Cuvilliéstheater Halali von Albert Ostermaier
Blattschuss
HA
LA
LI – steht auf dem Deckblatt des Programmheftes und das unterstrichene A weist doch gleich auf die enthaltenen Lacher hin - denen dann das LA des, das allgemeine Lied Betreffenden folgt - welches in ein kleines LI der Konsequenz mündet. Damit wäre auch schon fast alles zur Aufführung gesagt.
Die Stange eines Hirschgeweihs lugte hinter dem Vorhang hervor. Erst verhalten, dann neugieriger folgte dem Geweih ein Kopf und schließlich der ganze „Hirsch“ ... erst einer, dann der zweite, dann ein dritter und vierter. Halali – sie standen nur mit blutverschmierten Plastikschürzen bedeckt an der Rampe und trugen die fachgerechte Auswaidung eines erlegten Hirsches durch einen Jäger vor. Halali - die Jagd hat erst begonnen. Gleichzeitig wurde dadurch die Geschichte nach dem Ende eines Tieres sichtbar gemacht. Dem Tier, durch die reiche kräftige gestaltende Sprache eines Dichters vor das innere Auge gelegt, entnahm der Chor die Eingeweide und bot diese mitsamt dem Fleisch dem Betrachter zu Erwerb und Verzehr dar.
Dann wurde der Vorhang geöffnet. Das Bühnenbild von Robert Schweer spiegelte das verkleinerte Abbild des Theaters mit der Königsloge in der Mitte, in welcher vielfältig volksmusikalisch virtuos die Band aufspielte. Die einzelnen Logen bildeten die Spielplätze, Räume der Patienten, während die Fläche dem Aktionsraum, der Bühne des Lebens bzw. der Klinik Platz bot. Eine deutliche gewollte Vermischung von Realitäten, Brauchtum und Vorstellungen wurde dargeboten. Es waren vor allem die „Eingeweide“, welche den Klinikchef Dr. Tirow (ruhig überlegen René Dumont) und die Chefärztin Dr. Elektra (bemüht sachlich bis schlicht emotional Sibylle Canonica) beschäftigten. Jörg Ratjen entwickelte vielfältig die Personen Plisch und Franz Josef, ohne auch nur einen Augenblick zu vergessen, dass er eigentlich Patient, also Nachspielender war. Ebenso Oliver Nägele, welcher Filius Max verkörperte und still bedächtig den Maßkrug hielt.
Die Klinik, ein Platz nicht nur für die Paranoia der Eitelkeiten, wurde auch zur Konfrontation des Publikums benutzt. Gabriel, genannt Stiller (ruhig überlegend Wolfram Rupperti) entledigte sich der Kleidung und packte seinen Koffer. Wollte er doch die Klinik verlassen und demonstrierte dazu klare Einsicht. Der nackte Mann auf der Bühne, hantierte geschickt mit dem Koffer - es ging das Spiel wohl auch mit und um die Scham, die natürliche und die gesellschaftlich anerzogene, und sollte wohl eine über alles triumphierende Neugier, auch um weitere Inhalte des Koffers, bestätigen. Und Dr. Elektra, eine DienstleisterIn im Bereich kreative Psychoquacksalberei, spielte Familienaufstellung und mit Plisch den Text von Richard III. nach. In einer Vermischung von Lebensprogramm, Rollenspiel und Therapie wurde so ein wenig sehr weit über das Ziel hinaus geschossen, was den Gesamtkontext anbelangt, aber immerhin einen Blattschuss im Bezug auf die DienstleisterIn platzierte. Der Kreis zwischen Thema und Darstellung schloss hier dicht.
Alfred Kleinheinz, Wolfram Rupperti, Michele Cuciuffo, Franz Pätzold © Pam Schlesinger |
Thomas Ostermaier gelang in den, nicht direkt auf die Person des Franz Josef bezogenen Passagen des Stückes großes Theater. Ausgewogene Sprache, Dichte und Konsequenz zeugte von künstlerischer Feinsinnigkeit. Die spritzigen Dialoge riefen Schmunzeln hervor und die Bildhaftigkeit vieler Aussagen verdeutlichte das Geschehen überdimensional. „.... die Wahrheit schlucken sie mit Wasser ...“ Dagegen wirkten die, die Person beschreibenden Teile schlicht, brachten aber dennoch berührend einen Menschen näher. Bei dem Stück handelt es sich um in Auftragswerk und wie weit dieses bereits vor- oder ausgedacht war, wird ein Geheimnis bleiben. Auch veränderten wohl Eingriffe und Einschübe durch die Regie zugunsten des Aufführungskonzeptes. Es begann spritzig und einfallsreich und bis auf einige Längen, Monologe am Ende hielt es die Spannung. Nun ist dieses Ende vielleicht der Realität geschuldet, denn eine menschliche Lebenszeit mündet zumeist in Sentimentalität und Pathos – wie erst kürzlich der Abgang des letzten Intendanten am Resi vor Augen führte. Wer seine Zeit zum Rückzug nicht erkennt, fällt dem Schwert zum Opfer.
