Neues Haus RÄUME RÄUMEN von Peter Licht


 

 

 
Theater bewegt Menschen

Peter Licht, Schöpfer der "Lieder vom Ende des Kapitalismus", bewegte an diesem Abend Menschen und Möbel. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Zu Beginn empfingen die Schauspieler das Publikum an den Türen des Neuen Hauses. Da es keine Sitzplätze gab, gruppierte man sich um einzelne Schauspieler, wohl künstlerische Multiplikatoren, denn alle sprachen überwiegend den selben Text. Von Geld war die Rede, von Geld das man hatte und nicht hatte und darin schwamm, auch in den Schulden, die ja auch Geld bedeuten. Doch nun war man auf der Habenseite und im Besitz einer Wohnung, eines Sofas, auf dem man sich eingerichtete hatte, leicht schräg. Doch dann stellte man fest, dass das Sofa eigentlich nicht das war, was es vorgab zu sein. Und eigentlich war es gar nicht da. Schließlich gab es eine Erscheinung, die den Boden der Wohnung zerstörte, bis in den Keller hinein, und man begann die Räume zu räumen, rettete oder verschob Möbel, bis daraus ein Turm in den Himmel, oder weniger konkret nach "oben" wurde. Man verschwand dorthin und die Stimmen verrieten, dass es dort weiterging. Soweit die Geschichte. Zwischendrin gab es Musik, deren Texte ebenso metaphorisch waren wie die sichtbaren Vorgänge. Man wollte darin aufs Land gehen oder fragte sich, wie man in den neuen Tag kommt? Oder man war auf der Suche nach dem geraden Weg.

"Der Raum ist leer. An der Decke hängen viele Lampen. Und dann fangen sie an, den Raum vollzuräumen. Mit Möbeln. Mit Zeugs. Sie werden singen. Sie werden sprechen. Sie werden sich bewegen. Sie werden Ordnung schaffen, sie werden Ordnung verlieren. Sie werden weiter machen. Auch dann, wenn sie längst verschwunden sind, nach oben, ins Freie." So kündigten die Kammerspiele das Ereignis an, das unbestritten artifiziell war. Es war in seinen Inhalten so allgemein artifiziell, dass es innerlich nicht bewegte. Und weil es innerlich nicht bewegte, wurde der Zuschauer äußerlich bewegt.
 
Peter Licht ist eigentlich Musiker und Autor. Neuerdings (seit 2003) versucht er sich auch als Theatermacher. Mit "Räume Räumen" schuf er ein Werk, das so kryptisch ist, dass eine Vielzahl von Interpretationen zulässt. Im Umkehrschluss hieße es: "L'art pour l'art". Sicher würde man ihm damit Unrecht tun, denn schon mit dem CD-Titel "Lieder vom Ende des Kapitalismus" verrät er eine Weltsicht. Diesen Vorgang als einen mythischen zu verstehen, und so stellt sich Lichts gedanklicher Kosmos in "Räume Räumen" dar, grenzt an Mystik. Damit mag er sich im Geist der Zeit bewegen, denn heute entdeckt ja jedermann hinter jeder Erscheinung der Realität einen "Code, den es zu entschlüsseln gilt", doch er verbleibt damit im spätbürgerlichen Bilderwerk. Licht fällt auf die Romantik zurück.

Sein Werk erinnert mich an die Verfilmung Cesare Zavattinis "Das Wunder von Bamba" von Vittorio de Sica. Mit "Das Wunder von Mailand" schuf der große Regisseur des Neorealismus ein sehr konkretes antikapitalistisches Werk, das mit Peter Lichts Performance einen wesentlichen Fakt gemein hat. Am Ende entkommen die Bedrohten in den Himmel - oder nach oben ins Freie. Obgleich die Handlung bei de Sica eine märchenhafte war, entwickelte er eine sehr konkrete und überzeugende Kapitalismuskritik. De Sicas Weltanschauung war unübersehbar. Bei Licht fehlt diese weitestgehend. Gründe bleiben, wie bereits erwähnt, codiert. So stellt sich die Frage, ob Peter Licht, eine "Licht-Gestalt", wie auf seiner Website zu lesen ist, überhaupt ein grundsätzlich kritisches Verhältnis zum Kapitalismus hat. Möglicherweise versteht er sich auch nur als künstlerischer Kommentator des Untergangs.

Eines wird deutlich, liest man die Gedanken zum "Peter Licht Festival vom unsichtbaren Menschen": Er weiß es auch nicht recht. Der Text besteht zu zwei Drittel aus Fragen und zu einem Drittel aus vagen Vermutungen. So muss die Performance im Neuen Haus wohl als ein Versuch verstanden werden, das Publikum in das Suchen nach Antworten einzubeziehen. Zu Wort kam es jedoch nicht. Und es muss auch angemerkt werden, dass manchen Fragen unter diesen Umständen die Intelligenz des einen oder anderen Zuschauers beleidigten. Beispielsweise: "Gibt es einen individuellen Menschen? Oder ist Individualität ein Marketingtool?"

Übrigens, Schauspieler waren auch da. Allerdings, ihre Leistung zu bewerten entzieht sich dem Vermögen des Kritikers, denn der war sehr bewegt viel unterwegs, angetrieben von umherlichternden Verkündern oder Möbelpackern.

Misst man das Ereignis am Applaus des Premierenpublikums, war es ein Riesenerfolg für Peter Licht und die Kammerspiele. Eine Frage: Können viele Menschen zugleich irren oder ist das dem Einzelnen vorbehalten?
 

Wolf Banitzki

 

 

 


RÄUME RÄUMEN

von Peter Licht

Caroline Ebner, Franziska Machens, Sarah Meyer, René Dumont, Oliver Mallison, Andreas Albert Müller, Sophie Köster, Lenja Schultze, Olivia Cilgia Stutz, Nora Wahls, Markus Boniberger, Benjamin Holtschke, Benjamin Kempf, Tobias Schormann, Musiker: Peter Pichler, Martin Lickleder, Barbara Streidl

Regie: Peter Licht, S.E. Struck
Musikalischer Leiter: Peter Pichler