Kammerspiele Neues Haus  Yung Faust nach Johann Wolfgang von Goethe


 

Faust gefiltert

Leonie Böhm, Jahrgang 1982, ist studierte Bildende Künstlerin. 2011 wechselte sie zur Schauspielregie und wartete bereits während ihres Studiums an der Theaterakademie der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg mit beachtlichen Arbeiten auf. Heute versteht sie sich selbst als Regisseurin, Performerin und Bildende Künstlerin. Gemeinsam mit den Darstellern Annette Paulmann, Julia Riedler und Benjamin Radjaipour hat sie sich daran gemacht, Goethes Faust auf seinen emotionalen Gehalt zu untersuchen. Nun steht das Werk „Faust“ (I und II) weniger für Gefühlstheater, als vielmehr für Weltanschauungstheater, doch wer will es der Jugend schon verargen, ein so großes Werk auch auf andere Substanzen hin auszuloten. Die Sehnsucht Fausts nach einem weiblichen Pendant ist immerhin unbestritten und wo Liebe im Spiel ist, sind auch Gefühle dabei. Allein, bei Faust bleibt es ungestillte Sehnsucht.

Faust, aller Wissenschaften überdrüssig, denn sie konnten ihm nicht vermitteln, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, sucht neue Wege, seinen unbändigen Forschergeist und seinen Lebensdrang zu befriedigen. In tiefster Verzweiflung fasst er sogar einen Suizid ins Auge. Das ist das Stichwort für Mephistopheles, der eines der beiden dualistischen Prinzipien des Daseins repräsentiert. „Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / Ist wert, dass es zugrunde geht; / Drum besser wär´s, dass nichts entstünde. / So ist denn alles, was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element.“ Immerhin verspricht er Faust, ihm sämtliche Genüsse zu bereiten, die Himmel und Erde vorhalten. Faust ist willens, seine Seele zu geben, sollte er letzte Befriedigung finden. Der Deal lautet: „Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, / So sei es gleich um mich getan! / Kannst du mich schmeichelnd je belügen, / Dass ich mir selbst gefallen mag, / Kannst du mich mit Genuss betrügen - / Das sei für mich der letzte Tag! / Die Wette biet ich!“

Und los ging es, nachdem sich Julia Riedler zögerlich vor den Vorhang getraut hatte und ihr Begehren vortrug. Sie war Faust, doch nur der Faust, der seine emotionale Sehnsucht zu stillen suchte. Gesucht wurde ein Mensch, der ihre Gefühle bemerkte, lesen konnte, erwiderte. Erster Ansprechpartner war das Publikum. Im Publikum war Benjamin Radjaipour und der Funke sprang über. Allerdings auch auf den einen oder anderen Zuschauer, der in das improvisiert wirkende Spiel einbezogen wurde. Die beiden Darsteller kehrten zurück vor den Vorhang und beschlossen, das Spiel zu beginnen. Vorhang auf und weiter ging es auf der etwas steril wirkenden Bühne von Sören Gerhardt. Ein weißer, brusthoher Springbrunnen, einige zweidimensionale, den Raum strukturierende Stellelemente und ein großer Prospekt mit einer sattgrünen Topfpflanze in horizontaler Lage, der den Hintergrund bildete. Das Leben wurde ausgekostet, vornehmlich verbal unter Verwendung der wunderbaren und starken Texte Goethes. Rausch wurde als Wasserschlacht dargestellt und als die Bühne hinreichend geflutet war, ließ es sich darauf auch gut Bodysurfen. Ein roter Faden war nicht auszumachen, vielmehr wurde ein Bilderreigen aufgefächert, in dem emotionale Fundstücke aus Goethes „Faust“ in Spiel umgesetzt wurden, in ekstatisches, aber auch zurückhaltendes zärtliches oder erotisches.

