Werkraum Yesterday you said tomorrow (Werbeslogan von Nike)


 

 

Kulturwandel ins Bild gesetzt

Die Performance „Yesterday you said tomorrow“ begann mit dem Ende. Auf den Vorhang eines Wohnzimmers projiziert, standen spiegelverkehrt die Worte „The End“. Dahinter saß ein gleichmütiger Mann (Peter Brombacher) auf dem weißen Sofa, eine VR-Brille lag vor ihm auf dem Tisch. Sich entspannt zurücklehnend rückte er im theatralen Interpretationsraum verbal „das Monumentale der Momente“ in den Fokus. Die einführenden Wortmontagen blieben seine letzten und einzigen Äußerungen. Auf sie folgte Sprachlosigkeit. Erst nach langer Zeit, kurz vor dem Ende, brachte ein blutloser junger Mann (Damian Rebgetz), er hatte die VR-Brille hochgeschoben und den Deckel der Maschine geöffnet, die Erklärung der Sensorfunktion eines automatischen Staubsaugers hervor und unterbrach die technische Geräuschkulisse.


An „Zeitgeist-Objekten“ richtet Alexander Giesche seine Performances aus. Es sind die technischen Errungenschaften, die in den Mittelpunkt von Interesse gerückt sind. Um sie tanzt die Gesellschaft. Vom Auto bis zur Virtual-Reality-Brille wird entwickelt und produziert. Giescheand, also Alexander Giesche, die Dramaturgin Aukje Verhoog und die Ausstatterin Nadja Fistarol gingen der Frage nach der Virtualität nach und kreierten ein geradezu perfekt wirkendes künstlerisch aufwändiges Szenario. Ein Mixer, ein Ventilator, eine Mikrowelle, eine Lichtquelle über dem Bananenbaum. Dazwischen drei Figuren, jede in die von ihr gewählte Reality entrückt – Autorennen, Sportübung, Filmromantik. Die beteiligte Frau (Katja Bürkle) setzte den Mixer in Betrieb, verfolgte aufmerksam das Zerkleinern von Bananen. Die Maschine wechselte den Lauftakt, die Frau wechselte den Gesichtsausdruck. Kompatibles Zusammenwirken könnte man diesen Vorgang nennen. Abgefahren? Nein, Alltagsrealität für jeden aufmerksamen Beobachter. Der naturgemäße Anpassungsprozess einer Art, die den Kampf um ihr ursprüngliches Dasein längst verloren hat und zum Zweckobjekt der Sache mutierte, wurde offenbar. Auch rollte ein Motor langsam den weißen Teppich auf, als zöge die Zeit den Figuren den Boden unter den Füßen weg. „Out of time“ erklang dazu aus den Lautsprechern (Musik Georg Conrad). Der Vorhang des Wohnzimmers glitt die Schiene entlang, diente als Projektionsfläche für das Bild eines menschlichen Vorfahren. Die wie von Geisterhand ausgeführten Aktionen gingen auf die Techniker Philipp Wenning, Georgi Stamenov und Tore Knabe zurück. Ihre ausgezeichneten Fertigkeiten konfigurierten den Aktionsraum. „I need something more …“ tönte die Elektronik zu den Lippenbewegungen von Figur und Vorfahre.


Was im Programmblatt Science Fiktion genannt wurde, ist längst gesellschaftliche Realität. Schon seit geraumer Zeit steuern und vernetzen Bildschirme die sich immer mehr anpassenden Organismen in eine virtuelle Welt, welche wiederum  immer mehr Raum in der realen Welt einnimmt. Die Virtual-Reality-Brille, mit 360 Grad Blick, ist davon nur ein Teil, der den Menschen der Ameise näher bringt und somit als wichtiger und unerlässlicher Fortschritt vermarktet werden kann.  


Fand die komplexe Wahrnehmung beim homo sapiens über die vielfältig angelegten unterschiedlichen Sinne statt, so findet Wahrnehmung bei den Insekten hauptsächlich über die Augen statt. Ein gepanzerter Körper verschließt die wenigen empfindsamen Weichteile.  Wahrnehmung ist auf Betrachtung und sensorischen Austausch reduziert, es fehlt die emotional sinnliche Komponente, es fehlen Blut und Wasser. Die Organisation der Art erfolgt über den Nachahmungseffekt in den exakt gleichen Bedürfnissen. Durch die Reduktion in der Perfomance wurde dies unverkennbar. Es drängte sich die Aussage „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ von T. Adorno auf,  die unterschiedlich interpretierbar ist. Bei einer Betrachtung könnte dieser Satz ins Heute übersetzt lauten: Es gibt ein animalisches Leben im humanen. Und, das Humane wäre nach wie vor entwicklungsfähig, wenn es denn in den Mittelpunkt von Aufmerksamkeit rücken würde. Was, wenn die Evolution auf diesem Weg dem homo multitasking ein Insektenauge zukommen lässt?


Aber genug der naturgemäßen Gegenwart, in der humanes Dasein nur noch in deutlich reduzierter Form stattfindet, folglich auch nicht erkennbar dargestellt werden konnte. Wer sich im aktuellen Zeitgeist des zivilisierten Sofa-Safety-Modus erkennen und abgleichen wollte, fand in der Performance unterhaltend  Bestätigung. Sie entstand nachdem bereits alles gesagt war, es blieben nur noch das Schauen und das Schweigen. Oder das Warten …


C.M.Meier

 

 


Yesterday you said tomorrow (Werbeslogan von Nike)

genutzt von Giescheand

Peter Brombacher, Katja Bürkle, Damian Rebgetz


Idee/Koordination: Alexander Giesche