Marstall Call me God von Gian Maria Cervo, Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier, Rafael Spregelburd
Knallbunt wie ein Schrebergarten
Das Stück "Call me god" von den Autoren Gian Maria Cervo, Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier und Rafael Spregelburd war eine Auftragsarbeit für das Münchner Residenztheater. Die Vorlage für das blutrünstige literarische Theaterereignis waren die Morde der so genannten „Beltway Sniper“ im Großraum Washington D.C. und auf der Interstate 95 in Virginia im Jahr 2002. Der Entstehung der Texte war planlos und scheinbar unkoordiniert. Während drei der Autoren sich dem Geschehen, den Tatsachen direkt zuwandten, „umschrieb“ Rafael Spregelburd die Ereignisse, um den mythischen Aspekt der Persönlichkeit von John Allen Muhammad zu ergründen. Muhammad hatte ursprünglich vor, so die unerwiesenen Spekulationen der Behörden, seine Frau, die ihm seine Kinder genommen hatte, zu töten. Als Tarnung sollte dieser Mord in einer „Wolke“ von Morden untergehen. Doch plötzlich sah sich der Täter einer ungeahnten Popularität durch die mediale Berichterstattung ausgesetzt und seine Botschaft, der Erkennungscode für die Polizei "Call me god", bekam eine ungeahnte und für ihn manipulative Dimension. Regisseur Marius von Mayenburg verwob die Texte nun zu einer durchlaufenden Handlung, beginnend und endend mit der Hinrichtung Muhammads.
Aus den angekündigten zwei Stunden wurden am Uraufführungsabend eine Stunde und fünfundvierzig Minuten äußerlich lebendiges und sehenswertes Theater. Wann immer ein Schuss krachte, hieß es: „Wir haben ein Problem!“, und in den nachfolgenden Szenen wurde über Ermittlungsarbeit gesprochen, kamen Augenzeugen, Ermittler und Medienvertreter zu Wort. Bald schon war klar, dass es sich bei jedem Mord um eine mediale Fortsetzungsfolge handelte, die zwar keine oder nur sehr wenige neue Einsichten brachten, dafür aber neue, vor Betroffenheit strahlende Gesichter, allesamt von vier Darstellern einfallsreich und illuster präsentiert. Bald schon zeichnete sich ein Running Gag ab, der sehr gut funktionierte. Nach jedem Mord gab es eine Person, die dem Opfer nahe stand, oder während der Tat auch nur in seiner Nähe stand, die sofort ein Buch geschrieben hatte, auf dessen Cover der oder die Autorin zu sehen war, und welches es am Ausgang in handsignierter Form für den Betrag von (...) Dollar an einem eigens dafür eingerichteten Büchertisch zu kaufen gab. Schön, dass jemand diesen Schwachsinn der marodierenden Mitbürger mal auf den Punkt brachte. Unterm Strich erlebte das Premierenpublikum einen Querschnitt aus CIS, SIC, SWAT, Task Bumsding, Monk, und wie die nach muskulösen, hocherotischen oder einfach nur neurotischen, in jedem Fall aber immer genialen Ermittler, Profilern, Psychokomikern oder sonstiger kriminalistischer Knallchargen benannter US-Serien, die allabendlich über die deutschen Mattscheiben flimmern, heißen. Die ungeheuerliche und zum Teil unerträgliche Aufgeblasenheit der Protagonisten gaukelt darin eine Professionalität vor, die dem Bürger verheißt: Amerika ist sicher, Amerika wird nicht den Ziegenhirten, Russen oder (An Feindbildern mangelt es wahrlich nicht!) ... in die Hände fallen. Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten ein Schlachthaus sind und der höchste Ausdruck ihrer Freiheitlichkeit sind (durch das System aus Machismo, Waffenfetischismus, Bildungsarmut und politischer Hybris geschaffene) geistesgestörte Serienkiller.
Das alles brachte Mayenburg auf die Bühne. Immerhin standen die Darsteller den Serienhelden in Ausstrahlung und Körpereinsatz um nichts nach. Lucas Turturs akrobatische Actionnummer in einer Szene, wo er von einem unsichtbaren Polizisten verprügelt und durch den Raum geschleudert wurde, war hollywoodreif. Katrin Rövers Striptanz ließ Demi Moore verblassen. Thomas Gräßle spielte Täter und Jäger unvergleichlich und unverwechselbar, wobei man ja eigentlich nicht sicher sein konnte ob sie nicht aus demselben Holz geschnitzt waren. Genija Rykovas Darstellung einer gestressten Mutter vor dem Supermarkt, die gerade am Telefon mit anhören musste, wie ihr Sohn Selbstmord beging, hätte fast einen eigenständigen Theaterabend (des Absurden) tragen können. Die Bühne von Nina Wetzel war ästhetisch ansprechend, funktional und deutlich sichtbar in Hinrichtungs- und Verhörraum, Tatort, Golfplatz, Rundfunkstudio und Klinik-OP, in dem das Blut Triumphe feierte, untergliedert. Alles war perfekt multimedial unterlegt und überzeichnet, war atemlos, war randvoll mit Fakten, Ereignissen und Horrormeldungen, theatralischen Kabinettstückchen und dennoch trug das Stück nicht über den ganzen Abend. Da sich viele Vorgänge ähnelten, Statements, Erläuterungen immer wieder der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, hatten sich einige Einfälle bald totgelaufen.
