Lichtbühne Das Jahr der Rosen nach Bernhard Ganter
Mann, oh Mann
Ein Fleck dunkler Erde, ein kleiner Garten begrenzt von Rosen bildete die Bühne. Rot, gelb, orange mit roten Rändern leuchteten die Blüten die Scheinwerferlicht. Wohlklingende Namen wie Penelope, Chantal oder Iphigenie führten zu individueller Unterscheidung in gezüchtete Sorten – erotisch ansprechend, burschikos, zurückhaltend. Ein Bild der Idylle in dessen Mitte ein Tisch und ein Stuhl ihren Platz hatten – Natur und Welt.
Der Protagonist betrat sein Eden, begrüßte seine Rosen, sprach von der Gewalt, welche seiner Frau widerfahren war. Doch wer war der Täter? Gab es einen Täter, oder lag allem einfach die Natur zugrunde, die Ängste die vergeblich in eine moralische Vorstellung, einen Irrtum verkleidet, ihn selbst dazu verdammten Täter zu sein? Der Fall befleckte die Seele, dunkelte das Hemd, die Haut. Die Hose zerrissen und zerfranst von Aktivität und dem vergeblichen Versuch Erlebtes zu verstehen, Schicksal wenden zu können, schritt der Mann durch den Garten, saß der Mann am Tisch.
Guido Verstegen erzählte und verkörperte ungemein präsent und einfühlsam die Geschichte eines Eigenbrödlers in den Mittvierzigern, der auf einem Straßenfest seine Frau kennengelernt hatte. Der Erzähler aus dem Off brachte die Zusammenhänge der Aufführung in der konsequenten Regie von Maximilian Sachsse vor, ergänzte die Bilder auf der Bühne des Heimgartens. Es war die kleine scheinheile Welt, in der sie nach der Hochzeit lebten. Dann der ungeklärte Missbrauch seiner Frau. Er, ein sexuell unbefriedigter Buchhalter, überfordert ... die Regentschaft des Verstandes grenzte alles irrational Erscheinende und nicht durch moralische Leitsätze Begründete aus, projizierte. Er versuchte sich verzweifelt, verzweifelt zurechtzufinden. Die emotionalen Momente standen ihm unverstellt ins Gesicht geschrieben. Aufbäumen. Er rieb sich an der Flasche, der biedere Rosenzüchter. Er, der als Buchhalter, als Schreibtischtäter im Hintergrund eingeblendet war, seine andere Seite zeigte, in Anzug und Krawatte sozusagen mit den Insignien einer moralischen Instanz versehen, der Legitimation eines Systems, welches auch nur einen weiteren Akt der Selbstbefriedigung vorstellte. Diesmal – „Mord ohne Blutvergießen“ – aktuell dessen einstimmiges Credo. Die Natur treibt sie immer wieder hervor, die Bilder der Angst in und aus der Vergangenheit.
Zwei Wege eine Traumatisierung zu verarbeiten, werden bislang in dieser Zivilisation genutzt: Der Weg nach Innen wird in dem Roman von Bernhard Ganter geschildert. Sein Florian Becker gibt sich im Bemühen um eine Bewältigung einer geistigen Rache hin, während die geschädigte Frau Miriam vergeblich seine Aufmerksamkeit sucht. Eine Realität führte den Protagonisten mit schockbedingter Amnäsie nach Gabersee (Bezirksklinikum). Der Weg nach Außen wird in dem Theaterstück in der Bearbeitung von Guido Verstegen veranschaulicht und zeigt einen Mann auf dem Weg zu selbstgerechter Satisfaktion.
Guido Verstegen © Engelbert Jost |
Der tatsächlichen Vergewaltigung von Mutter Erde wurde die malerische Heimeligkeit des scheinbar geordneten Kleingartens gegenüberstellt und damit waren unverkennbar die mentalen und emotionalen Grenzen des Individuums sichtbar gemacht. Was nützt es Rosen zu züchten um sich an deren Schönheit zu erfreuen und doch unfähig zu sein mit sich selbst oder der Schöpfung umzugehen, vergeblich Frieden zu suchen im Kontext des Kleingartens, im Selbstgespräch zwischen Blumen oder als Buchhalter gar zwischen Zahlenreihen? Gilt es doch die Frau als Spiegel und schöpferisches Element seiner Selbst zu begreifen – was Mann naturgemäß tut, solange er in dem Spiegel sein eigen Bild erkennen kann und will, und vice versa. Durch die Zerstörung eben dieses Bildes gelingt es dem Anderen, dem Täter, ebenso verletzend wie der Frau gegenüber, durch die Gewalttat einen anderen Mann zu verstören. Es gibt viele Möglichkeiten dieses elementare Gleichgewicht zu verwirren, sei es durch eine Tat per se, eine Gewalttat, oder sei es auch durch Mechanismen der Verdrängung wie gesellschaftlicher Druck, irreführende Propaganda und andere Glaubenssätze, beispielsweise die Anbetung der bloßen Ratio in missverstandener Wissenschaftlichkeit.
Eine bestechend klare Metapher auf die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Aufführung brillierte durch feine Symbolik und den dramatisch drastischen Spielgestus der emotionalen Rationalität, die über die Funktionen der menschlichen Organe ihren Ausdruck findet. Nicht wie im richtigen Leben oder dessen oberflächlichem Geschmiere, welches als Biedermann-Theater entlarvt wurde, sondern mit elementarem Wissen um das Dasein erstanden Bilder von umfassend beeindruckender Wirkung. JederMann ist Opfer und Täter zugleich, es läge an ihm selbst zu schöpferischem Gleichgewicht seiner Kräfte zu finden. Rache allein setzt in tierischer Selbstbefriedigung gefangen.
Der zum Täter personifizierte Andere erfror als Obdachloser ohne Decken am Ufer des Flusses. Genugtuung glänzte aus allen Poren des spießigen Buchhalters ... und am Ende lag der traumatisierte Controller anscheinend befriedigt auf der feuchten dunklen Erde. Boden ohne Blut.
Das Jahr der Rosen
Nach dem Roman von Bernhard Ganter
Guido Verstegen Regie: Maximilian Sachsse
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