Stadtrauminstallation Niemandsland von Dries Verhoeven


 

 

Niemand und Jemand

Ein Gesteinsbrocken fliegt durch das All – ein Niemandsland, auf dem sich Leben und eine Spezies entwickelte, die täglich den Versuch von Besitzergreifung und Selbstbestätigung unternimmt, vergeblich. Ein wenig Halt finden sie in der Verbundenheit zur Erde, aus der die Nahrung bezogen wird. Heimat nennen sie diesen Ort. Sie bauen Mauern darum, bewehren sich, verteidigen ihn, töten und sterben dafür. Sie unternehmen alles, um zu sichern, was doch nie sicher ist. Sie sind selbst tatsächlich auch nur geduldeter Gast für wenige Augenblicke im Raum.

Dries Verhoeven, der 1976 in den Niederlanden geborene und unabhängige Theatermacher, realisiert seine Projekte in ganz Europa. Im Raum zwischen Bildender Kunst und Theater entfaltet er seine Ideen, konfrontiert er. Zahlreiche Auszeichnungen wie der Charlotte-Köhler-Preis, der Wim-Bary-Perspektiev-Preis und der Young-Directors-Award bestätigen sein künstlerisches Schaffen. In der Stadtrauminstallation „Niemandsland“ setzt er sich mit dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Kulturkreise auseinander. Einzelne Schicksale aus der Masse heraus zu filtern und an diesen Beispielen die unausweichliche Verbundenheit sichtbar zu machen, Niemand als Jemand erkennen zu lassen, gelang mit der Installation stilvoll überzeugend, unspektakulär. Aktuell werden unzählige Debatten geführt, auf unterschiedlichstem Niveau, polarisieren, und überstimmen durch Massenspektakel immer die Unsicherheit, Angst und die Hoffnung des Einzelnen auf ein wenig Glück.

Der Stadtrundgang begann am Münchner Hauptbahnhof, einem Punkt für das Eintreffen in der Stadt. Hektisches Getriebe, Alltag. Mit Kopfhörern und I-Pod wartete jeder Erlebniswillige, mit einem Namensschild in den Händen, auf seinen Begleiter. Es folgten Augenblicke in denen man Publikum und Akteur zugleich war. Publikum für die Installation, Akteur für die zahlreichen Passanten. Neugier, Ignoranz, Interesse, Erkennen wechselten im Sekundentakt. Bravouröser kann eine Einstimmung auf die vielfältigen folgenden Eindrücke nicht sein. Nach und nach gaben sich die Führer zu erkennen und eine Spielsituation entstand, Theater. Es folgte der persönliche Weg in die Stadt, begleitet von der Stimme von Susanne Wolff  bzw. Sebastian Schwarz, erfuhr man von einem möglichen Alltag in der Gegenwart und einem möglichen Auslöser für das Verlassen des angestammten Kulturkreises. „ Ich könnte ... Ich kann ... Du könntest ... Du hörst ... Ich könnte ... Ich sah ...“ erzählten die Kopfhörer. Klischees ebenso, wie einfache, allen Menschen gleichermaßen eigene, Handlungen zeigten Verbindendes als die scheinbaren Gegensätze der Kulturen. „.... Dirndl oder Burka ... folkloristische Verkleidung ...“ Nun denn, ganz so einfach werden sich die Weltsichten nicht reduzieren lassen, als reine äußere Erscheinung. Aber es bildete immerhin einen Versuch. Immer wieder unterbrach stumme Kontaktaufnahme die Verbindung zwischen dem Vorangehenden und dem Folgenden - Respekt, Höflichkeit, Interesse, Entgegenkommen. Alle Laien-Guides zeichnete etwas wie Präsenz und professionelle Unaufdringlichkeit aus, sichtbare Regie. Am Ende – ein weißer Raum – und die Erfahrung, wie sich Niemandsland anfühlt, oder die Prozessumkehr.

„Niemand ist eine Insel.“, schrieb der englische Dichter John Donne. „Jeder ist eine Insel.“, sage ich, da Jeder in seinem persönlichen Universum der Eindrücke, Gedanken und Erfahrungen lebt. Alle Bemühungen von Verständnis und Mitgefühl enden in den verbindenden Bruchstücken von ähnlichen Erlebnissen. Wo diese fehlen, wird der unzulängliche Versuch einer intellektuellen Überbrückung vorgenommen. In die Rolle schlüpfen, in den Fußspuren des anderen folgen, ist eine andere Brücke. Eine weitere findet in den Aufnahmeverfahren für Asylanten statt, in denen sich immer die Kluft zwischen den Lebensbildern auftut. Was die Menschen wirklich verbindet, sind die gemeinschaftlichen Aktivitäten wie Geselligkeit beim Essen, Tanzen und alle schaffenden Tätigkeiten. Was die Menschen ebenso verbindet, sind die Verletzungen durch gemeinsam erfahrene Greueltaten. Der Versuch durch ideologische Gleichschaltung dem Gefühl der Einsamkeit auf der persönlichen Insel entkommen zu können, also in einer Masse Geborgenheit zu finden, scheitert immer in der Pervertierung. Die Geschichte und die Gegenwart sind voll der Bilder solchen Wahns.

Die Stadtrauminstallation von Dries Verhoeven ist Theater in der Realität, ist der Versuch in den Fußspuren eines anderen Menschen zu wandeln, seine Geschichte zu erfahren und mit ihm sinnliche Genüsse, wie eine Frucht zu teilen. Fremde, die Ahnen, immer wieder folgen wir Spuren. Dies erweitert den emotionalen und geistigen Horizont. Ein Vorgang, den wir Leben nennen. Ein Vorgang, durch den eine Stadt, der man sich, mehr oder weniger, verbunden fühlt, in neuem Licht erscheinen kann. Der Mond und die von der Abendsonne beschienenen rosa Wolken bildeten eine verbindende bezaubernde Kulisse. Gehen Sie die erlebenswerte Installation, sehen Sie ... mehr ... anders

 

C.M.Meier

 

 


Niemandsland

Eine Theaterrauminstallation von Dries Verhoeven


Abdulsamet Yaman, Aida Heinemann, Ali Khoshkhabar Khamene, Ally Salum Ally, Celer Dogan, Eliane Ango, Ferdaus Wahdan, Fifamè Awunou, Hadi Tehrani, Imtithal Harders, Ioanna Okundigie, Laye Mansa, Makbule Kurnaz, Mirdamad Bosorgsade, Nasrin Ghasemzadeh, Paul Ignace Badji, Reshad Ozkan, Saleh Hassan Faris, Sanaz Eslami, Scherief Ukkeh, Sedgi Al-Saadi, Soheila Hadipour
Stimmen: Sebastian Schwarz, Susanne Wolff

Konzept/Regie: Dries Verhoeven