i-camp Die Soldaten nach Jakob Michael Reinhold Lenz


 

 

Weiße Gewehre


Auf die Aufklärung – „Die Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. …“ I. Kant - folgte zu Ende des 18. Jahrhunderts die Periode des Sturm und Drang, die Weiterentwicklung und Radikalisierung der humanistischen Gedanken. In jugendlichem Enthusiasmus suchten Dichter, wie Jakob Michael Reinhold Lenz, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller und Friedrich Gottlieb Klopstock, nach der Verbindung von Vernunft und Gefühl. Die etablierten gesellschaftlichen Konventionen galt es zu entlarven, die Unterschiede zwischen den Ständen und die Problematik um Freiheit zu artikulieren. Eine künstlerische Revolution fand statt, die wider die feudalistischen Dogmen von Kirche und Staat der Natur im Menschen Raum bot. Und in der Natur des Menschen liegt, auch über 200 Jahre später, diese Diskrepanz in sich immer noch offen. Was ist und wie herrscht Vernunft, was bewirkt Gefühl und gibt es tatsächlich Momente der Übereinstimmung?

Lenz verfasste „Die Soldaten“ 1776 und erst 100 Jahre später wurde das Werk, in einer bearbeiteten Fassung unter ähnlichem Titel, aufgeführt. Womit seinem eigenwilligen Ansatz „Ein wahres Dichtergenie zeichne sich durch gestalterische Phantasie und eigenständiges Schaffen und nicht durch Einhaltung von Regeln aus.“ durchaus auch Genüge getan wurde. Eine Uraufführung fand erst 1916 statt. Auch die Inszenierung durch die Lichtbühne unter Maximilian Sachsse ging einen eigenen Weg. Nach der intellektuell auslotenden Moderne suchte er naturgemäß psychologisch nach den dunklen wunden Punkten, die er in deutliche Charakterbilder fasste. Konsequent folgte er seinem inhaltlichen Aspekt und weniger bildungskonformen Vorgangsweisen. So standen auch hier Gesellschaftsregel gegen persönlichen Entfaltungsdrang im Hintergrund in Konflikt. Das Stück, ursprünglich im Sinne von Lenz eine Komödie, erhielt die Bezeichnung „Lustspiel“, wobei es doch gerade das Ausleben einer triebhaften Lust war, welchem die Protagonisten folgten und das in subjektiver expressiver Weise. Oder ist es etwa die heute gesellschaftlich vorgegebene „Pflicht zu Lust“, die einen weiteren Konflikt bildet? In der offenen Form von Einzelszenen, gleich den in der Tradition angeprangerten „Fetzenszenen“, welche durchaus für die zugrunde liegenden Motive bestehen konnten und durch „schwarzen Pausen“ getrennt waren, erfuhr das Publikum die Geschichte.

Marie Wesener, die Tochter eines Kaufmannes, ist mit Stolzius, dem Sohn einer Waffenhändlerin, verlobt. Als dieser in Geschäften unterwegs ist, gibt Marie dem Werben des Offiziers Baron Desportes nach und geht mit ihm zur Kirmes. Der Ausflug wird in der Stadt publik und der Tratsch blüht. Da berät der Vater Marie und beide verfolgen nun gezielt sozialen Aufstieg. Doch Desportes ging es nur um lustvolle Unterhaltung und die Begleichung seiner Schulden. Gesellschaftliche Anerkennung, Geld und andere geschäftliche Motivationen geraten zu einem alle verschlingenden Strudel. Krieg. Der Handel und die Handlung bewegen seit jeher die Gesellschaft. Und, nun ist es der Handel mit „weißen Gewehren“ der gesellschaftlich legitimiert ist, handelt es sich doch um Werkzeug für „die Guten“. Doch Soldat ist Soldat und wird für das Töten besoldet. Spätestens hier wird klar, wie doch die Grenzen verschwimmen, stets unhaltbar, bestenfalls zeitweilige Übereinkunft  sind. Auch Europa ist nicht gefeit davor in Flammen aufzugehen. Im Hintergrund umrissen einfallsreich weiße Skizzen den Spielraum (kunstvoll Wolf Romberg). Doch zu Beginn herrschte Partylaune auf der Bühne des i-camp bei der Verlobung von Marie und Stolzius. Ein hübsches Pärchen, die Naivität und die Gutgläubigkeit, sie zierten sich noch ein wenig, ganz im christlich bürgerlichen Sinne. Eva Gottschaller verkörperte wirklich eine unbedarfte moderne Marie, die zwischen schwesterlichem Rat (eingebildet Lisa Wittener) und Schwärmerei hin- und hergeworfen war. Den „rechte Weg“, die passenden Worte auf dem Smartphone finden, beschäftigte sie überaus. Ihr Verlobter Stolzius wurde von Guido Verstegen als ein von Gefühlen gelenkter Träumer gespielt. Gutgläubigkeit drückte sich in ausdruckstarker Mimik und Gestik aus, während die Artikulation deutlich zurückgenommen wirkte. So war es für Desportes (taktierend Johannes Bauer) nicht allzu schwierig seine persönlichen Ziele in den Mittelpunkt zu rücken. Ulf-Jürgen Wagner bot als umsichtig besorgter Vater Wesener, ganz im Sinne von „gut gemeint“, seiner Marie Rat. Doch spätestens seit Brecht wissen wir um die Wirkung die dieser Haltung folgt. Und so kam es auch. Ganz anders Doris Gruner, die erst als Mutter und Mitmacherin unauffällig und nur in gepflegtem Aussehen auffällig, sich in der Haltung „Huch, ich muss Konsequenzen tragen?!?“ echauffierte. Konsequent gelassen hielt Stefan Voglhuber als Militärpfarrer seine klare Aussage für begründete Wahrheit. Und die Gräfin (Karina Pele) und die Obristin (Marget Flach) gaben wendig die als mittlere Führungschargen Bekannten, die einem Vernunftbild folgen und dieses als Vorgabe von Rechtschaffenheit nutzen. Den Kumpel in all dem Krieg gab stets unaufgeregt präsent Christina Matschoss. Niko Hatjilaskaris spielte zurückhaltend einen aufrechten Soldaten, wissend um die menschlichen Schwächen und doch in angemessenem klassischem Rahmen agierend, hielt er schließlich um Maries Hand an. Anders als in der Originalfassung endete die Aufführung wieder in einer Party und eine „neue Runde“ wurde mit Sektgläsern angestoßen. Maximilian Sachsse gelang ein schillernder Reigen realistischer Figuren, jede in einem eigenen Kosmos, ganz wie es auch die „schwarzen Pausen“ verdeutlichten.

