Werkraum Laboratorium 4 - Polen ist mein Italien von Sascha Hargesheimer
Rezept für Erfolglosigkeit
Mit Bela Roberti, dem „erfolglosen deutschen Independent-Science-Fiction-Filmer“ erschuf Sascha Hargesheimer eine sphärische Kunstfigur, die letzte Fragen zu stellen versucht: „ was würdest du filmen / mit dem letzten rest meine ich / wenn es der letzte rest film auf der welt wäre / was würdest du sehen wollen“ In genau diese Situation ist der Regisseur geraten, an der Ostseeküste nahe Danzig im Jahr 1980, dem Jahr, in dem die Oppositionsbewegung blutrot erblühte. Er dreht einen Film. Doch dann erklärt ihm sein Kameramann, dass das Filmmaterial aufgebraucht ist. Der Rest reicht vielleicht noch für eine Minute. Was also soll auf diesen verbliebenden Rest gebannt werden?
Bela Roberti hat keine Idee und ihm kommt auch keine Idee. Er bleibt mit seiner Crew im polnischen Norden, in dem unwirtlichen Hotel, hängen. Während draußen das Leben einen neuen Abschnitt der Geschichte schreibt, verliert sich der Filmemacher in unfruchtbaren Fantasien, in Notizbüchern festgehalten, und verschwindet irgendwann. Wohin? Darüber kann man nur spekulieren und genau das tun die Protagonisten, die anhand der wenigen Überbleibsel die letzte Etappe im Leben des Bela Roberti nachzuzeichnen versuchen.
Fragen gibt es viele, Antworten kaum. So entsteht das melancholische, fast romantisch anmutende Bild eines Wartenden, dem die letzten Eingebungen versagt bleiben und der langsam aber unwiderruflich unter den Sedimenten der Zeit verschwindet. Die Stimmung erinnert an Andrej Tarkowski oder Lars von Trier. Das Wort „postapokalyptisch“ tauchte in der Bewerbung der Inszenierung auf. Ja, die Stimmung lässt sich schwer leugnen, wenngleich eine Apokalypse gar nicht stattgefunden hat. Es sei denn, man betrachtet die Existenz und den Zerfall des kommunistischen Ostblocks als Apokalypse. Zu einer derartigen Verkürzung kann allerdings nur kommen, wer diese Welt nie kennengelernt hat. Zu einer erstaunlichen Aussage kann sich Bela Roberti immerhin durchringen. Von Seiten der Filmproduktion befragt, was bei dem Dreh herauskommen wird, antwortet Bela: „ich kann dir nicht sagen was es sein wird wenn es fertig ist / bevor es fertig ist / wenn ich dir also sagen muss was es sein wird wenn es fertig ist bevor es fertig ist/ na dann wird es wohl eben nie fertig“.
Der Film ist gescheitert, doch Bela kann seiner Crew gegenüber das Scheitern nicht eingestehen. Der Schluss liegt nahe, dass Bela auch an allen vorherigen Projekten, auch wenn sie „fertig gestellt“ worden sind, gescheitert ist, so wie seine Ehe gescheitert ist und wie auch alle zukünftigen Projekte scheitern würden, gäbe es sie noch. Sascha Hargesheimers Text zeugt von Talent, auch von Humor. Neben diesen wirklich guten Eigenschaften fehlt jedoch etwas Entscheidendes: Inhalt. Die Solidarność-Bewegung wird benannt. Erfährt der Zuschauer etwas darüber? Nicht wirklich, wenngleich Anna Walentynowicz, die entlassene Kranführerin und eine Symbolfigur der Bewegung zu Wort kommt. Das lässt Hargesheimer als Versagen Belas durchgehen, der die wirklich spannenden Geschichten im Leben nicht wahrnimmt. Bela bleibt lieber bei sich, bei seinen Befindlichkeiten und Verstörungen. Immerhin erfährt der Zuschauer Details aus Belas allererstem Drehbuch. Darin träumt ein Mann, er sei Öl. Und weil er gefördert und verarbeitet wird, verwandelt sich das Öl in einen Menschen, in ein rachedurstiges Wesen, das eine Ölplattform sabotiert und entführt…
Was bewegt Bela? Welche Ziele (außer den Weg) verfolgt er? Was für eine Weltanschauung beseelt ihn? In welche Zukunft reist er mental? Das erfahren wir nicht, wenngleich man sagen muss, dass dieses Nichterfahren im Werkraum der Kammerspiele durchaus unterhaltsame Momente hatte.
