Cuvilliéstheater Nebenan – The Vibrator Play von Sarah Ruhl


 

 


Edison und Frühlingserwachen

Wer hätte das gedacht: „Nach der Einführung der Nähmaschine im Jahre 1889 hielt er (der Vibrator – W.B.) schon im darauf folgenden Jahr, zeitgleich mit Ventilator, Teekocher und Toaster seinen Einzug. Er ‚ging dem elektrischen Staubsauger um neun und dem elektrischen Bügeleisen um zehn Jahre voraus; die elektrische Bratpfanne entstand erst mehr als ein Jahrzehnt später, in dieser Reihenfolge womöglich Konsumentenpräferenzen widerspiegelnd’.“ (Christina von Braun in Programmheft zur Inszenierung im Cuvilliéstheater)

Tatsächlich wurde der Vibrator ursprünglich zur Behandlung „weiblicher Hysterie“ entwickelt, eine Diagnose, die gegen Ende des 19. Jahrhundert inflationär die Runde machte und letztlich Siegmund Freud auf den Plan rief. Das Wort Hysterie geht auf das altgriechische Wort „hystera“ zurück, welches die Gebärmutter bezeichnete und zugleich der älteste medizinische Begriff ist. Die Gebärmutter, die sich nach der Vorstellung der Griechen auch schon mal auf den Weg durch den Körper machte, um bestimmte Gefäße zu verstopfen, war Ursache der einzig die Frauen befallende Hysterie. „Die Hysterie ist die organische Krisis der organischen Verlogenheit des Weibes.“ (Otto Weininger im Programmheft zur Inszenierung im Cuvilliéstheater) Übrigens, wenn Hysterie bei Männern auftritt, sind diese zumeist Künstler. Ziel der Behandlung war es, der Patientin zu einer „Krise oder dem hysterischen Paroxsysmus“, sprich dem Orgasmus, zu verhelfen. Neben der Behandlung mit dem Vibrator empfahl man unverheirateten Hysterikerinnen, sich zu verheiraten. Was geschah nun bei dieser Vibratorbehandlung? Mittels manuellen Massagen des Genitalbereichs wurde den Frauen Erleichterung von ihren psychischen Verspannungen oder „Verstopfungen“ verschafft.

Die 1974 geborene US amerikanische Dramatikerin Sarah Ruhl ließ sich von diesen irrwitzig anmutenden Fakten und Tatsachen inspirieren und stellte in ihrer Komödie „Nebenan – The Vibrator Play“ die Frage: „Was kann einen Menschen töten und auch wieder zum Leben erwecken?“ Nein, nicht die Liebe, wie der Romantiker vermuten würde. Die Antwort ist so einfach wie zeitgemäß: „Elektrizität.“ Dass Edison gleichsam für eine sexuelle Revolution verantwortlich zeichnete, erscheint auf den ersten Blick zwar sehr weit hergeholt, ist aber nicht von der Hand zu weisen.

Zur Geschichte: Der Arzt Dr. Givings behandelt weibliche Hysterie mittels Vibration, die erst durch die Elektrizität möglich war. Givings ist mit einer schönen, aber hyperaktiven und sich langweilenden Frau verheiratet. Catherine hat zudem dass Problem, dass sie das gemeinsame Baby nicht ausreichend stillen kann. In diese Situation hinein platzt Mr. Daldry und bringt seine Ehefrau Sabrina zur Behandlung. Sie „hysterisiert“, kann nicht mehr Klavier spielen und fühlt sich zudem in ihren vitalen Funktionen stark beeinträchtigt. Dr. Givings verschafft ihr „nebenan“ im Behandlungszimmer, ein Hort hehrer Wissenschaften und hoher medizinischer Ethik, ein richtig prickelnden Orgasmus. Sabrina geht es augenblicklich besser. Selbstredend beschließt man, die Behandlung fortzusetzen. In einer Unterhaltung mit den Givings erfahren die Daldrys von dem Muttermilchmangel und empfehlen ihre eigene Amme, die farbige Elizabeth. Die nimmt sich der Tochter an und hält sich fortan häufig im Haus des recht wohlhabenden Arztes auf. Als Leo Irving, ein Maler, den Rat des Arztes sucht, da er eine Malblockade hat und sein Augenlicht zu verlieren scheint, therapiert ihn der Doktor auf dieselbe Weise wie die Damen, nur rektal. Dieser Vorgang soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Catherine Givings wird Ohrenzeugin der Vorgänge „nebenan“ und ihre Neugier bringt sie dazu, Sabrina über die Behandlung zu befragen. Beide vergehen sich miteinander konspirierend auf (ruchlos) unmedizinische Weise am Vibrator und haben unüberbietbares Vergnügen dabei und auch miteinander. Nun ist die Welt nicht mehr, wie sie war. Von Elisabeth, die die beiden Damen nach den erstmals erlebten Gefühlen befragen, erfahren sie, dass sich guter Sex so anfühlt. Von nun an wollen es die Damen wissen.
 
nebenan

Carolin Conrad, Jörg Lichtenstein, Thelma Buabeng, Miguel Abrantes Ostrowski, Katharina Pichler, Norman Hacker, Hanna Scheibe

© Renate Neder

 

