Zentraltheater  Angst essen Seele auf nach Rainer Werner Fassbinder


 

Auf den Punkt gebracht

„Angst essen Seele auf.“, das arabische Sprichwort wird in deutscher Sprache vor allem mit dem Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974 verbunden. Der Titel steht wie kaum ein anderer für die Auseinandersetzung zweier unterschiedlicher Kulturen und die Suche nach dem kleinen persönlichen Glück. Mit einfachen Mitteln erzählt er die Geschichte von Emmi und Ali, die sich in einem, hauptsächlich von Ausländern besuchten Lokal in München begegnen, in welchem Emmi vor dem Regen Zuflucht sucht. Die Beiden tanzen miteinander, unterhalten sich und ihre Einsamkeiten kommen sich näher. Schließlich heiraten Emmi und Ali, praktizieren ein beglückendes Miteinander, respektvoll, fleißig arbeitend.

Emmi: „… kaufen wir uns ein Stück Himmel?“
Ali: „Warum Himmel?“
Emmi: „War nur so eine Idee.“

Und wären da nicht die Nachbarn, die erwachsenen Kinder der 60jährigen Emmi, die Arbeitskolleginnen und auch die Freunde des zwanzig Jahre jüngeren Ali im Lokal, so wäre ihr Dasein ein nicht enden wollendes Happy End mit dem Vollmond über der Bühne. Doch dem stehen die landläufigen Vorbehalte und Vorurteile im Weg, die bauen Hürden und Fallgruben, verlegen Stricke. In diesem Dickicht suchten die Darsteller Sarah Camp als warmherzige Emmi und Michele Cuciuffo als gefühlsoffener Ali ihren Weg. Gemeinsam ebenso wie jeder für sich, und mit klarer Präsenz bei der Sache, im Spiel. Schnippisch selbstbewusst setzte Kathrin von Steinburg (in Mehrfachbesetzung) landläufig bekannte Sätze in den Raum, abgenutzte und somit sich selbst rechtfertigende Urteile. Peter Rappenglück als männliches Pendant vervollständigte das Geschehen, in bayrisch bodenständiger Manier. Wenn das nicht Heimatkomödie ist, wie bereits mit der Einstandshymne angespielt. Und wären da nicht geschäftlicher Pragmatismus, Hilfsbereitschaft, verdeckter Eigennutz und Sturheit, so wäre das Dasein ein selbstloses Einheitsspektakel. Denn, von der Fülle, den Differenzen überfordert, suchen wir ständig nach neuen Auswegen und sind auf der Flucht vor der Angst des eigenen Versagens. Was einer über Griesgrämigkeit auslebt, drückt der andere durch Zockerfrust aus. Sind sie wahrlich so weit von einander entfernt, die beiden Männer aus den unterschiedlichen Kulturen?

Mit minimalen Requisiten öffnete Josef Rödl maximale Räume. Im klassischen Stil konzentriert auf die Figuren gelang optimale Fokusierung auf das Wesentliche, das materiell lediglich die gelegentliche Tasse Kaffee, die verbindende ergänzte. Der uralte Prozess, das Teilen von Nahrung stand als Zeichen. Weltoffenheit bedeutet auch einander zuzuhören, von einander zu lernen. Darüber hinaus entstehen Vorbehalte. Alle sind wir ihnen schon begegnet, den Klischees, den Mustern die „die Welt“ bedeuten. Doch wenn es gelingt über die Schwächen, die eigenen und die der anderen zu lächeln, zu lachen, so wie in dieser Aufführung, dann ist das Tor für Katharsis geöffnet.

Regisseur Josef Rödl zeichnete mit der Inszenierung fein subtile Bilder von durchdringender Kraft. Wie aus aller Zeit gefallen und damit eindeutig zeitlos gültig, holte er die Muster der Wesen aus ihren Rollen, um sie ins Rampenlicht zu stellen, nachvollziehbar, erfahrbar. Das Feine und das scheinbar Grobe ergänzten einander sinnfällig, und das Herz freizulegen, hautnah wie Christina Baumer als zeitgenössische Wirtin, war die eine unübersehbare Botschaft von/für Stärke, während die andere durchaus modern „Ich bin so“ lautete. Darüber hinaus brachte das bravuröse künstlerische Zusammenwirken Aller ein in sich ausgewogenes stimmiges Ergebnis, Erlebnis hervor. Applaus, wohlverdienter begeisterter Applaus.

