Werkraum Bauern Sterben von Franz Xaver Kroetz


 

 


Mehr Ärgernis als sinnstiftende Kunst

 

Schwer vorstellbar, dass dieses Thema aktuell sein könnte, und so richtig springt es einen auch nicht an. Schleichend hat sich die Industrialisierung der Landwirtschaft vollzogen und niemand schert sich darum. Hauptsache ist, die Nahrungsmittel sind billig. Und wer gehobenere Ansprüche an die Herstellung der Nahrung hat, der geht in einen der teuren Ökoläden, die Hochkonjunktur haben. Doch darum ging es Franz Xaver Kroetz in seinem 1985 an den Kammerspielen uraufgeführten Drama nicht. Ihm ging es um den Generationenkonflikt, den Wertewandel, die Urbanisierung des Lebensraums und um den daraus resultierenden Niedergang einer ganzen bäuerlichen Kultur. Der Bauer ist ein Mensch von ganz besonderer Prägung. Seine jahrhundertealte Verbundenheit zur Scholle hat ihn zum Teil derselben gemacht. Sie hat ihn ernährt und sie hat ihn beschützt. Wen wundert es da, dass er sich ungern von ihr trennt und wenn es auch nur auf dem Weg des Vererbens ist. Was aber, wenn die junge Generation ein anderes Leben leben möchte, eines ohne die immensen Zwänge des täglichen Hamsterrades.

 

André Jung gab im Werkraum der Münchner Kammerspiele einen solchen knorrigen Bauern, der kein Jota von seinem Besitzanspruch abwich. Nichts würde er hergeben, auch und vor allem den Fernseher nicht. Seine Frau, gespielt von Michael Tregor, nahm es gelassen. Sie hatte sich in das patriarchalische System eingefügt, dachte nicht einmal an Aufbegehren, und schaute, dass die Arbeit gerecht verteilt war, also vornehmlich auf die anderen. Zu kurz bei der Arbeit kamen die Tochter, eine in Sackleinen versunkene Marie Jung, und der Sohn, proper-ländlich gespielt von Thomas Schmauser, nicht. Sie ergriffen schließlich die Flucht vor der väterlichen Willkür und dem bäuerlichen Dasein. Die Stadt war dennoch kein Zuckerschlecken, auch wenn sie im Rohbau eines Appartements unterkamen. Der Traktor war gegen diesen Luxus eingetauscht worden. Jetzt hieß es arbeiten. Der Bruder arbeitete und büßte Finger ein. Schmerzhaft und blutig stellte sich das Ganze dar. Langsam aber sicher wurde die Stadt als feindlich ausgemacht.

 

Eine Menschin schickte sich an, den freiwilligen Feuertod zu sterben. Ursula Werner ließ in ihrer Abgeklärtheit keinen Zweifel daran. Und die Schwester? Sie begann, das Haus zu verlassen. Das war nicht, was der Bruder im Sinn hatte. Er wollte einen Mann erwählen, mit dem sie, in der sich Selbstbewusstsein regte, das Haus verlassen könnte. Doch dazu musste sie sauber sein. Eine Unsaubere nimmt niemand. Das hatte man auf dem Dorf gelernt. Und Jesus lächelte dazu. Lasse Myhr, mit Lendenschurz und Ährenkrone nur dürftig verhüllt, wandelte über den Köpfen der Darsteller und wunderte sich, bis auch er zu Bruch ging und verendete. Ein Bauer aus Kroatien fuhr nach zwei Jahren Gastarbeit in Deutschland in die Heimat, um seine Frau und seine Kinder zu töten, und um danach wieder nach Deutschland zurückzukehren. Im Wald machte sich ein Bauer im wahrsten Sinn des Wortes zum Affen, als er um seine Scholle kämpfte. Am Ende erfuhren die Zuschauer in einem Rückblick, warum sich die Menschin aus dem Leben verabschieden wird …

 
  Bauernsterb  
 

Marie Jung, Lasse Myhr, Thomas Schmauser

© Conny Mirbach

 

 

Es ist ein Stück aus archaischen Bildern, holzschnittartig und übermächtig. Neben Kroetz kommen Heiner Müller und Nicholas St. John zu Wort, was Sinn machte, angesichts des Damoklesschwertes, denn so stellte sich ihre Existenz dar, das über diesen Menschen schwebte. Allein, der Rahmen, den Armin Petras den existenzialistischen Szenen einräumte, war eng, zu eng. Dabei war es nicht einmal das labyrinthische Bühnenbild von Olaf Altmann aus Baurüstungen, das nur Ducken und Kriechen, oder Klettern und Hangeln zuließ, das die Vorgänge banalisierte. Es war das über weite Strecken laxe, unartifizielle, zum Teil private Spiel der Darsteller. Während Lasse Myhr sich allzu oft ein Lächeln des persönlichen Amüsements nicht erwehren konnte, gab Thomas Schmauser, der den tragenden Part im Stück hatte, dem Affen Zucker. Wie schon im „König Lear“ entstand der Eindruck, dass dieser wunderbare Darsteller an seiner Rolle verzweifelte. Es wurde hemmungslos mit dem Publikum kommuniziert; es wurde gekalauert, und vermutlich auch kräftig extemporiert. Dabei wurde nicht geblutet, sondern viel Blut verspritzt; es wurde nicht gelitten, sondern Leid wurde bloße Behauptung, obgleich sich exzessiv in Dreck und Blut gewälzt wurde.

 

Petras szenische Lösungen waren selbstgefällig und oberflächlich. Sie gerieten nur aus einem einzigen Grund nicht zum Desaster: weil die Darsteller in die Bresche gingen und die Zuschauer durch menschliche Nähe versöhnten. Schließlich, und das ist ein alter dramaturgischer Trick, gelangen es André Jung als Bauer aus Kroatien und Ursula Werner als Menschin mit großer Gelassenheit und erschütternder Intensität einen Schlussstein in ein bis dahin vom Einsturz gefährdeten Gebäude zu setzen.

 

Das durchaus übersichtliche und in sich schlüssige Konzept, wie im Programmheft in Form von Textauszügen abgedruckt war, kam in der Inszenierung kaum zum Tragen. Große, archaische Bilder vertragen eben keinen zappeligen Aktionismus. Die Fragen zur Ästhetik blieben jedenfalls unbeantwortet. Diese Ästhetik war von durchschlagender Wirkungslosigkeit, zumindest was die Botschaft des Stückes betraf. Dreckfresserei, wenn es Schauspieler machen müssen, erzeugt beim Publikum Mitleid mit den Schauspielern und nicht mit den Figuren, die sie darstellen. In diesem Sinn war der Abend mehr Ärgernis als sinnstiftende Kunst. Daran änderte auch die wunderbare Musik von Miles Perkin nichts.

 

 
 
Wolf Banitzki


 


Bauern Sterben

von Franz Xaver Kroetz

 

Marie Jung, André Jung, Lasse Myhr, Miles Perkin, Thomas Schmauser, Michael Tregor, Ursula Werner

Regie: Armin Petras