Lichtbühne Phädra von Jean Racine


 

 

Von den Schachzügen der Gefühle

Das Theaterstück „Phädra“ von Jean Racine bildet einen der Höhepunkte der französischen klassischen Bühnendichtung. Es waren die Tage der zu Ende gehenden absolutistischen Monarchie unter Ludwig XIV., die Tage vor der Französischen Revolution, einem gewaltsamen Umbruch in der Gesellschaft, in welchen der Schriftsteller Euripides Tragödie „Der bekränzte Hippolytos“  aus der Antike in seine Gegenwart übertrug. In dem theatralen Versuch zerfällt eine patriarchische Ordnung und das Chaos zeigt mögliche Zukunft auf. In Racines Weltanschauung lenkt ein Gott der Vorhersehung die Geschicke. Er, durch Klostererziehung geprägt und von Glaubenssätzen geleitet, fasste seine Beobachtungen der Psyche und deren Ausdrucksform in Sprache und Handlung in das Werk. Die Tragik des Unabwendbaren.

Immer wieder stellen die Götter die Menschen vor das Labyrinth ihres Inneren, wohl um ihnen die Spuren des Schicksals und ihrer unlösbaren Aufgaben vor Augen zu führen. An einem solchen Zeitpunkt, jetzt, griff das freie Theaterensemble Lichtbühne das von Simon Werle, vor dreißig Jahren mit ausgeprägter Kompetenz in eine neue deutsche Bühnensprache und ohne Pathos um Staat und Macht, übersetzte Werk von Jean Racine auf.
Regisseur Maximilian Sachsse kürzte die Fassung und legte das Augenmerk unmittelbar auf die emotionalen Beweggründe der Figuren und weniger, wie das Stück bei Racine angelegt ist, auf das Intrigenspiel. Diese Aktualisierung resultiert zum einen aus dem Umfeld in der Zeit, das Intrigenspiel bei Hofe um Gunst und Pfründe hat sich unmerklich gewandelt, zum anderen an der modern stattfindenden Suche des Menschen nach sich selbst. Die Bespiegelung der Eitelkeit fand unter Ludwig XIV. sicherlich einen ebensolchen Höhepunkt, wie sie heute in den geldpotenten Kreisen üblich ist. Doch was bewegt tatsächlich? Die Inszenierung legte den Ursprung offen, es ist der blanke Trieb. Der Begattungs- und Vermehrungstrieb bewegt die Welt. Und was immer sich Mensch auch als Ordnung und Gesetz einführte, der Trieb findet einen Weg diese zu seinem Vorteil zu umgehen.

Theseus, Krieger und Held, ist der stärkste Mann und somit König in Athen. Er zog in den Krieg und bereits über den Anlass kursieren Gerüchte. Die einen meinen den Kampf mit den Waffen, die anderen die Eroberung weiblicher Körper. Allein Theseus kennt die Erfahrung. Sein Sohn Hippolytos idealisiert den Vater, stilisiert ein Heldenbild und in jugendlicher Naivität offenbart er sich Theramenes. Hier begann die Szenenfolge mit Alexander Wagner in der Rolle des Erziehers, der unaufgeregt locker mit Kaffeebecher und Zigarette einen Platz suchte um sein überflüssiges Jackett abzulegen. Guido Verstegen als Hipploytos erzählte auch gleich verunsichert von seiner Begegnung mit Arikia, wie er eine geduldete Randfigur im System von Theseus Gesellschaft. Was ist Liebe? Theramenes gab seine Erfahrung weiter, von Mann zu Mann. Und so drängte es Hippolytos sich Arikia (scheu und zurückhaltend Dana Reinhardt) mitzuteilen. Doch welche Worte wählen, welche Gesten, wie die Antwort deuten? Ismene, Laura Götz, bot Arikia leise Freundschaft, Wiederhall. Da trat Panope an die Rampe, verkündete die Nachricht von Theseus Tod. Gabriele Weller kam der Part des Chores zu, und die Botschaft fand ihren Ausdruck nicht nur in den Worten, sondern auch unverkennbar im Antlitz. Wem steht der Thron nun zu? Phärda, Theseus Frau, sieht in Hippolytos Spuren des Vaters und überträgt vergangene Erfahrungen der Ehe auf den jungen, noch unbedarften Mann. Allein er achtet und verehrt den Vater, und die Begehrlichkeiten der Stiefmutter finden keine Entsprechung. „Was ist schon Liebe gegen Macht?“ Michelle Monballijn erspielte eine durch und durch moderne Phädra, zielbewusst konsequent im Emotionalen und doch eine in der Palette der Aufgaben verlorene Frau und überforderte Königin. Önone (taktierend und wohlmeinend Doris Gruner) brachte als Amme lenkend ihre Erfahrung ein. Da trat wieder Panope an die Rampe: „Theseus kehrte zurück ...“ Und mit ihm, aufrecht und machtvoll präsent gespielt von Iris Ische Böhning, nahm seine Ordnung, sein Recht wieder den Raum ein. Doch welche Handlungen, welche Worte treten zurück, welche Kräfte erzwingen sich Ausdruck?

