i-camp Heiratsmarkt von Holger Dreissig
Das Märchen von der Hochzeit
... nicht zu verwechseln mit einer Märchenhochzeit. „Willst du Mandy ... Sandy ... Candy ... Andy ... bis dass der Tod euch scheidet?“ Und an dieser Stelle müsste es korrekter Weise heißen: “der wirkliche und/oder der reale Tod?“ War es in den letzten Jahrhunderten zumeist der reale Tod, der Verbindungen ein Ende setze, so ist es mittlerweile verstärkt der wirkliche Tod - der Tod der Beziehung, der die Sense schwingt. Doch so genau will man es zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht wissen, denn bereits vor dieser Stelle bahnt sich das umfassende Geschäft mit der Ehe an. Das Standesamt, die Kirche und weitere Industriezweige zücken Anmeldungen, Formulare, Bedingungen, Quittungsblöcke und der Gutwillige wird auf dem Weg zur öffentlich anerkannten Zweisamkeit vorgeführt. Und je öfter die Institutionen von einzelnen in Anspruch genommen werden, umso größer der gefühlte Umsatz und damit der Wachstumsbeitrag und der Verbrauch, also die in der Konsumgesellschaft wichtigsten Faktoren. Die Bescheinigungen und Urkunden sind hinreichend mit Stempeln, Unterschriften und Kleingedrucktem versehen, sodass auch dem Verwaltungswahn Genüge getan wird. Herz, was willst du mehr?!
Das Geschäft mit den Träumen und der Eitelkeit ist in einer Welt weitgehend abgedeckter Grundbedürfnisse immer noch eines der effizientesten. Blickt man sich um, so erkennt man unschwer wie dieses gedeiht und die absonderlichsten Blüten treibt. Vom Self-Marketing auf einer Speed-Date-Plattform in Internet, über diverse Schönheitsoperationen, bonzengemäße Gefährte, tüllige Tussenhüllen und unerfüllbare Gourmetwünsche reicht das Traumbeförderungsbusiness. „Blumen mit Schleifen.“ ... „Blumen mit Schleifen.“ Der hoffnungsvollste und mit Euphorie erfüllteste Augenblick im Leben eines Menschen ist jener, an dem er sich entschließt ein amtliches Bekenntnis abzulegen – eine Märchen-Hochzeit zu veranstalten. Und um eine solche Märchenhochzeit drehten sich die drei, wiederholten und erweiterten Szenen der Verwaltungsperformance – am Morgen, am Mittag und am Abend.
In diese geordnete und berechenbare Ebene wurden Drachen, Glücksbringer, eingeladen, gilt es doch Heldentum zuzulassen und Mystisches anzubeten. Diese Faktoren sind auch unsichtbare Beweggründe der Geschlechter im Tanz um die Vereinigung und entziehen sich als Urtriebe weitgehend der Verwaltbarkeit. Der Drache, als großes starkes und unbesiegbar scheinendes Fabeltier, beherrscht das diesjährige Chinesische Horoskop und die Fantasy-Literatur der westlichen Hemisphäre. Er ist also in den verschiedensten Formen global aktiv. Und Siegfried steht mit dem Schwert bereit. Doch das Bad im Blut des Drachen wird auch Siegfried nicht helfen. Finden sich doch immer eine Schwachstelle und einer, der meuchelt.
Holger Dreissig, Muriel Aichberger, Lilian Müller (Braut) Ben Lange, Eyreen Prochnow © Lisa Miletic |
Ja, und dann war in der Aufführung da noch die offensichtlich dargestellte Ebene der Hochzeitsvorbereitungen, der kritische Blick in den Spiegel am Morgen des folgenschweren Tages, das Aufräumen der zuvor probierten und als unpassend empfundenen Schuhe und der Tanz mit dem Maßband um Gleichschritt und Gleichmaß zu finden. Ja, und mit dem "Gleich" ist auch gleich der Kern des Pudels angesprochen. Die Auflösung der in einer Kultur entwickelten Menschenbilder und Geschlechterrollen führte zu einem hohen Maß an marketinggerechter Individualität, dem kleinsten gemeinsamen Nenner als universellen Richtwert. Und dieser wiederum befördert durch die Anpassung an die den Alltag dominierenden technischen Denkweisen, Mechanismen und Umgebungen die Übertragung technischer Vorgänge auf die willigen, ihn umgebenden Organismen. Da könnte doch tatsächlich ein grandioser Evolutionssprung gelungen sein. Denn ein Kleid macht noch lange keine Frau, ein Sakko keinen Mann und die übernommenen traditionellen Rituale verkommen zur Farce. Die zur Feier in wohlfeiler bürgerlicher Art gekleideten Darsteller übten sich in Small-Talk - „Ich denke nicht“ ... „Du denkst nicht ...“ - Aufregung und großen Gesten, während die Braut auf Ernst wartete. Ernst, der ihr Verbraucher war und der ihr Rosenblätter über das Haupt streute. Sowohl der Text, als auch die kunstvolle Ausgestaltung der Szenen durch Holger Dreissig stellten immer mindestens zwei Ebenen vor und ermöglichten unterschiedliche Wahrnehmung. Die in Ankündigung und Programm ausgeführte Geschichte um den Heiratsmarkt, die Suche nach Liebe und Beziehung und finanzielle Polster konnte ebenso lückenlos auf die allgemeine gesellschaftliche Situation übertragen werden. Es wurde ein Kunstakt außergewöhnlicher Dimension vorgebracht – unterhaltsam, kurzweilig, vielgründig. Das Ensemble glänzte durch adäquaten Spielgestus und geschlossene Darstellung. Und selbst die inszenierte Länge der letzten Szene verlor in keinem Augenblick die angebrachte Spannung.
Der Abend beinhaltete die Verwaltungsperformance um einen Markt, dem die 21. Stunde geschlagen hat. „Das kann nur schiefgehen“, könnte man erfahrungsgemäß krisengeschüttelt feststellen. Und so waren es letztlich auch der Teufel und der Tod, welche in aufwändigen weißen spitzenbesetzten Brautkleidern und ausdruckstarken Masken auf der Bühne standen. Zu barocken Klängen wiegten sich die geschwätzige und die abgründige Figur in zur Schau gestellter Hoffnung und Unschuld. Wenn das nicht ... das Märchen von einer Hochzeit vorführte und die Performance schon allein für dieses Bild den begeisterten Applaus verdiente.
C.M.Meier
Heiratsmarkt
von Holger Dreissig
Muriel Aichberger, Holger Dreissig, Ben Lange, Lilian Müller, Eyreen Prochnow Regie, Texte, Bühne, Kostüm: Holger Dreissig |