Cuvilliés Theater Diesseits von Thomas Jonigk


 

 

 
Am Ende war Hoffnung - trotzalledem

Paula ist 40 und unglücklich. Sie ist unglücklich, weil sie das große Glück will aber, wenn irgendwie möglich, unter Ausschluss des täglichen Lebens. An dem scheitert sie nämlich unentwegt. Sie hat keinen Mann, kein Kind, keine wirkliche Ausbildung und keinen Job, den sie mag. Sie kennt die Liebe nicht und hatte nicht einmal einen anständigen Orgasmus. Zu allem Unglück hat sie auch noch einen Hirntumor. Nicht von ungefähr, wie Paulas Schwester, Zahnärztin und mit einem Architekten verheiratet, weiß. Wer nur negative Gedanken hat, muss einen Tumor bekommen. Das war schon beim Vater, dem Verlierer, der Nullnummer so, der auf den Tag vor dreißig Jahren am Hirntumor verstarb. Paula will diesem Desaster, das andere Menschen Leben nennen, ein Ende bereiten. Aber Theater ist, wenn auch das daneben geht. Immerhin lernt sie dabei Dietmar kennen. Dietmar ist, wie er heißt. Dass beide nicht mehr aneinander vorbeikommen, liegt auf der Hand. Autor Thomas Jonigk griff an dieser Stelle auf ein bewährtes Mittel der Theaterliteratur zurück, um eine transzendente Ebene zu schaffen: Er ließ den Geist des toten Vaters auferstehen. In ihm sollte sich Paula letztendlich finden und ein Stück Lebensfähigkeit erlangen.

Nach dem ersten Hinschauen war klar, hier handelt es sich um eine Komödie. Thomas Jonigk hat den Text mit enorm vielen Pointen und witzigen Brüchen aufgeladen, von denen Regisseurin Tina Lanik nichts verschenkte. Dennoch, würde man die Geschichte nur ihrem Inhalt nach erzählen, wäre der Schluss, es sei eine Komödie, nicht zwingend. Hierin wird ein Geist der Zeit deutlich, der sich scheinbar in allen Bereichen breit macht: Was immer erzählt wird, man muss darüber lachen können! Dabei wird allerdings nicht mehr über eine Situation gelacht, sondern häufig über Menschen.
 

Janko Kahle, Juliane Köhler, Felix Rech

© Thomas Dashuber

 

In Tina Laniks Inszenierung wurde viel über Menschen gelacht, denn sie waren in der Tat in vielen Situationen lächerlich. Juliane Köhlers Paula zeichnete sich dadurch aus, dass sie keine Situation natürlich angehen konnte. Ihre Ängste, Erwartungen und Wünsche verstellten ihr stets den Weg in eine normale Situation. In dieser Unfähigkeit, die eigentlich sehr tragisch war, wirkte sie lächerlich. Dietmar, der natürliche Gegenentwurf zu Paula, ein ebensolcher Irrläufer im Leben, wenn gleich mit pragmatischen Zügen, war im Grunde gar kein Verlierer. Er blieb sich treu und suchte. (Verlierer sind eigentlich die, die am vermeintlichen Lebensziel angekommen sind.) Felix Rech musste seinen Dietmar spielen, wie Thomas Jonigk einen Dietmar sieht. Dieser Name ist für den Autor kein Name, sondern ein Stigma: "furchtbar", wie Paula bemerkte. Robert Joseph Bartl, als Schauspieler der geborene Komöde, musste gleich vier Personen der Lächerlichkeit preisgeben. Er agierte als muffig-stupider Filialleiter, als selbstverliebt-fauler Schwager, als ältlich-zynischer Frauenverführer Peter und als schwuchteliger Pfleger. Beatrix Doderer entging in ihren fünf Rollen weitestgehend diesem Trimmen. Ebenso Janko Kahle als toter Vater.

Es muss der Inszenierung unbedingt zugestanden werden, dass sie überaus unterhaltsam war und über weite Strecken auch kurzweilig. Das lag in dem engagierten bis hemmungslosen Spiel der Darsteller begründet. Juliane Köhler, nicht gerade die sinnlichste Erscheinung, erspielte eine sehnsüchtige Frau, der man ihre Begehrlichkeiten durchaus abnahm. Felix Rech beeindruckte hingegen mit magischen Momenten in dem ganzen dargestellten Gefühltohuwabohu.

Dass etwas nicht stimmte am Gesamtbild dieser Inszenierung, davon zeugte das Bühnenbild von Magdalena Gut. Sich daran zu gewöhnen, bedurfte unbedingt der Fähigkeit des Ausblendens. Es setzte sich aus Fragmenten nichtssagender kalter Gebrauchsarchitektur zusammen. Gitter, Heizkörper, Rohre und Neonleuchten schufen eine geradezu existenzialistische Grundstimmung, die so gar nicht zum Komödiantischen passen wollte. Es war auch wenig befreiend, als zum Schluss die Tür nach Draußen, in die Nichttheaterrealität aufgestoßen wurde. Sinnlichkeit konnte in diesem Rahmen wenig aufkommen und dabei ging es doch im Grunde um nichts anderes. Am Ende stand das Prinzip Liebe, das Hoffnung verhieß. Auf der Bühne des Cuvilliés Theaters wurde es gedacht und war nicht wirklich zum Fühlen freigegeben.

Vielleicht lag das unbestimmte Missbehagen auch daran, dass sowohl vom Autor als auch von der Regisseurin zu viel Einverständnis beim Zuschauer vorausgesetzt wurde. Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, soll das Thema "Dietmar" noch einmal bemüht werden. Was ist, wenn man nicht dieselben Assoziationen hat wie der Autor? Dann verpufft die Pointe, die vorgibt, mehr zu sein als nur eine Pointe. Und was ist, wenn man Dietmar ist? So gibt es ein Vielzahl von Ansätzen im Stück, die nur Wirkung entfalten, wenn sie in die Lebenssicht des Betrachters passen. Streitbarkeit ist gut und wichtig. Allein, die Sprache muss verstanden werden. Nicht in jedem Fall stand der Autor, wie es scheint, über den Dingen.
 


Wolf Banitzki

 

 

 


Diesseits

vonThomas Jonigk

Beatrix Doderer, Juliane Köhler, Robert Joseph Bartl, Janko Kahle, Felix Rech

Regie: Tina Lanik