Das Stück "Call me god" von den Autoren Gian Maria Cervo, Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier und Rafael Spregelburd war eine Auftragsarbeit für das Münchner Residenztheater. Die Vorlage für das blutrünstige literarische Theaterereignis waren die Morde der so genannten „Beltway Sniper“ im Großraum Washington D.C. und auf der Interstate 95 in Virginia im Jahr 2002. Der Entstehung der Texte war planlos und scheinbar unkoordiniert. Während drei der Autoren sich dem Geschehen, den Tatsachen direkt zuwandten, „umschrieb“ Rafael Spregelburd die Ereignisse, um den mythischen Aspekt der Persönlichkeit von John Allen Muhammad zu ergründen. Muhammad hatte ursprünglich vor, so die unerwiesenen Spekulationen der Behörden, seine Frau, die ihm seine Kinder genommen hatte, zu töten. Als Tarnung sollte dieser Mord in einer „Wolke“ von Morden untergehen. Doch plötzlich sah sich der Täter einer ungeahnten Popularität durch die mediale Berichterstattung ausgesetzt und seine Botschaft, der Erkennungscode für die Polizei "Call me god", bekam eine ungeahnte und für ihn manipulative Dimension. Regisseur Marius von Mayenburg verwob die Texte nun zu einer durchlaufenden Handlung, beginnend und endend mit der Hinrichtung Muhammads.
Aus den angekündigten zwei Stunden wurden am Uraufführungsabend eine Stunde und fünfundvierzig Minuten äußerlich lebendiges und sehenswertes Theater. Wann immer ein Schuss krachte, hieß es: „Wir haben ein Problem!“, und in den nachfolgenden Szenen wurde über Ermittlungsarbeit gesprochen, kamen Augenzeugen, Ermittler und Medienvertreter zu Wort. Bald schon war klar, dass es sich bei jedem Mord um eine mediale Fortsetzungsfolge handelte, die zwar keine oder nur sehr wenige neue Einsichten brachten, dafür aber neue, vor Betroffenheit strahlende Gesichter, allesamt von vier Darstellern einfallsreich und illuster präsentiert. Bald schon zeichnete sich ein Running Gag ab, der sehr gut funktionierte. Nach jedem Mord gab es eine Person, die dem Opfer nahe stand, oder während der Tat auch nur in seiner Nähe stand, die sofort ein Buch geschrieben hatte, auf dessen Cover der oder die Autorin zu sehen war, und welches es am Ausgang in handsignierter Form für den Betrag von (...) Dollar an einem eigens dafür eingerichteten Büchertisch zu kaufen gab. Schön, dass jemand diesen Schwachsinn der marodierenden Mitbürger mal auf den Punkt brachte. Unterm Strich erlebte das Premierenpublikum einen Querschnitt aus CIS, SIC, SWAT, Task Bumsding, Monk, und wie die nach muskulösen, hocherotischen oder einfach nur neurotischen, in jedem Fall aber immer genialen Ermittler, Profilern, Psychokomikern oder sonstiger kriminalistischer Knallchargen benannter US-Serien, die allabendlich über die deutschen Mattscheiben flimmern, heißen. Die ungeheuerliche und zum Teil unerträgliche Aufgeblasenheit der Protagonisten gaukelt darin eine Professionalität vor, die dem Bürger verheißt: Amerika ist sicher, Amerika wird nicht den Ziegenhirten, Russen oder (An Feindbildern mangelt es wahrlich nicht!) ... in die Hände fallen. Tatsache ist, dass die Vereinigten Staaten ein Schlachthaus sind und der höchste Ausdruck ihrer Freiheitlichkeit sind (durch das System aus Machismo, Waffenfetischismus, Bildungsarmut und politischer Hybris geschaffene) geistesgestörte Serienkiller.
Das alles brachte Mayenburg auf die Bühne. Immerhin standen die Darsteller den Serienhelden in Ausstrahlung und Körpereinsatz um nichts nach. Lucas Turturs akrobatische Actionnummer in einer Szene, wo er von einem unsichtbaren Polizisten verprügelt und durch den Raum geschleudert wurde, war hollywoodreif. Katrin Rövers Striptanz ließ Demi Moore verblassen. Thomas Gräßle spielte Täter und Jäger unvergleichlich und unverwechselbar, wobei man ja eigentlich nicht sicher sein konnte ob sie nicht aus demselben Holz geschnitzt waren. Genija Rykovas Darstellung einer gestressten Mutter vor dem Supermarkt, die gerade am Telefon mit anhören musste, wie ihr Sohn Selbstmord beging, hätte fast einen eigenständigen Theaterabend (des Absurden) tragen können. Die Bühne von Nina Wetzel war ästhetisch ansprechend, funktional und deutlich sichtbar in Hinrichtungs- und Verhörraum, Tatort, Golfplatz, Rundfunkstudio und Klinik-OP, in dem das Blut Triumphe feierte, untergliedert. Alles war perfekt multimedial unterlegt und überzeichnet, war atemlos, war randvoll mit Fakten, Ereignissen und Horrormeldungen, theatralischen Kabinettstückchen und dennoch trug das Stück nicht über den ganzen Abend. Da sich viele Vorgänge ähnelten, Statements, Erläuterungen immer wieder der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, hatten sich einige Einfälle bald totgelaufen.
