verfügung. Karsten Dahlem gibt einen zerquälten, an den inneren Grenzen angelangten Kasimir, der in jeder Situation den rechten Ton trifft. Stephanie Schadeweg zaubert eine sehnsuchtsvolle und gleichsam naive Karoline, deren Reiz man sich nicht entziehen kann. Leopold Hornungs Merkl Franz ist da nicht ganz so ausgewogen. Seine vordergründige Brutalität zwingt den Zuschauer nicht selten einen ungewollten Abstand auf, um nicht von einem ausufernden Realismus überrollt zu werden. Wilfried Labmeier und Peter Rühring als Repräsentanten der oberen Gesellschaftsschicht sind zynisch und moralisch durch und durch verkommen. Damit schlagen sie sich deutlich auf Horváths Seite.

Noch einmal soll Anton Kuh zu Wort kommen: "Kein Wunder also, dass den Zuschauer aus den Theaterstücken des glänzenden Desillusionisten das ziemlich Trostlose einer entzauberten, in ihrem schnöden Mechanismus bloßgelegten Welt kalt anweht." Um diesen Vorgang auf der Bühne glaubhaft zu machen, hätte es unbedingt der Illusion bedurft, die nicht stattfand. Nicht umsonst wählte der Dichter das Oktoberfest zu seinem Schauplatz. So wehte von Anfang an nur der kalte Wind und der ging nicht durch den Bauch, sondern machte kalte Ohren.

 

Wolf Banitzki




Kasimir und Karoline

von Ödön v. Horváth

Karsten Dahlem, Stephanie Schadeweg, Wilfried Labmeier, Peter Rühring, Nicholas Reinke, Leopold Hornung, Elisabeth Müller, Antje Schmidt, Ester Kuhn


Regie: Florian Fiedler