Werkraum Schnapsbudenbestien Folge 2 Etienne  Theaterserie nach Émile Zola


Die Schnapsbudenbestien proben den Aufstand

Der zweite Teil der vierteiligen Theaterserie „Schnapsbudenbestien“ nach Émile Zola ist inspiriert von dem Roman „Germinal“. Darin erzählt Zola die Geschichte eines Streiks in einer Fabrikgesellschaft. Matthias Günther führte im zweiten Teil den Untergang der Familie von Gervaise Macquart weiter voran. Der Sohn Etienne bewirbt sich in einer Fabrik der Gesellschaft, wo er den ehemaligen Preisboxer und Schmied Maheu wieder begegnet, der ihm einstmals eine Ausbildung verschafft hatte. Maheu, er bekleidet den Posten des Vorarbeiters, lebt inzwischen mit Virginie zusammen und hat mit ihr zwei Kinder, Johannes und Katharina. Die beiden sind ebenfalls in  der Fabrik beschäftigt. Virginie lässt sich und somit auch die Familie von einem Geschäftsinhaber namens Pierron aushalten, der die Hoffnung hegt, Katharina in sein Bett zu bekommen. Maheu, der über die Zustände, die Familie mit seiner Hände Arbeit nicht erhalten zu können, verzweifelt, verfällt zunehmend dem Alkohol.

Die Gesellschaft beutet ihre Angestellten gnadenlos aus und kürzt immer wieder willkürlich die Löhne. Der Lebensstandard ist erbärmlich und die Arbeiter können mit ihrem Lohn sich und ihre Familien nicht mehr ernähren. Etienne, der Dank der Fürsprache Maheus einen Job bekommen hat, begehrt auf und organisiert einen Streik. Als Maheu und Etienne, der sich inzwischen in Katharina verliebt hat, als Abgeordnete der Streikenden der Leitung der Fabrik gegenüberstehen, ist das Erstaunen groß, denn der Chef ist niemand anderes als der Parasit Lantier, Etiennes Vater. Lantier hält sich die junge Aubray als Mätresse. Seinen Hofstaat ergänzt der ehemalige Schnapsbudenbesitzer Souvarine. Lantier intrigiert eloquent und versucht die Arbeiterschaft zu spalten, in dem er dem Arbeiter Chaval Avancen macht und ihm einen Führungsposten in Aussicht stellt. Chaval unterhält ein recht ruppiges Liebesverhältnis zu Katharina. Als der Streik schließlich ein Todesopfer fordert, zerbricht die Familie Maheus. Der Streik scheitert und die Arbeiter müssen zu Kreuze kriechen, um die elende Arbeit nicht gänzlich zu verlieren. Lantier, der mit eiserner Hand die Interessen der Gesellschaft bestens vertreten hat, wird in die Leitung nach Paris berufen. Aubray bleibt nichts anderes übrig, als sich dem zurückbleibenden Souvarine an den Hals zu werfen.

Sina Barbra Gentsch hatte auch für diese „schnelle Theaterskizze“ die Bühne bereitet. Ein Podest, auf dem die Firmenleitung, also Lantier und Souvarine, nebst der jungen Aubray, an reich gedecktem Tisch residierten, stellte zugleich mit der unteren Ebene die Produktionsstätten vor. Die Decke des Podestes war so niedrig, dass die Darsteller nicht aufrecht stehen oder gehen konnten. Sie bewegen sich vornehmlich auf Schreibtischstühlen hin und her. Das Wort bedrückend, und die Verhältnisse, in denen die Arbeiter vegetieren mussten, verdienen dieses Attribut, bekam so einen physischen Ausdruck. Im Gegensatz zum ersten Teil, wurden in dieser Inszenierung die gesellschaftlichen Zusammenhänge deutlicher herausgestellt. Es wurde eine Kapitalismuskritik formuliert, die allerdings nur grob umrissen artikuliert wurde. Es war die Zeit des beginnenden Klassenkampfes, also einer Zeit, als die Konflikte noch nicht die heutige Komplexität und Undurchschaubarkeit besaßen. Dennoch waren die Parallelen zu heute zwingend, denn der Charakter der Gesellschaft hat sich seither nicht verändert, nur ihr Erscheinungsbild.

Im Gegensatz zum ersten Teil, in dem eine deutliche Überzahl an Schauspielern der Kammerspiele zu erleben waren, rekrutierte sich das Ensemble nun überwiegend aus SchauspielstudentInnen der Otto Falckenberg Schule. Das machte sich natürlich im Spiel deutlich bemerkbar. Während Walter Hess (Souvarine), Oliver Mallison (Maheu) und Edmund Telgenkämper (Lantier) mit darstellerischer Konstanz an die Gestaltung im ersten Teil anknüpfen konnten, erwies sich beispielsweise die Rollengestaltung Alina Stieglers als Virginie problematisch. Im ersten Teil gab sie eine stimmige Vorstellung von einem Mietskasernenmädchen, das dümmlich und devot genug war, sich von Lantier verführen zu lassen. Im zweiten Teil hingegen agierte sie so schrill und entfesselt, dass sie übers Ziel hinausschoss und an Glaubwürdigkeit verlor. Ganz anders hingegen stellte sich die Entwicklung Etiennes dar. Im ersten Teil der pubertierende, linkische und hysterische Knabe, brillierte Merlin Sandmeyer im zweiten Teil als gereifter, selbstbewusster junger Mann, der seine auffälligen Anlagen nicht verleugnete. Er erinnerte physisch und gestisch an den jungen Woody Allen, nur mit einer besseren Sprechkultur als dieser. Seine außerordentliche Begabung war, wie auch schon bei Anna Drexler, die die Aubry gab und die nach ihrer Aushilfe in „Onkel Wanja“ sofort ins Ensemble übernommen wurde, nicht zu übersehen.

Der Rolle des Chaval konnte Philipp Basener einen recht herben Charakter verleihen, dem sowohl der anpackenden Arbeiter, als auch der unsensiblen Liebhaber innewohnte. Nurit Hirschfeld hatte als Katharina eine große Rolle, dennoch gelang es ihr nur bedingt, einen tieferen Eindruck zu hinterlassen. Ähnlich erging es auch den anderen jungen Darstellern. Das war ganz sicher kein Ausdruck mangelnden Talents, sondern das Ergebnis des Konzeptes. „Schnelle Theaterskizzen“ bedeuten kurze Probenzeiten. Da darf man unmöglich erwarten, dass die Schauspielstudenten, die gerade einmal im zweiten Ausbildungsjahr sind, zudem noch über wenig Bühnenerfahrung verfügen, vielschichtige Charaktere präsentieren können. Dennoch muss man den engagierten und hoch motivierten Darstellern Lob zollen, gelang es ihnen unter der Federführung Matthias Günthers immerhin, die Geschichte glaubhaft zu erzählen. Und darauf kommt es wohl am ehesten an. In jedem Fall ist es lobenswert, dass die Münchner Kammerspiele der jungen Generation überhaupt so eine Chance einräumt. Auch nach dem zweiten Teil bleibt die Spannung auf die Fortsetzung.


Wolf Banitzki

 


Schnapsbudenbestien Folge 2 Etienne 

Theaterserie nach Émile Zola

Philipp Basener, Jonathan Berlin, Anna Drexler, Daniel Gawlowski, Walter Hess, Nurit Hirschfeld, Oliver Mallison, Merlin Sandmeyer, Alina Stiegler, Edmund Telgenkämper

Regie: Matthias Günther