Katrin Röver, Lukas Turtur, Genija Rykova, Thomas Gräßle © Jans Jörg Michel |
Was Regisseur Mayenburg dem Publikum präsentierte, war die comedyhafte, wenig erhellende und erodierend wirkende Sicht auf Serienmorde. Er, respektive die mit sich selbst diskutierenden und niemals zu Ergebnissen gelangenden Texte, spiegelten Realität und unterließen das Entscheidende: Die Frage nach dem Warum? Diese Halbherzigkeit mag Resultat der Struktur und der Arbeitsweise des Projektes sein (Bei Lanz, das neue omnipotente und –präsente Medium, darf auch nichts anderes herauskommen als Meinungsvielfalt!), doch entschuldigt das nicht das Ergebnis. Und das war unbefriedigend. Samuel Beckett meinte, man muss bis zum Äußersten gehen, dann stellt sich Lachen ein. Damit meinte er nicht, dass man die größtmögliche Zahl an Opfern wählen sollte, und die Umstände der Tötungen und der kriminalistischen Aufklärungsversuche zur Projektionsfläche komödiantischer Brechungen oder Verballhornungen zu machen, um Lachen zu erzeugen. Entstehung und Erzeugung sind zwei unterschiedliche Dinge und wenn man die, aus welchen Gründen auch immer, verwechselt, kann es passieren, dass man (hoffentlich unwissentlich) die unschuldigen Opfer verhöhnt.
Hinter dem Projekt stand durchaus ein ernsthaftes Anliegen. Es sollte aufgezeigt werden, dass das Böse durch exzessiv aufgeputschte mediale Begleitung angefeuert wie ein Schiffsmotor, nun erst richtig Fahrt aufnimmt und in seiner Dynamik nur noch durch die Katastrophe zu stoppen ist. Und eine Katastrophe ist eine Tötung immer, selbst wenn das Opfer Bin Laden heißt. Man mag diese Pazifismus entschuldigen oder nicht. Doch Gewalt ist durch Gewalt, und Hinrichtungen sind auch Gewalt, nicht aus der Welt zu schaffen, sondern sie ist lediglich die Fortsetzung der Gewalt. Amerikas Justiz folgt noch immer den Gesetzen des Alten Testaments und versteht sich dabei als die höchste kulturelle Stufe. Wie blind muss man eigentlich sein? Serienmorde sind kein Paradoxa oder Mystifikationen, sie sind Produkt der gesellschaftlichen Zustände. Wenn man sich in der theatralen Fragestellung bis zu diesen Höhen nicht aufzuschwingen vermag, bleibt man im Schrebergarten des Lebens hängen und da tröstet es nicht, wenn er betörend bunt ist.
Hinter dem Projekt stand durchaus ein ernsthaftes Anliegen. Es sollte aufgezeigt werden, dass das Böse durch exzessiv aufgeputschte mediale Begleitung angefeuert wie ein Schiffsmotor, nun erst richtig Fahrt aufnimmt und in seiner Dynamik nur noch durch die Katastrophe zu stoppen ist. Und eine Katastrophe ist eine Tötung immer, selbst wenn das Opfer Bin Laden heißt. Man mag diese Pazifismus entschuldigen oder nicht. Doch Gewalt ist durch Gewalt, und Hinrichtungen sind auch Gewalt, nicht aus der Welt zu schaffen, sondern sie ist lediglich die Fortsetzung der Gewalt. Amerikas Justiz folgt noch immer den Gesetzen des Alten Testaments und versteht sich dabei als die höchste kulturelle Stufe. Wie blind muss man eigentlich sein? Serienmorde sind kein Paradoxa oder Mystifikationen, sie sind Produkt der gesellschaftlichen Zustände. Wenn man sich in der theatralen Fragestellung bis zu diesen Höhen nicht aufzuschwingen vermag, bleibt man im Schrebergarten des Lebens hängen und da tröstet es nicht, wenn er betörend bunt ist.
Wolf Banitzki
Call me God
von Gian Maria Cervo, Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier, Rafael Spregelburd
Koproduktion mit dem Teatro di Roma (Teatro Argentina), Romaeuropa Festival und Festival "Quartieri dell’Arte"/Viterbo Katrin Röver, Genija Rykova, Thomas Gräßle, Lukas Turtur Regie: Marius von Mayenburg |