  Yung Faust  
 

Julia Riedler

© Julian Baumann

 

Doch in Goethes „Faust“ steckt auch Verrat, Kindsmord und Hinrichtung. „(..), mir graut vor dir“, konnte man vernehmen und Textkenner wussten, um die Szene. Die Gretchenfrage wird gestellt, allein das „Wie hältst du es mit der Religion, Heinrich?“ wurde nicht ausgesprochen, wie vieles auf die Handlung verweisendes. Damit blieb Konkretheit in Bezug auf die Geschichte aus. Doch darum ging es auch nicht, wie ein Statement auf der Vorderseite des Programmheftes propagierte: „Gefühl ist alles“. Das ist allemal eine gewagte These! Den Gefühlen, die aufgespürt wurden im Text und auch in der Geschichte wurden mit großem körperlichem Einsatz Ausdruck verliehen. Dabei muss angemerkt werden, dass Bewegungs- und auch Sprachelemente und Codes einer Jugendkultur verwendet wurden, für deren Verständnis einiges Wissen oder Kenntnisse vorausgesetzt werden.

So findet sich das Wort „Yung“ nur in einem noch nicht kanonisierten Urbandictionary. Eine Bedeutung des Wortes ist adjektivisch und heißt so viel wie „dumm oder cool“. In diesem Zusammenhang bezieht es sich aber auf die Funktion als Namenszusatz. Man findet ihn bei Cloudrappern Yung Hurn oder Yung Lean. (Cloud Rap ist eine Spielart des Hip-Hop, der geprägt ist von sphärischen Synthesizer-Klängen und dem Einsatz von Auto Tune.) Im Zusammenhang mit „Yung Faust“ werden allerdings eine unbedingte Jugendlichkeit und ein entsprechendes Herangehen definiert.

Die einstündige Vorstellung, die vom Live-Musiker Johannes Rieder auf bisweilen sehr witzige Weise gesanglich und an Drums und Keyboards begleitet wurde, war, wie bereits erwähnt, geprägt von körperbetontem Spiel, bei dem Annette Paulmann (in der Premiere) kleinlaut gestand, dass sie dafür eigentlich zu alt sei (Originaltext oder Verzweiflung?) Zur Verbeugung humpelte sie denn auch auf die Bühne. Unbestritten hatte die Performance einen großen Unterhaltungswert, wobei angemerkt werden muss, dass die wunderbaren Verse in Goethescher Kunstsprache allen modernen Konfrontationen, sei es Musik, Kostüme (Mascha Mihoa Bischoff) oder an Kung-Fu oder verwandten asiatischen Kampfsportarten ähnelnden Bewegungsabläufen unerschütterlich standhielten.

Die Macher bezeichneten ihr Vorhaben als „frischen Zugriff auf die Welt und die Beziehungen“ im „alten Faust-Text“. Sie wollten „den allzu viel gesprochenen Sätzen des mächtigen alten weißen Mannes (Goethe) eine verletzliche Unmittelbarkeit abgewinnen“. Das ist ihnen ganz sicher gelungen und der Unterhaltungswert war ebenso unbestritten. Allerdings stellt sich die Frage, ob es nicht allzu gewagt ist, das vielleicht bedeutendste deutschsprachige literarische Werk herzunehmen, Goethe hat immerhin sechzig Jahre daran gearbeitet, um emotionale Marginalien herauszufiltern, sie in einem unterhaltsamen Potpourri darzubieten, und die letzte große Botschaft des Dramas abzuändern in die Bekundung, emotional nie zu erstarren oder zu verstummen. Das mag dem Lebensgefühl der Generation zwanzig plus entsprechen, doch Goethes Botschaft ist da weitreichender. „Das ist der Weisheit letzter Schluss: / Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, / der täglich sie erobern muss!“ In Zeiten von „Fack ju Göhte“ sollte man das allerdings nicht allzu ernst nehmen.

Nein, es war wohl nicht zu gewagt, denn das vornehmlich junge Publikum feierte die Inszenierung frenetisch. Und das macht man bekanntlich nur, wenn man überzeugt und ergriffen ist von der intellektuellen und künstlerischen Leistung aller Beteiligten. Und wer aus dem Alter heraus ist, in dem Beziehungen, Liebe, Sex, Rausch etc. nicht mehr die vorrangige Bedeutung hat, und vermutlich kommt beinahe jeder irgendwann einmal dahin, dem bleibt ja immer noch das ganze Werk, auf Papier gedruckt und in Buchdeckeln eingebunden. Also, keine Panik!

Wolf Banitzki

 


Yung Faust

nach Johann Wolfgang von Goethe

Mit: Annette Paulmann, Benjamin Radjaipour, Julia Riedler

Inszenierung: Leonie Böhm