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Michele Cuciuffo, Sarah Camp

© Hannah Klaes

 

„Angst essen Seele auf.“ Der Titel spricht den unterdrückten, tabuisierten Vorgang im Leben aus. Die Angst, sie lauert überall, in allem, in allen. Allein die aus ihrer Unterdrückung, Verwandlung gewonnene Kraft treibt das Lebendige voran. Die Angst vor den Widrigkeiten des Lebens gehört zu den Urängsten, die, gelingt es ihr sich auszubreiten, den Tod befördert. Es ist die Kraft die nach Nahrung suchen lässt, die andere als Konkurrenten angreift und bisweilen sogar tötet, die alles andere sich aneignet, unterordnen lässt. Und am Ende lodert das Feuer, brennt, verbrennt das Lebendige wie die Sonne, die sich selbst verbrennt und schließlich letztendlich kollabiert. Die Vorgänge ähneln sich, sind Spiegelungen im kleinen wie im großen.

Als Brennstoffe sind auf der materiellen Ebene die Nahrungsmittel zu nennen, auf der geistigen Ebene die Ideologien und auf der emotionalen Ebene das brodelnde Wasser der Gefühle in den Körpern (die zu 70% aus der Verbindung bestehen). Von Essen und übernommenen Glaubenssätzen geprägt, kocht das Wesen vor sich hin. Bis es sich selbst zum Scheitern bringt, oder zum Scheitern verurteilt wird durch die Verurteilung von anderen, verletzlich wird, aufgibt. Das Feuer ist „neutral“, allein die Färbung durch die Emotionen bestimmt den Lauf der Dinge, gesteuert von den Glaubenssätzen die sie verkörpert. Ob Religion, kulturelle Tradition oder wissenschaftlich begründete Verhaltensanleitungen, Mensch folgt dieser Prägung. Die Vermischung scheinbar kontroverser Kultur- und Glaubenssätze liegt tiefer als „man“ glauben machen möchte.

Die Aktualität des Stückes führt die Angst vor, die heute über die Betonung, Bedruckung, Vernetzung von Themen breit, ja geradezu überbreit gemacht wird. Die Gewichtung liegt auf der Angst, kaum auf der Suche nach der nächsten, das Problem überbrückenden, oder gar eliminierenden Lösung. Selbst eine scheinbar kurzfristige Lösung kann zu völlig neuen Ergebnissen führen, doch auch die Angst vor Veränderung per se ist überproportional. Die Seelen fühlen sich den Stürmen ausgeliefert, sind es. Bisweilen gelingt ihnen ein kurzes Lächeln. „Erklär mir, was dich bewegt.“, ein Hauptsatz.

Seit Jahrtausenden bringen Geschichten den Menschen voran. Die Mythen, die Romane, die Filmstorys. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts brachen die Künstler und viele Menschen auf, die Gerüste der Glaubenslehren zu hinterfragen, zu demontieren. Gedankenfreiheit und Lebensfreiraum, Freiheit war ihr Ziel. Vieles hat sich seitdem bewegt, aufgelöst, und doch bleiben Themen wie Gewohnheitsmuster auch heute noch aktuell. Rainer Werner Fassbinder suchte seinen Weg, die Triebe, Wünsche und Träume in der nach weiterer Erkenntnis und Freiheit strebenden Gesellschaft umzusetzen. Wir sind immer noch auf dem Weg …

C.M.Meier

 

 


Angst essen Seele auf

nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder

Mit: Michele Cuciuffo, Sarah Camp, Kathrin von Steinburg, Peter Rappenglück, Christina Baumer, Bürgerchor Integra

Regie: Josef Rödl
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