 

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Niko Hatjilaskaris, Eva Gottschaller, Ulf-Jürgen Wagner, Doris Gruner, Lisa Wittemer

© Engelbert Jost


Insgesamt ein aktuelles Schauspiel, umgesetzt in den Themen Kraft und Gewalt, Druck durch Kriegsangst, Aggression der Verzweiflung und die glorifizierende Hysterie um das Geld –„Hinter jedem Krieg standen und stehen überwiegend wirtschaftliche Interessen; der Kriegszustand diente und dient einzig dem Streben nach Profit.“ (Programmheft) Das ist der monotone Takt der agierenden sogenannten Vernunft. Oder war es der Takt einer MP? Laut tönte er aus den schwarzen Lautsprechern.
Es irritierte, schmerzte und doch hielten die Schauspieler ebenso wie die Zuschauer aus. Längst war und ist in der Gesellschaft eine Schmerzgrenze überschritten und doch dienen „Die Soldaten“ weiter in einem Gefolgschaft als unabdingbare Grundregel fordernden System. Jedem System wurde und wird eine Ideologie, ein Denkmuster als scheinbare Wahrheit zugrunde gelegt, welcher zu folgen als Handlung aus Vernunft propagiert wird. Als ginge es tatsächlich um „Höheres“ als das nackte Überleben. Entziehe sich wer kann …
Doch was, wenn nun noch ein digitales System die Leitung übernommen hat und unsichtbar die Fäden zieht? Die Frage um die Mündigkeit des Einzelnen nahm immer wieder neue Formen an und ist doch immer noch eine Frage. Die Antwort findet sich in der Erkenntnis, dass die Aufklärung als gescheitert angesehen werden kann. Unmündigkeit, Gläubigkeit, Meinungen und Ressentiments  beherrschen die Gesellschaften, finden in allen Medien Verbreitung und Bestätigung. Und nun?

Aus der gelungenen Inszenierung von Maximilian Sachsse konnte eine weitere Antwort mitgenommen werden. Der naturgemäße Opportunismus siegt zu jeder Zeit. Das Recht des Stärkeren, des Listigeren, des Skrupellosen setzt sich durch - Arrangements inbegriffen. Allein die Bewusstwerdung dieser Vorgänge vermag den tatsächlichen Schritt vom Rudeltier zum Menschen im klassischen Weltbild anzustoßen. Wer ist bereit dazu und wohin drängt der Sturm in dieser Zeit?

 

C.M.Meier

 

 
 

Die Soldaten

nach Jakob Michael Reinhold Lenz
In der Fassung von Maximilian Sachsse

Johannes Bauer, Marget Flach, Eva Gottschaller, Doris Gruner, Niko Hatjilaskaris, Christina Matschoss, Karina Pele, Gudrun Skupin, Guido Verstegen, Stefan Voglhuber, Ulf-Jürgen Wagner, Lisa Wittemer


Regie: Maximilian Sachsse

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