Janina Audick zauberte eine gelackte großbürgerliche Villa mit überdimensionalen Fenstern zu einem weitläufigen Park mit Springbrunnen auf die Bühne der Cuvilliéstheater. Das Behandlungszimmer – nebenan – war ein steriles Behandlungszimmer, das immerhin durch ein fahrendes Tischchen mit seitlichen Vorhängen auffiel, mit dem die Intimsphäre des Patienten vor fremden und auch den Augen des Arztes geschützt blieb. Die Bühne war ebenso bombastisch wie steril. Das Mehr an Notwendigem, um diese Komödie zu bewältigen, brachte nichts, denn prickelnd war die Architektur nicht. Die Kostüme, insbesondere die der Damen, von Tabea Braun erweckten schon den schwelgerischen Eindruck einer theatralen prêt-à-porter. Hanna Scheibe und Carolin Conrad beließen es nicht bei einer auffälligen Robe. So schön sie auch anzuschauen waren, und die Damen verstanden es, die Kleider zu präsentieren, Atmosphäre schufen die Kostüme ebenso wenig wie das sterile Bühnenbild.

Die aus der Schweiz stammende Regisseurin Barbara Weber gilt als eine Hoffnungsträgerin im deutschsprachigen Theater. Sie entwickelte in der so genannten freien Szene ein erfolgreiches „unplugged“-Format,  über das sie die Mythologie der Neuzeit (Michael Jackson, Mutter Theresa oder die RAF) hinterfragte. Das klingt schon mal nach frischem Wind, Experiment und Aufregung, möchte man meinen. Doch was dem Zuschauer im Cuvilliéstheater geboten wurde, war biederes, berechenbares und höchstselten überraschendes Theater. An den Darstellern lag es dabei bestimmt nicht. Carolin Conrad präsentierte sich als wunderschöne und begehrenswerte, aber „hysterische“ Ehefrau, die jeden halbwegs normalen Mann dazu bringen könnte, lebenslang Misogamist zu sein. Jörg Lichtenstein spielte als Ehemann das Martyrium seiner Ehe mit verzweifelter Unterwerfung. Hanna Scheibe wirbelte als unentwegt plappernde, nervige und auch entnervte Catherine Givings durch das geleckte Interieur ihres Heims. Norman Hacker, anfangs noch der Herr in seinem Hause, geriet mit fortschreitender Handlung immer mehr in die Situation des lächerlichen Patrons. Sein Selbstbetrug darüber, dass ihm seine Ehefrau mehr und mehr entglitt, war ruinös für ihn. Hackers Dr. Givings war am Ende gezeichnet von Verzweifelung. Ohnmächtig stand er den „maßlosen“ sexuellen Forderungen seiner Frau nach einem echten Orgasmus gegenüber. Er musste sich hinein finden.

Miguel Abrantes Ostrowskis Maler Leo Irving war anfangs ein sehnsuchtsvoller, schwärmerischer Künstler, der die Damen allein durch seine Ausführungen über die Kunst, in denen auch das Wort Prostitution vorkam, in höchstem Maß erregte. Am Ende mussten sich die Damen doch auf ihre Ehemänner beschränken, denn der Maler hatte sich in die farbige Amme, anmutig gestaltet von Thelma Buabeng, verliebt. Die madonnenhafte Frau lebte allerdings in einer glücklichen Ehe (inklusive Orgasmen), und so zog es den Maler nach erfolgreicher Therapie, allerdings mit einem eigenen Vibrator im Gepäck, fort und nach Italien. Katharina Pichler gab unauffällig die unauffällige, aber doch sehr fingerfertige Assistentin des Doktors.

Allen Darstellern kann engagiertes und sehr präzises Spiel attestiert werden. Dennoch verpuffte allzu viel, und das nicht selten unter großem Aufwand. Schließlich handelte es sich um eine gute Boulevardkomödie, die textlich ein Feuerwerk an Komödiantik ermöglicht. Die wirklich amüsanten Momente waren vereinzelt und eher selten. Regisseurin Barbara Weber gelang es nicht, die Lawine der Komik loszutreten. Und für ein Aufklärungsstück war die Geschichte dann doch zu dünn.

Wirklich interessant an diesem Abend war das Programmheft, in dem Christina von Braun sich verstieg, einen Vergleich zum Kapitalmarkt herzustellen. Das ist zwar heftig an den Haaren herbei gezogen, lässt aber wunderbare Gedankengänge zu: „Das Abendland kennt drei Mächte, die aus dem Nichts sichtbare Wirklichkeit erschaffen: Das eine ist der liebe Gott, das zweite ist der Kredit, das dritte ist die Hysterie.“ Die Börse oder der Kapitalmarkt wird nicht selten mit dem Adjektiv hysterisch in Verbindung gebracht. Und recht besehen, stellt sie durchaus einen komplexen Korpus dar, der jedoch keinesfalls mit dem einer Frau verglichen werden sollte. Da stellt sich doch am Ende die Frage, ob es nicht einen Vibrator für die Börse gibt und wie er wohl aussehen könnte. Der Börse einen guten Orgasmus zu bereiten, dürfte allerdings schwierig sein, da der Job des Brokers ja eher mit Masturbation in Verbindung gebracht werden muss. Mit Zahlen, auch mit schwarzen, lässt sich nicht schwängern.

 
Wolf Banitzki

 

 


Nebenan – The Vibrator Play

von Sarah Ruhl

Miguel Abrantes Ostrowski, Thelma Buabeng, Carolin Conrad, Norman Hacker, Jörg Lichtenstein, Katharina Pichler, Hanna Scheibe


Regie: Barbara Weber
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