Werkraum Mutter Courage und ihre Kinder von Bertolt Brecht mit Musik von Paul Dessau


 

 

Brecht. 2015.

Ein Brecht-Vorhang, auf dem die Silhouette einer Downtown mit gigantischen Skyscrapern vor einem gewaltigen Bergmassiv projiziert war, empfing die Werkraum-Besucher. Sinnbild der Hybris der modernen Welt von heute. Der Vorhang öffnete sich und es gab, die halbe Bühne nach hinten versetzt einen zweiten Brecht-Vorhang. Die Wände und der Fußboden waren schäbig, vergilbt, verschmutzt, verschlissen. Eine der beiden Türen schloss nicht mehr. Ein paar Stühle an den Wänden, auf denen die Darsteller saßen, die Textbücher in den Händen. Das meint: Es kümmert sich niemand mehr um den Lebensraum, denn es ist Krieg. Mitten im Raum lagerte ein Motor auf einer Palette. Am Bühnenrand ein hydraulisches Gerät zum Transport der Palette, die jedoch nie bewegt wurde. Soweit das Bühnenbild von Thomas Schmauser, der auch Regie führte. War der Motor die Kriegsmaschine oder der Antrieb des Marketenderinnenkarrens? Egal, denn beides ist untrennbar miteinander verbunden. Die Darsteller, sie agierten in wechselnden Rollen, trugen Fantasiekostüme, die, inspiriert von asiatischer Kriegsbekleidung, Uniformcharakter hatten. Estelle Cassani verhinderte mit ihren Kostümen eine konkrete Zuordnung in Zeit und Raum, was sich als segensreich entpuppte, denn obgleich Brechts Text eine „Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg“ ist, kann er jeden konkreten Rahmen sprengen. Es ist ein Antikriegsstück schlechthin, das Auskunft gibt über die tatsächlichen Ziele von Kriegen, ob sie nun im Namen von Religionen oder was auch immer geführt werden. Religionen eigneten sich allerdings schon zu allen Zeiten gut als benennbaren Grund. Das hat heute mehr denn je Gültigkeit.

Brecht erzählt die Geschichte der Marketenderin Anna Fierling, Mutter von drei Kindern, die es zu ernähren gilt, die aus dem Krieg ihr Gewerbe gemacht hat und auf den sie nichts kommen lässt. Man nennt sie Mutter Courage, weil sie Tod und Teufel nicht fürchtet, wenn sie einen Taler machen kann. „Das ist der Krieg! Eine schöne Einnahmequell!“ Am Ende ist ihr Geschäft ruiniert und die Kinder vom Krieg gefressen, obwohl sie über sie wachte wie eine Adlermutter. Sie konnte den Lauf der Zeit und des Krieges weder aufhalten, noch beeinflussen. Der Krieg ist ein Allesfresser. Mutter Courage, die „Hyäne des Schlachtfelds“, bleiben nur die Kadaver und deren Wiederverkaufswert, der stetig sinkt.

Dieses, unmittelbar vor dem II. Weltkriegs im skandinavischen Exil geschriebene Stück ist brandaktuell. Umso verwunderlicher ist es, dass es so selten auf den Spielplänen auftaucht, denn die Welt befindet sich wieder einmal in einem latenten Krieg, der mit Sicherheit länger dauern wird, als der „Dreißigjährige“, und der für eine kleine Schar Investoren mehr Rendite abwerfen wird, als man sich gemeinhin vorstellen kann. Nun denn: „Ich laß mir den Krieg von euch nicht madig machen. Es heißt, er vertilgt die Schwachen, aber die sind auch hin im Frieden. Nur, der Krieg nährt seine Leute besser.“ Am Ende muss sich die Courage selber vor den Karren spannen: „Der Feldzug ist noch nicht zu End! / (…) / Und was noch nicht gestorben ist / Das macht sich auf die Socken nun.“

„Mutter Courage und ihre Kinder“ ist eine radikale Absage an das „Illusions- und Spannungstheater“. Noch bevor der Zuschauer die Geschichte erlebt, wird sie ihm vorab erzählt, im Text deutlicher und konsequenter als in der Inszenierung von Thomas Schmauser. Der Krieg frisst sich unaufhaltsam durch die Zeit und durch den Raum. Das Unabänderliche regiert. Der Mensch ist böse, doch wird er ständig vor sich gewarnt: „Und braucht doch nicht zu sein…“ Darin besteht das Prinzip „Hoffnung“.