Der Mensch wird niemals Herr über die Natur, weder über seine eigene, noch die Natur per se. Gefühle sind die Ausdrucksformen des Triebes, durch Organfunktionen verstärkt und biologisch umgesetzt zu bisweilen sehr widersprüchlichem Befinden. Und in diesem Feld hampelt der Mensch und bildet sich ein, er verfüge über einen freien Willen. Doch der Wille unterliegt der Emotion ebenso wie dem Intellekt und nur da, wo beide koordinieren – womit, da der Wille deutlich auf die wenigen gefühlsmäßigen Berührungspunkte beschränkt ist, er den freien Gedanken auf wenige Ausdrucksmöglichkeiten reduziert – kann es zu begrenzter Interaktion kommen. Interaktion entsteht an gleichen bzw. sich ähnelnden Bildern und wannimmer sich diese begegnen, ziehen sie sich an. Sehnsucht trifft Abweisung, Schuld trifft Schwäche trifft Vorstellung und Schwäche trifft Schuld.

 

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Alexander WagnerLaura Götz, Guido Verstegen, Michelle Monballijn, Gabriele Weller, Doris Gruner, Iris Ishe Böhning, Dana Reinhardt

© Lichtbühne

 

 

Die inszenierte Szenenfolge führte zielstrebig gestrafft die Handlung voran und jeder Geste, jedem Wort kam die angemesse Bedeutung zu. Die Regie setzte auf wenige nachhaltige Bilder, sowie die rechte Spannung zwischen Sprache und Gefühl. Konsequenz einer Essenz. Phädra fällt in die Verwirrung und Önone geht stellvertretend in den Tod. Hippolytos wird von Neptun, den der gekränkte Theseus anrief, verschlungen und Theramenes verzeifelt sich die Haare raufend ob des maßlosen Unheils. Da trat wieder Panope an die Rampe und verkündete strahlend, dass Theseus Arikia zur Frau nimmt.
Welche Ordnung war die rechte? Die des Beginns oder die des Endes, die die Geschichte weiterführt? Die Verstrickungen der Figuren finden ein Zusammenleben, welches allein durch Theseus, der den Versuch von Systematik und Recht verkörpert, geordnet ist. Absolutismus. Durch die Abwesenheit des Königs herrscht Anarchie und die Figuren sind ihren bloßen Gedanken und Veranlagungen überlassen, bis ein neuer König in seinem Weltbild Recht vorgibt. „Es wird niemand die Ketten zerschlagen, wenn wir uns nicht selbst entschlossen befreien.“
Gesetz und Natur stehen einander vielfach unvereinbar gegenüber. Die Vieldeutigkeit der Natur und der verzweifelte Versuch diese eindeutig einzugrenzen, führen zu dem unlösbaren Dilemma in dem die Menschheit ihre Tage verbringt.

Die Konflikte des Inneren nach außen gekehrt, entsteht die verkehrte Welt. Ein heute beständig anzutreffendes Phänomen und immer mehr verlieren sich im eigenen inneren Labyrinth. Durch Umfeld und Familiengeschichte geprägt, konditioniert, nicht umsonst werden die Abstammung und die Götter zu Erklärung angeführt, erfahren sie Schicksal. Die Schwäche regiert, steuert die Figuren, wie es in der starken Aufführung der Lichtbühne deutlich vorgeführt wurde. ... Und, wenn es den Göttern beliebt, so wendet sich die Zeit.

 

C.M.Meier

 

 

 


Phädra

von Jean Racine

Übersetzung von Simon Werle

Iris Ishe Böhning, Laura Götz, Doris Gruner, Michelle Monballijn, Dana Reinhardt, Guido Verstegen, Alexander Wagner, Gabriele Weller

Regie: Maximilian Sachsse

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