Ratten gehören, neben den Menschen, zu jenen wenigen Spezies auf der Erde, welche die eigene Art angreifen, töten und fressen. Wieviel Ratte steckt im einzelnen? Tatsache - die stärksten, bissigsten Ratten setzen sich durch, bleiben übrig. Je dichter die Population umso aggressiver der Einzelne. Selbst wenn „das Fleisch“ in der Gesellschaft unantastbar geworden ist, so sind es Persönlichkeit und Seele noch lange nicht. Was bildet die Nahrung heute?
Jäger und Wild – eine uralte Konstellation, welche auch das Verhältnis von Sensationspresse und Politik verdeutlicht. Immerhin stellt die Presse die 4. Macht im Staate dar, und es obläge ihr vornehmlich die Offenlegung von Vorgängen, also Aufklärung für die Allgemeinheit. Die im Programmheft angeführten Dialoge zwischen dem Spiegelherausgeber Rudolf Augstein und dem Politiker Franz Josef Strauß belegen dies noch. Das moderne Geschäft mit der Sensation, dem Ausschlachten von Personen oder Prozessen, wird vielfach dem eigentlichen Auftrag vorgezogen und es kommt vermehrt zu fragwürdiger Paktiererei um Pfründe und Machterhalt.
Feudalismus ist keine akzeptable Gesellschaftsform mehr. Waren es früher einzelne Persönlichkeiten, wie FJS, die die Weichen stellten, so geht es jetzt vermehrt um Zusammenwirken. Einzelne gelungene Inszenierungen in der Münchner Szene belegen dies. Die Bevölkerungsdichte und die damit einher gehende Ausbeutung des Lebensraumes fordert längst neue Organisationsstrukturen. Allein die derzeitigen Machthaber sind in ihren Denk- und Handlungsstrukturen gefangen, reden und schreiben längst überholte ideologische Programme fest. Solange Einfluss und Macht mit Geld verbunden sind, sind Änderungen in einer Gesellschaft ausgeschlossen. Würden Einfluss und Macht an klarer bewusster Lebenshaltung, sowie Achtung und Respekt, veredelt mit gebildetem Sachverstand festgemacht, so wären die Ergebnisse für die Gemeinschaft und den Lebensraum sicherlich förderlicher. Erste Ansätze und Beispiele werden bereits gelebt – folglich kann so etwas wie Hoffnung aufkommen.
„Heimat ist das größte Hindernis“ – und folglich die größte Chance! Die Betrachtungen um den, schon zu Lebzeiten immer umstrittenen, Franz Josef Strauß machten überdeutlich: Wer sich im öffentlichen Raum einer Aufgabe widmet, muss mit der „Opferung“ seiner Person rechnen. Er wurde als ungekrönter Herrscher Bayerns wahrgenommen und dient nun ebenso wie Ludwig II. als exemplarischer Fall, an dem sich die Nachfolgenden bereichern. Der Abend brachte noch einmal die Person, seine persönlichen Eigenschaften und seine Verdienste nahe und bestärkte das ambivalente Bild, welches er wohl bei den meisten Menschen hinterließ. FJS war Politiker. Doch: Friede seiner Seele – womit er aber, nach ... und ... wohl noch nicht so bald wird rechnen können und womit er vermutlich auch rechnete. Seine Worte: „Wer gar nichts macht, begeht keinen Fehler, sagt man. Nein, wer gar nichts macht, begeht den größten Fehler, indem er nämlich seiner Sache nicht mehr dient.“ Die Inszenierung war weitgehend mit Traditionellem spielendes, neuzeitliches Spektakel und aktuelles Sittenbild gleichermaßen – Plattschuß.
Ein neuer Diskurs flammt auf?
UA Halali
von Albert Ostermaier
Ein Mann in seinem Widerspruch Jörg Ratjen, Michele Cuciuffo, Oliver Nägele, Wolfram Rupperti, Sibylle Canonica, René Dumont, Franz Pätzold, Alfred Kleinheinz Musik: Monaco Hansi & The Original Royal Bavarian Heart Rock Orchestra Regie: Stephan Rottkamp |