2013 gewann Sascha Hargesheimer mit seinem Text den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik. Und da solche Auszeichnungen begründet werden müssen, erfuhr die Welt vom Laudator, was uns dieses Stück sagen will: „Sascha Hargesheimer hat es mit seinem Stück ‚Polen ist mein Italien‘ in einer geradezu elegischen Art auf den Punkt gebracht: Die Wirklichkeit ist immer das, was wir aus ihr machen.“ Hört! Hört!
Mit etwas Abstand und bei Ignorierung der Tatsache, dass es sich um ein preisgekröntes Werk handelt, verrät das „Material“, wie der Autor selbst es nennt, etwas gänzlich anderes. Es spricht beredt über die weltanschauliche Orientierungslosigkeit der Generation von Sascha Hargesheimer (1982 geb.). Es ist die Generation 30+, die zwar Theater machen möchte, doch eigentlich Filmästhetik viel cooler finden. Das führt, einhergehend mit Mangel an echten Konflikten mit gesellschaftlicher Dimension, zu degenerativer Formlosigkeit. Man nennt das auch offene Formen.
Eine offene Form hatte auch die Einrichtung von Jens Bluhm. Sina Barbra Gentschs Bühne bestand aus einem diagonal den Raum durchtrennenden Prospekt mit märchenhaft anmutenden Baummotiven. In diesem Prospekt war ein Podest mit Treppe integriert. Nach Öffnung des Prospektes entstand ein Raum hinter der Bühne mit einem terrassenartigen Vorbau. Die Darsteller Peter Brombacher, Walter Hess und Stefan Merki befanden sich schon vor Beginn auf der Bühne und unterhielten sich miteinander, auch mit ankommenden Zuschauern. Schließlich, als der Lichtwechsel den Beginn bedeutete, wurde von der Existenz und dem Verschwinden Bela Robertis berichtet und vom Vorhaben, seine Existenz und seinen Weg anhand der wenigen verbliebenen Artefakte zu rekonstruieren. Dabei schlüpften die Darsteller in unterschiedlichste Rollen, die eingelesen oder auch gespielt wurde. Bela Roberti wurde durchgängig von Stefan Merki verkörpert. Es war die einzige Figur, die Umfang und Profil bekam, während andere Figuren nur eingestreut und schemenhaft blieben. Anna Drexler trat in ihrer strahlenden Jugendlichkeit in Erscheinung, als Belas Ehefrau gefordert war.
Vieles blieb an diesem Abend nur angedeutet, war nicht durchgestaltet, denn diese Veranstaltungsreihe nennt sich Laboratorium. Textunsicherheiten der Darsteller ließen darauf schließen, dass die Geschichte mit recht heißer Nadel genäht war. Warum auch nicht, denn Darsteller wie Merki oder Brombacher verfügen über eine Professionalität, die selbst eine Lesung der Münchner Gelben Seiten zum Erlebnis machen würde. Trotzdem drängt sich der Vergleich zur ersten Veranstaltung der Reihe auf, Laboratorium 1 - Die Graue Stunde von Ágota Kristóf, die eine rundum gelungene und reife Arbeit war.
Unspannend war der Abend nicht. Er lebte von den z.T. seltsam anmutenden Brüchen in der Geschichte, die gelegentlich an Trash und B-Movie Regisseure Ed Wood oder Roger Corman erinnerten. Darüber hinaus wird allerdings inhaltlich wie auch ästhetisch kaum etwas in Erinnerung bleiben, außer vielleicht, warum Bela Roberti der erfolglose deutsche Independent-Science-Fiction-Filmer war. Insofern gab es nebenher ein Rezept für Erfolglosigkeit.
Wolf Banitzki
Laboratorium 4 - Polen ist mein Italien
von Sascha Hargesheimer
Peter Brombacher, Anna Drexler, Walter Hess, Stefan Merki Regie: Jens Bluhm |