Bei Thomas Schmauser schlich sich allerdings dank seiner Abstraktion vom konkreten (Dreißigjährigen) Krieg noch eine weitere Qualität ein. Nämlich das entsetzte und nur durch Lachen zu kompensierende Erkennen, dass es schier unmöglich zu sein scheint, „es nicht zu sein“. Es ist kein Fatalismus, den Schmauser verbreitet, eher ein berechtigter Pessimismus zum Thema Natur des Menschen. So wandelte Ursula Werner als Courage unbeirrt und proper auf dem Pfad des (kläglichen) Profits, den eigenen toten Sohn verleugnend. Stefan Merkis Koch ist ebenso unmenschlich-pragmatisch bei seinem Angebot, der Courage mit seinem Erbe ein Dach und ein Auskommen zu geben, allein, für die stumme Tochter Kattrin gilt dieses Angebot nicht. Leonard Klenners Eilif, älterer Sohn der Courage, war ein blendbarer Dandy, der das Wesen des Krieges verkannte und sich von dessen Aufregungen unterhalten ließ. Sein jüngerer Bruder Schweizerkas hingegen wurde von Christian Löber als naiver und tugendhafter Knabe gespielt. Beide, so gegensätzlich sie auch veranlagt sind, werden Opfer des Krieges. Und genau das ist die Logik eines solchen, nämlich dass er keine moralische Logik hat. Unterm Strich bleiben Geschäft und Zynismus übrig. Peter Brombacher als Feldprediger, im Kostüm eines Aztekischen Hohepriesters, kannte diese (Un-)Logik und darum überlebte er auch in seiner opportunistischen und selbstverleugnerischen Anpassungsfähigkeit.

Das Prinzip „Hoffnung“ hatte dennoch einen Namen und glomm stumm in der barbarischen Finsternis vor sich hin: Kattrin. Lena Lauzemis gab sie fast skurril und doch nicht ohne anrührende Momente. Weder die Rolle der Kattrin, noch irgendwelche andere menschliche (oder menschelnde) Ansätze wurden verklärt, zum versöhnlichen Fanal erhoben oder über Gebühr herausgestrichen. Es blieb bei Brecht, dem „romantisches Glotzen“ zuwider war. Die Ästhetik indes erinnerte mehr an das Theater des Absurden und weniger an den stringenten Puritanismus des „epischen Theaters“, wie Brecht ihn gefordert hatte. Immerhin ist schon zu Lebzeiten des Meisters nicht verborgen geblieben, dass der auch in Richtung Beckett geschielt hatte. In seiner Experimentierfreudigkeit wäre er möglicherweise ebenfalls dorthin gekommen, wo Schmauser anlangte. Der Abend war schrill, schräg, philosophisch, auch komödiantisch, lehrreich ohne belehrend zu sein, aber auch nüchtern-poetisch. Dafür sorgte nebenbei auch die Musik von Paul Dessau, die Ivica Vukelic eigens für die Werkraum-Inszenierung arrangiert hatte und interpretierte. Es war ein besonderer Theaterabend zwischen hohepriesterlicher Kunst und laxer Werkstattästhetik: Sehens- und hörenswert und vom Publikum angenommen!

 

Wolf Banitzki

 


Mutter Courage und ihre Kinder

von Bertolt Brecht mit Musik von Paul Dessau

Peter Brombacher, Leonard Klenner, Lena Lauzemis, Christian Löber, Stefan Merki, Ivica Vukelic, Ursula Werner

Regie: Thomas Schmauser